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Faszination Allergologie, Teil 5: Insektengiftallergie:
Was wann tun?

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Faszination Allergologie, Teil 5: Insektengiftallergie:
Was wann tun?

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Impfen und Infektionen

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9 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Hausärzte sind oft die erste Anlaufstelle bei allergische Reaktionen. 
In dieser Folge geht es um das Thema Insektengiftallergie. Welche Fragen sich ­häufig ­ergeben, was der Hausarzt/die Hausärztin tun kann und ­welche Lösungsvorschläge die Allergologie bietet.

Montagmorgen in der Praxis. Der Patient berichtet: Ich war am Wochenende im Krankenhaus, ich hatte einen Wespenstich …

Was kann der Hausarzt tun?

Anamnese

  • Ist das Insekt wirklich identifiziert? Bienen- und Wespenstiche sind fast immer deutlich schmerzhafter als Bremsenstiche; viele Betroffene können Bienen und Wespen nicht unterscheiden …
  • Ist der Stachel stecken geblieben (bei Bienenstich meistens, bei Wespenstich selten)?
  • Anzahl der Stiche?
  • Hat eine Anaphylaxie vorgelegen (Grad?) oder nur eine übersteigerte Lokalreak­tion?
  • Evtl. vasovagale Reaktion durch den Schmerz?
  • Risikofaktoren für eine neuerliche schwere Reaktion: Erhöhte Mastzelltryptase/ Mastozytose? Kardiovaskuläre/pulmo- nale Komorbiditäten 


Die akute spontane Urtikaria kann durch 
die Kombination simultan auslösend wirken­-
der Faktoren auftreten, oft findet man auch nichts.

Weitere Therapie erforderlich?

Lokaltherapie bei starken Schwellungen z.B. mit Kortison-haltigen Externa; lokale Antihistaminika sind meist ineffektiv, manchmal subjektiv Besserung durch den Kühleffekt der Salbengrundlage (Gel), lokale Kühlung, ggfs. Hochlagerung … Oft ist auch eine systemische Therapie mit Kortiko­steroiden ggfs. in Kombination mit Antihistaminika über einige Tage sinnvoll.
Eine Indikation zur Gabe eines Antibiotikums besteht eher selten, da die lokale Entzündung meist durch die Inhaltsstoffe des Insektengiftes auftritt und nicht infektiös bedingt ist.
Bei Patienten, die auch bei Stichen von anderen Insekten wie Mücken oder Bremsen starke Lokal­reaktionen haben, empfehlen wir die Anschaffung eines bite away® Stiftes (Anwendung einer konzentrierten Wärme von 51°C über 3 sec bei empfindlicher oder 5 sec bei normaler Haut direkt nach dem Stich). Untersuchungen zeigen, dass dadurch eine Abschwächung der Lokalreaktion und Minderung des Pruritus erreicht wird.

Allergiepass ausstellen?

Ja, da häufig bis zur weiteren Diagnostik beim Allergologen Zeit vergeht. Z.B. Diagnose: Insektengiftallergie mit Anaphylaxie

Anaphylaxie-Schulung?

Gerade bei Kindern und Jugendlichen bietet ­AGATE (Arbeits-Gemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation e.V.) Schulungsprogramme an, die in verschiedenen Praxen und Kliniken durchgeführt werden.
Adressen unter: anaphylaxieschulung.de.

Notfallset?

  • Bei ausschließlich übersteigerter Lokalreaktion u.E. entbehrlich.
  • Bei Anaphylaxie immer: Es ist nicht vorhersehbar, ob beim nächsten Stich die Stärke der Anaphylaxie zunimmt!

Was gehört in das Notfallset?

Adrenalin-Autoinjektor (AAI), H1-Antihistaminikum, Kortikosteroid (ggfs. ß-Mimetikum als Dosieraerosol bei Asthma oder bronchialer Obstruktion im Rahmen der Anaphylaxie, ggfs. Epinephrin zur Inhalation mit Sprühkopf für Arznei­mittelfläschchen, falls eine Obstruktion im Larynxbereich/Zunge aufgetreten ist. Eine Instruktion der Betroffenen über die Handhabung des verordneten AAI ist zwingend erforderlich! Die Hersteller stellen kostenfrei „Training-Pens“ zur Verfügung. Bei Folgeverordnungen immer den gleichen AAI rezeptieren (aut idem ankreuzen), um Fehler bei der Handhabung möglichst zu vermeiden.

