Die Fallzahlen der FSME steigen unter anderem aufgrund der Ausbreitung des Vektors, Ixodes ricinus, durch klimatische Veränderungen. In Ermangelung spezifischer Therapien steht die Impfprophylaxe im Vordergrund. Hierfür stehen hocheffiziente Präparate zur Verfügung.
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine potenziell schwerwiegende Erkrankung, die auf einer Infektion mit einem RNA-Virus aus der Familie der Flaviren beruht. Von den weltweit vorkommenden drei relevanten Virussubtypen (europäischer, fernöstlicher und sibirischer) herrscht in Deutschland der europäische Subtyp vor. Dieser wird vor allem durch Zecken – in Mitteleuropa ist dies vorrangig Ixodes ricinus – übertragen. Als primäres Erregerreservoir gelten kleine Nagetiere. Deutlich seltener sind Fälle einer Übertragung durch infizierte Rohmilch. Vor allem aufgrund von klimatischen Veränderungen nimmt die geographische Ausbreitung und Inzidenz in Europa zu.
Fallbericht
Ein 57-jähriger Mann wird von seiner Ehefrau aufgrund einer fluktuierenden Bewusstseinsminderung in unserer Notaufnahme vorgestellt. Seit dem Vortag bestünde zudem Fieber > 39 °C. Sonstige Infektzeichen seien nicht vorhanden, auch nicht in den vergangenen Wochen. Zwei Wochen zuvor sei die Familie von einem Wanderurlaub in Oberösterreich zurückgekehrt. Eine FSME-Impfung habe nicht bestanden. Ein Zeckenbiss sei nicht bemerkt worden. Relevante Vorerkrankungen oder eine Dauermedikation haben nicht bestanden.
Im klinisch-neurologischen Befund zeigt sich ein wacher, zu Ort und Zeit unscharf orientierter, psychomotorisch verlangsamter und seiner Umwelt gegenüber misstrauischer Patient. Es besteht ein symmetrisch hypokinetisches Syndrom mit diskretem Rigor an den oberen Extremitäten. Kein Meningismus. Die Körpertemperatur bei Aufnahme beträgt 39,2 °C. Im Blut zeigen sich moderat erhöhte Entzündungszeichen. Der Liquor weist eine lymphomonozytäre Pleozytose von 102 Zellen/μl sowie eine Erhöhung des Gesamteiweiß (115 mg/dl) bei normalem Liquor/Serum-Glucosequotienten auf. Ein MRT des Schädels erbringt einen Normalbefund.
Bei Verdacht auf eine virale Enzephalitis wird zunächst eine gewichtsadaptierte empirische virostatische Medikation mit Aciclovir begonnen. Nach zwei Tagen erhärtet sich in der serologischen Diagnostik der Verdacht einer FSME: Sowohl im Blut als auch im Liquor finden sich IgG- als auch IgM-Antikörper gegen das FSME-Virus. Aciclovir wird abgesetzt, eine symptomatische fiebersenkende (Paracetamol, Novalgin) und angstlösende Therapie (Lorazepam) wird fortgesetzt. Nach zehn Tagen kann der Patient in gebessertem Zustand in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. Ein Follow-up nach zwölf Monaten ergibt, dass der Patient unter anhaltender Fatigue und Konzentrationsstörungen leidet.
Epidemiologie und Inzidenz
In den letzten Jahren zeigt sich in Europa eine deutliche regionale Ausbreitung der FSME. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat rezent für den Zeitraum zwischen 2002 und 2022 eine Verdreifachung der FSME-Inzidenz in Deutschland gegenüber dem vorangegangenen 20-Jahres-Zeitraum gemeldet. Die Fallzahlen gipfelten in den Jahren 2020 und 2024 (2024: 675 Fälle; Gesamtjahr 2020: 718). FSME-Endemiegebiete liegen insbesondere im Süden und Südosten der Republik. Mittlerweile gelten jedoch auch einzelne Landkreise im Nordwesten Deutschlands als Risikogebiete, die bisher als FSME-frei galten. Angesichts dieser Entwicklung ist eine verstärkte Wachsamkeit sowie die entsprechende Schulung von Gesundheitspersonal indiziert, zumal die FSME in als nicht-endemisch geltenden Gebieten vermutlich unterdiagnostiziert ist. Eine aktuelle Karte der FSME-Risikogebiete ist auf der Webseite des RKIs einsehbar.
