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Der Migräne-Patient in der Hausarztpraxis: Hier ist viel Feingefühl erforderlich

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Der Migräne-Patient in der Hausarztpraxis: Hier ist viel Feingefühl erforderlich

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Migräne ist eine in Episoden anfallsartig auftretende Form des chronischen Kopfschmerzes. Die Ursachen können vielschichtig sein, ebenso wie die daraus resultierenden Behandlungsoptionen. Eine effektive Therapie kann die Lebensqualität der Betroffenen aber enorm verbessern.

Die Häufigkeit der Erkrankung liegt im Erwachsenenalter bei 2 bis 10 Prozent. Eine höhere Prävalenz scheint in Industrieländern und bei sozialschwachen Personen zu imponieren. Frauen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Der Schwerpunkt liegt im unteren bis mittleren Lebensalter. Der Konsum von Nikotin, die Einnahme von Ovulationshemmern oder Lebensstilfaktoren scheinen bei der Krankheitsentstehung eine Rolle zu spielen.

Diagnostik
Am Beginn der Diagnostik sollte eine sorgfältige Anamneseerhebung stehen. Typischerweise tritt der durch Migräne bedingte Kopfschmerz in Form von Attacken auf, deren Dauer zwischen 4 Stunden und 3 Tagen schwankt. Die Migräne wird klinisch in eine einfache, klassische und komplizierte Form eingeteilt.

  • Die einfache oder gewöhnliche Migräne zeichnet sich durch vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, audiovisuellen Missempfindungen (Photophobie, Phonophobie), Palpitationen und Diarrhöen aus.
  • Bei der klassischen Migräne (Migräne mit Aura) werden die Kopfschmerzen zusätzlich von meist kurz andauernden und nach Anfallsende abklingenden neurologischen Defiziten begleitet, wie Gesichtsfeldausfällen in Form von sog. Flimmerskotomen, auf welche oft Lichtblitze folgen. Dem folgt ein Halbseitenkopfschmerz mit Rötung der Gesichtshaut der betroffenen Seite.
  • Bei der komplizierten Migräne (Migraine accompagnée) dauern die neurologischen Störungen länger als bei der klassischen Migräne und können den einzelnen Anfall auch überdauern.

Differenzialdiagnostisch muss man an einen Spannungskopfschmerz denken oder einen medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz durch zu häufige Einnahme von Schmerzmitteln, Mutterkornalkaloiden oder Triptanen. Auch die Einnahme von Tranquillizern (Benzodiazepinen), Nitropräparaten und Antibiotika (z.B. Aminoglykoside) können zu Kopfschmerzen führen.

Therapie
Die Entstehung von Migräneanfällen wird häufig durch Stresssituationen, ungeregelte Schlafgewohnheiten, Hypoglykämie, ausgelassene Mahlzeiten, bestimmte Nahrungsmittel und Lebensmittelzusätze, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und Passivrauchen gefördert. Bei der Migränebehandlung kommen deshalb mehrere Ansätze zum Tragen. Dem Patienten sollte die Alltagsproblematik erläutert werden. Ein selbst geführtes Anfallstagebuch kann Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten von Anfällen unter bestimmten Bedingungen geben.

Als medikamentöse Therapie empfiehlt die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft in ihrer Leitlinie eine schrittweise und bedarfsgerechte Medikation: Ein Antiemetikum (z.B. Metoclopramid, 10–20 mg p.o., 10 mg i.v.) bei Übelkeit und Erbrechen, Analgetika bei Attacken mit leichteren Schmerzen (z.B. Ibuprofen, Paracetamol, ASS oder auch Metamizol), Triptane (z.B. Sumatriptan (50–100 mg p.o.) oder Ergotaminderivate (z.B. Ergotamintartrat). Im Migränestatus (Migräneattacken, die mehr als 72 Stunden dauern) kann Cortison 250 mg i.v. oder 60–100 mg p.o. an 2 Tagen eingesetzt werden.
Zur Anfallsprophylaxe kommen Betablocker (Metoprolol, 50–200 mg / Tag, Propranolol, 40–240 mg / Tag), Bisoprolol, 5–10 mg / Tag), Flunarizin 5–10 mg abends eingenommen und einige Antiepileptika wie Valproinsäure (500–600 mg / Tag), Topiramat (50– 100 mg / Tag), Pizotifen oder Methysergid in Betracht.
Psychotherapeutische Verfahren, bei denen der Patient durch Verhaltenstherapie (autogenes Training, Biofeedback) erlernt, sich bei anbahnenden Schmerzen selbst zu helfen, können den Umgang mit der Migräne erleichtern. Ebenso wirksam ist das Ausüben aerober Ausdauersportarten, wie Nordic-Walking, Schwimmen oder Inline-Skating.