Die klinische Bedeutung eines AAI besteht darin, eine klinisch wirksame Adrenalindosis schnell abzugeben (insbesondere vor Eintreffen des Rettungsdienstes). Die Adrenalinabgabe wird durch Länge und Durchmesser der Nadel sowie durch die Antriebskraft des AAI bestimmt. Die Antriebskraft entscheidet über die Geschwindigkeit mit der das Adrenalin ins Muskelgewebe injiziert wird.
Obwohl bisher keine genaue Dosierung für optimale Adrenalingabe ermittelt werden konnte, hat sich die Gabe von 300–600 μg als geeignet und sicher erwiesen.
Eine höhere Applikationsgeschwindigkeit und bessere Verteilung des Adrenalins im Muskel führen zu einer schnelleren Absorption und systemischen Aufnahme auch bei Haut-Muskel-­Abstand >20 mm.
Fazit: In der zitierten Untersuchung4 zeigte ­Fastjekt® eine schnellere und höhere Adrenalinkonzentration unabhängig von der der Injek­tionsstelle (mittlerer und anterolateraler Oberschenkel) und auch bei hohem Muskel-Haut-­Abstand.

Fazit: In der zitierten Untersuchung4 zeigte ­Fastjekt® eine schnellere und höhere Adrenalinkonzentration unabhängig von der der Injek­tionsstelle (mittlerer und anterolateraler Oberschenkel) und auch bei hohem Muskel-Haut-­Abstand.

Wer braucht ggfs. zwei Autoinjektoren?

  • Körpergewicht >100 kg
  • Anaphylaxie Grad IV
  • unkontrolliertes Asthma bronchiale
  • schlechte Erreichbarkeit der medizinischen Notfallversorgung
  • Erwachsene mit Mastozytose
  • ggfs. je einen AAI in der Schule/Kindergarten und zu Hause deponieren

Lagerung

  • Adrenalin Autoinjektoren nicht im Kühlschrank lagern, da die Mechanik, die die Injektion auslöst, blockieren kann
  • Adrenalin-Autoinjektoren nicht über 25° lagern, da Wirkverlust eintreten kann (Abhilfe bei Aufenthalt im Freien und hohen Temperaturen: z.B. Lagerung in einer Thermosflasche oder eingewickelt in ein Handtuch in einer Kühltasche)

Von den Fachgesellschaften wird oft die Verwendung eines flüssigen Präparates empfohlen z.B Fenistil-Tropfen, Desloratadin-Lösung oder Cetirizin-Lösung. Vorteil: direkt trinkbar, Nachteil: Instabilität bei Temperaturen über 25-30°C. Ein Kompromiss ist die Verordnung von Schmelztabletten wie z.B. Ebastin 10mg oder Desloratadin 5 mg. Selbstverständlich können alle gängigen Antihistaminika als Tablette verwendet werden, wobei wir im Notfall die Einnahme der doppelten üblichen Dosis empfehlen.

Hierbei gilt analog der Ausführungen unter 1. das Problem der Temperatur-Instabilität ab 25–30°C mit dem Vorteil der direkten Trinkbar­­keit der Flüssigpräparate wie z.B. Prednisolon ­(Okrido®) oder Betamethason (Celestone® liquidum) abzuwägen. Grundsätzlich sollten 100 mg Prednisolon-Äquivalent eingenommen werden (also z.B. 1 Flasche Okrido®/Celestone® oder 2 x 50 mg Prednisolon Tabletten).

Ggfs. z.B. Salbutamol Dosieraerosol 
Ggfs. z.B. InfectoKrupp® Inhal Lösung (s.o. „Was gehört dazu?“)

Es erfolgen ein Hauttest und eine Blutunter­suchung zur Differenzierung, gegen welches Gift die Sensibilisierung besteht sowie zum Ausschluss/Nachweis einer Doppelsensibilisierung. Aufgrund der Kreuzreaktivität wird zur Abklärung von Stichreaktionen auf Hummeln Bienengift und auf Hornissen Wespengift verwendet.