Ursächlich für die erhöhte FSME-Inzidenz sind neben dem veränderten menschlichen Freizeitverhalten die verstärkte Ausbreitung und Aktivität des Vektors Ixodes ricinus. Dieser benötigt eine Mindesttemperatur von ca. 5 °C und eine relative Luftfeuchtigkeit von mindestens 80 %. Das Zusammentreffen von milden Wintern und feuchten Sommern führt daher nicht nur zu einer verstärkten horizontalen geographischen Ausbreitung, sondern auch zu einem Vorkommen in Höhenlagen über 1.500 Metern sowie zu einer Verlängerung der Aktivitätsperiode. Die höchsten Ansteckungsraten finden sich im Frühjahr und Sommer, jedoch sind mittlerweile einzelne FSME-Fälle auch in den Wintermonaten beschrieben.
Symptome und Prognose
70–95 % der FSME-Infektionen verlaufen asymptomatisch. Der Krankheitsverlauf ist klassischerweise biphasisch mit initialen grippalen Symptomen nach einer Inkubationszeit von meist ein bis zwei Wochen. Bei Kindern liegt dieser archetypische Verlauf etwas häufiger vor als bei erwachsenen FSME-Patientinnen und Patienten (Erwachsene 53 %, Kinder: 66 %). Wenige Tage bis maximal drei Wochen nach der Erstmanifestation zeigen sich etwaige neurologische Symptome. Das Virus kann theoretisch jeden Teil des Nervensystems befallen. Insbesondere im Kindesalter manifestiert sich die FSME als Meningitis (77 %).
Im Erwachsenenalter hingegen ist die FSME-Enzephalitis mit Symptomen wie quantitativer und qualitativer Bewusstseinsstörung, psychomotorischer Verlangsamung und extrapyramidalmotorischer Störung die häufigste Manifestation (61 %). Besonders schwere Verläufe zeigen sich im Rahmen von FSME-Myeloradikulitiden. Das Virus befällt bevorzugt die Vorderhörner, sodass es zu einer polioartigen Symptomatik mit asymmetrischen, stammbetonten schlaffen Paresen bis hin zur Beatmungspflichtigkeit kommt. 16 % der FSME-Patienten mit neurologischen Symptomen müssen auf einer Intensivstation überwacht werden, etwa 2 % werden beatmungspflichtig. Die Mortalität beträgt bei Erwachsenen ca. 1 %. Bei 40 % der Erwachsenen, die mindestens 12 Monate nach der Erkrankung erneut untersucht wurden, fanden sich anhaltende Symptome (Kinder: 16 %).
Schwere Verläufe betreffen vor allem ältere Patientinnen und Patienten. Zudem haben diese am häufigsten anhaltende Defizite, insbesondere kognitive bzw. neuropsychologische Symptome. In einer süddeutschen Kohorte (558 Patienten) berichteten nur 64 % der Erwachsenen nach 18 Monaten über eine komplette Genesung (Kinder: 95 %). Risikofaktoren für fortbestehende Defizite waren neben dem Alter (≥ 50 Jahre) schwere Akutverläufe der FSME und relevante Komorbiditäten. 10 % der Betroffenen strebten eine vorzeitige Berentung an bzw. hatten diese bereits bewilligt bekommen. Schwere Verläufe wurden auch bei Patienten mit Durchbruchinfektionen nach komplettierter FSME-Impfung beschrieben.
Als pathophysiologische Ursachen werden ein Selektionseffekt durch eine höhere Prävalenz von Impfversagen bei immunkompromittierten Personen und immundysregulatorische Effekte diskutiert. Rezent wurden auch neutralisierende Antikörper gegen Typ-I-Interferone (IFN) bei Patienten mit schweren Verläufen der FSME und anderen Flavivirus-Infektionen beschrieben.