Der Fall
Die 32 Jahre alte Angestellte in einem Reisebüro kommt wegen in letzter Zeit häufig wiederkehrender Kopfschmerzen seit etwa einem Jahr in die Praxis. Der Kopfschmerz würde etwa zweimal im Monat auftreten und meist ein bis zwei Tage anhalten. Die Schmerzpunkte lägen bilateral im Stirnbereich und wären manchmal auch von Nackenschmerzen begleitet. Zuletzt sei auch Übelkeit und Erbrechen aufgetreten, weshalb sie sich jetzt Sorgen mache.
Auf Nachfrage gibt die Patientin an, dass ihr Beruf grundsätzlich sehr stressig sei, besonders in der Reisezeit. Durch die Einnahme von Ibuprofen habe sie bisher die Attacken einigermaßen in den Griff bekommen, jetzt würde das Medikament aber kaum noch Erleichterung verschaffen. Bei der körperlichen Untersuchung fällt nur eine leichte Verspannung der Halsmuskulatur und am Oberrand des Musculus trapezius auf. Zur weiteren Abklärung wird der Patientin zunächst ein Termin bei einem Neurologen vermittelt.

Abrechnung Erstkontakt

EBMLegendePunkte/EuroGOÄ
03003Versichertenpauschale (VS) im 75. Lebensjahr114/13,601 + 7 + 800 + 801
35100Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände193/23,03849
03008Zuschlag zu der VS nach der GOP 03000 für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins131/15,63 


Die neurologische Untersuchung ergibt keinen Anhaltspunkt für einen organischen Prozess im cerebralen Bereich. Auch der psychiatrische und psychosomatische Befund ist unauffällig, so dass von einer einfachen Migräne ausgegangen werden kann. Die Patientin erhält eine Verordnung für Sumatriptan mit dem Hinweis, dass zunächst eine Dosis von 50 mg sofort bei ersten Anzeichen für eine Attacke eingenommen werden sollten. Ihr wird außerdem empfohlen, als Ausgleich für die berufliche Belastung eine Form des Ausdauersports mindestens einmal wöchentlich und für etwa eine Stunde zu betreiben.

Abrechnung Zweitkontakt

EBMLegendePunkte/EuroGOÄ
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist128/15,283


Bitte beachten

  • Die differentialdiagnostisch wichtige psychosomatische Anamneseerhebung nach der GOP 35100 kann im Laufe des Behandlungsfalls mehrfach berechnet werden, wobei zunächst nach ICD 10 keine F-Diagnose angegeben werden muss.
  • Ist zur therapeutischen Beratung ein längeres Gespräch erforderlich, kann die GOP 03230 je vollendete 10 Minuten auch mehrfach berechnet werden.
  • Bei der Migräne handelt es sich um eine chronische Erkrankung. War die Patientin zurückliegend bereits in einer kontinuierlichen hausärztlichen Betreuung, ist der Ansatz der GOP 03220 mit dem Suffix „H“ möglich.
  • Die im hausärztlichen Bereich auch mögliche neurologische und psychiatrische Untersuchung kann nach GOÄ mit den Nrn. 800 und 801 berechnet werden.
  • Beim Einsatz von Fragebogen zur Erhebung der Schmerzintensität ist nach GOÄ die Nr. 857 berechnungsfähig.

Autor: Dr. med. Gerd W. Zimmermann

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