Mögliche Hauttests mit kommerziell erhältlichen ­Lösungen:

Pricktest mit Giftkonzentration 1, 10, 100, 300 μg/ml.

Intrakutantest mit Giftkonzentration 0,001, 0,01, 0,1, 1 μg/ml (wir bevorzugen den Intrakutantest wegen der höheren Spezifität insbesondere bei Bienengiftallergie). Die Ablesung erfolgt nach 20 Minuten im Vergleich mit Negativ-(Kochsalz) und Positivkontrolle (Histamin). Wie immer müssen bei einem Hauttest Absetzfristen für Antihistaminika und systemische Kortikosteroide beachtet werden. Eine negative Verfälschung ist möglich durch Immunsuppressiva, Antidepressiva und Neuroleptika.

Blutuntersuchung:

Obligat ist die Bestimmung der Serumtryptase und von Gesamt- und spezifischen IgE mit Wespen- und Bienengift-Gesamtextrakt sowie Einzelallergenkomponenten aus beiden Giftarten. Des Weiteren Wespen- und Bienengift-spezifisches IgG, was besonders bei der Verlaufskontrolle unter allergenspezifischer Immuntherapie nützlich ist. In seltenen Fällen gelingt es nicht, mit diesem „Testarsenal“ die Sensibilisierung zu klären, sodass ein Basophilen-Aktivierungstest in Frage kommt. Die Durchführung ist einigen spezialisierten Zentren an Uni-Kliniken vor­behalten.

Allergenspezifische Immuntherapie (AIT)

Diese erfolgt auch bei Insektengiftallergie immer subkutan an der Außenseite der Oberarme und wird meist stationär eingeleitet. Bei uns erfolgt die Aufdosierung auf die Erhaltungsdosis von 100 μg Insektengift nach Schema in vier Tagen. Die Fortsetzung der AIT erfolgt ambulant meist durch den Hausarzt, wobei die Injektionsintervalle der Erhaltungsdosis von 100 μg allmählich verlängert werden (1, 2, 3, 4 Wochen). Danach erfolgt die Therapie 1x/Monat für eine Dauer von 3–5 Jahren (je nach Grad der Anaphylaxie und Verlauf der AIT). 1x jährlich e Verlaufskontrollen beim Allergologen sollten erfolgen. Bei Patienten mit Mastozytose, hereditärer Alpha-Tryptasämie und Anaphylaxie Grad IV (Reanimation) wird derzeit eine lebenslange AIT empfohlen6.
Wenn eine Doppelsensibilisierung vorliegt und eine AIT mit beiden Giftarten erforderlich ist, wird mit der Giftart begonnen, die zu stärkerer Anaphylaxie geführt hat oder wenn einen höhere Stichwahrscheinlichkeit (z.B Imkerei) besteht. Ansonsten beginnen wir mit Wespengift wegen der allgemein höheren Stichinzidenz. Wenn die erste AIT in der Erhaltungsphase mit monatlichen Intervallen vertragen wird, beginnen wir mit der zweiten Therapie. Mittelfristig kann man die Injektionen mit der Volldosis in einer Sitzung im Abstand von 20 Minuten an beiden Oberarmen verabreichen. Eine Medikation mit Betablockern und ACE-Hemmern kann fortgeführt werden. Eine israelische Studie konnte durch eine Stichprovokation nachweisen, dass die AIT bereits innerhalb einer Woche nach Erreichen der Erhaltungsdosis, eine 84-prozentige Protektion gewährleistete8.
Wegen der hohen Kreuzreaktivität wird eine ­Allergie auf Hornissengift mit Wespengift behandelt, bei Hummelgiftallergie mit Bienengift.

Was kann ich tun, wenn die Injektion von 100 μg (1ml Lösung) nicht vertragen wird (z.B. übersteigerte Lokal­reaktion oder systemische Reaktion mit Erythem, Pruritus oder Urtikaria)?