Diagnostik
Die Diagnose der FSME erfolgt durch Antikörper-Bestimmung im Serum und Liquor mittels ELISA oder Immunfluoreszenz. Diese sind zum Zeitpunkt einer neurologischen Symptomatik in der Regel bereits nachweisbar. Beweisend ist der simultane Nachweis von anti-FSME-IgM und -IgG Antikörpern bzw. ein signifikanter Anstieg des IgG-Antikörpertiters innerhalb von zwei bis vier Wochen. Diagnostische Schwierigkeiten kann es nach FSME-Impfung oder nach Infektion durch bzw. Impfung gegen ein anderes Flavivirus geben. Dann sollte ein Speziallabor zur diagnostischen Sicherung hinzugezogen werden. Der Nachweis des FSME-Virus mittels PCR gelingt in der Regel nur in der ersten Krankheitsphase, daher spielt diese Untersuchung für die Diagnostik eine untergeordnete Rolle.
Zumeist ist die zerebrale Bildgebung bei FSME-Patientinnen und Patienten unauffällig, selbst wenn klinisch eine Enzephalitis vorliegt. Unter Umständen kommen diffusionsnegative, nicht kontrastmittelaufnehmende T2- bzw. FLAIR-Läsionen zur Darstellung. Diese finden sich aufgrund des Tropismus des FSME-Virus gehäuft in den Basalganglien und im Thalamus. Weitere Prädilektionsstellen sind der Hirnstamm und der cerebelläre Kortex. Die Läsionen treten zum Teil erst einige Wochen nach Manifestation der neurologischen Symptome auf. Im Liquor zeigt sich in der Regel eine mäßiggradige, meist lymphomonozytäre Pleozytose bei normalem oder allenfalls leicht erhöhtem Gesamtprotein und normaler Serum-Liquor-Glucoseratio. Nur etwa 70 % der Patientinnen und Patienten mit FSME erinnern den Zeckenbiss. Eine fehlende entsprechende Anamnese schließt daher die FSME nicht aus. Die Erkrankung an FSME ist gemäß § 7 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtig.
Therapie und Prophylaxe
Für die FSME ist keine spezifische Therapie verfügbar. Die post-expositionelle Gabe von Immunglobulinen (passive Immunisierung) scheint keinen Nutzen zu bringen. So ist diese in Deutschland auch nicht verfügbar. Da vorrangig diejenigen Patienten, die einen schweren Krankheitsverlauf erleiden, Autoantikörper gegen Typ-I-IFN aufweisen, wäre zukünftig eine Therapie mit hochdosiertem IFN bzw. Typ-I-IFN, welches von den Autoantikörpern nicht erkannt wird, zu diskutieren. Klinische Daten liegen diesbezüglich jedoch noch nicht vor. Auch Steroide sind nicht evidenzbasiert wirksam.
Somit steht die Prophylaxe der Erkrankung im Vordergrund: Einerseits die Expositionsprophylaxe, also das Tragen von Haut bedeckender Kleidung, und die Verwendung von Repellents. Nach Aufenthalt im Freien sollte die Haut inklusive der behaarten Teile abgesucht und Zecken durch langsamen Zug mit einer Pinzette oder eines speziellen Instruments entfernt werden. Nur etwa 2 % der 2022 in Deutschland an FSME Erkrankten waren vollständig geimpft. Bei Aufenthalt in einem Endemiegebiet wird die Prophylaxe mittels FSME-Impfung empfohlen.
In Deutschland stehen zwei Impfstoffe zur Verfügung, die beide hocheffizient, gut verträglich und gegen alle drei FSME-Subtypen wirksam sind. Zur Grundimmunisierung sind drei Impfungen notwendig. Die erste Auffrischungsimpfung wird für beide Substanzen nach drei Jahren empfohlen, alle weiteren nach 5 Jahren (Lebensalter < 60 bzw. 50 Jahre) bzw. nach 3 Jahren (≥ 60 bzw. 50 Jahre). Für beide Impfstoffe stehen Schnellimpfschemata zur Verfügung.
Autor: Priv.-Doz. Dr. Dr. med. Judith Wagner
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