  • Prämedikation mit Antihistaminikum und lokale Kühlung nach Injektion und zu Hause
  • Verteilung der Injektion auf beide Oberarme je 0,5 ml
  • Reduktion der Dosis auf die Menge, die mit einer Lokalreaktion nicht größer als eine Handfläche vertragen wird (individuelle Höchstdosis) und Verkürzung der Injektionsintervalle auf 2–3 Wochen, sodass die Gesamtmenge/Monat gleich bleibt.
  • In einzelnen Fällen kann die zusätzliche Gabe von Omalizumab (300mg 1x/Monat subkutan) erforderlich sein und ist auch von den Leitlinien vorgesehen. Der Einsatz dieses Medikamentes sollte vom Allergologen veranlasst werden.

Was passiert, wenn ein „Feldstich“ unter Therapie doch zu systemischer Reaktion (Anaphylaxie) führt?

Stationäre Aufnahme und Aufdosierung in 2 Tagen auf 200 μg (2 ml Lösung), dann Fortführung der Therapie wie oben beschrieben.

Sollte nach Beendigung der AIT weiterhin ein Notfallset verschrieben werden?

Nach einer erfolgreichen AIT ist das Risiko einer erneuten systemischen Stichreaktion annähernd vergleichbar mit dem der Normalbevölkerung, also bei ca. 2–4 %.

Nein:

  • bei initialer Anaphylaxie Grad I und II, gut vertragener AIT und fehlender Risikofaktoren (s.o.)
  • bei initialer Anaphylaxie III und Stichprovokation oder Feldstich unter Therapie ohne systemische Reaktion sowie fehlenden Risikofaktoren.

Ja:

  • bei Patienten mit Anaphylaxie Grad IV(Reanimation) oder bei erneuter schwerer Stichreaktion trotz einer mit erhöhter Dosis (200 mg) durchgeführten Therapie.
  • bei Patienten Grad II–III mit Risikofaktoren u.a auch hohes Stichrisiko (Imkerei)
  • bei Patienten mit Mastozytose oder erhöhter Serumtryptase> 20 μg/ml (mglw. hereditäre Alpha Tryptasämie?)

Stichprovokation mit lebendem Insekt zur ­Erfolgskontrolle?

Die Stichprovokation mit einem lebenden Insekt stellt die einzige Methode dar, die klinische Reaktion auf einen Insektenstich zu beurteilen, da weder Haut- noch In-vitro-Testungen eine sichere Aussage bezüglich des therapeutischen Erfolges nach einer spezifischen Immuntherapie zulassen. Ein großer Vorteil ist, den Betroffenen die Angst vor Bienen und Wespen zu nehmen, wenn sie erleben, dass der Stich zwar schmerzhaft ist, aber meist nur zu Lokalreaktion führt. Die Notwendigkeit einer Stichprovokation wird dennoch kontrovers diskutiert, da sie auch Risiken birgt. Die Gefahr liegt in der fehlenden Dosierbarkeit des Giftes, wodurch eine Titration des Allergens wie bei anderen Provokationsformen (nasal, bronchial, konjunktival) nicht möglich ist. Eine „Boosterung“ der Immunantwort auf das Insektengift nach Stichprovokation ist theoretisch möglich. Auch nach negativer Stichprovokation besteht die geringe Möglichkeit einer systemischen anaphylaktischen Reaktion bei einem Folgestich.
Die Stichprovokation wird bei uns Betroffenen bei bisher vertragener Volldosis nach 1 –1,5 Jahren AIT angeboten, sollte es nach der Provokation zu einer systemischen Reaktion kommen, wird die Therapie mit erhöhter Dosis (200 μg) fortgeführt(s.o.).
Die Stichprovokation erfolgt bei uns auf der Intensivstation mit Überwachung (Monitor und Pulsoxymeter), liegender Braunüle und laufender Infusion. Das Insekt wird auf den Unterarm gesetzt und es wird ein Stich induziert. Danach lokale Kühlung und Intensiv-Überwachung für 1 Std; Entlassung am nächsten Morgen.

Autoren: Dr. med. Friedrich Riffelmann, Tanja Hardebusch, Dr. med. Katja Köhler

Quelle: Der Allgemeinarzt

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