Rund 6.200 Teilnehmende, 180 Stunden Wissenschaft, 500 Referierende aus 15 Ländern und ein Motto, das aufhorchen lässt: „Neue Dimensionen der Diabetologie – Individuell. Interdisziplinär. Innovativ.“ Der 59. Jahreskongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) im CityCube Berlin bot in diesem Jahr nicht nur wissenschaftliche Exzellenz, sondern auch ein lebendiges Forum für Austausch und Kontroverse.
Diabetologie sei das schönste Fach der Welt – mit diesen Worten eröffnete Kongresspräsident Prof. Martin Heni die 59. Jahrestagung der DDG in Berlin. „Aber unsere Reise hat gerade erst begonnen.“ Heni betonte, dass der Fortschritt in Forschung und Versorgung rasant sei, die Herausforderungen aber ebenso groß blieben. Die diesjährige Teilnehmerzahl unterstreicht die Bedeutung des Kongresses: 6.200 Teilnehmende, 80 Symposien, 500 Referierende, vier „Battle of the Experts“-Formate und 400 Läuferinnen und Läufer beim traditionellen Diabeteslauf.
Kongresssekretärin Dr. Julia Hummel erläuterte das Motto: „Neue Dimensionen sehen wir im Fortschritt der Pharmakologie, Technologie und Digitalisierung – Entwicklungen, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären. Künstliche Intelligenz ist längst Teil der Diagnostik und Therapie.“
„One size fits all“-Prinzip nicht zielführend
Hummel betonte, dass in der Diabetologie individuelle Therapieansätze unerlässlich seien; ein „one size fits all“-Prinzip sei hier nicht zielführend. Stattdessen brauche es passgenaue Lösungen und einen Perspektivwechsel, um voneinander zu lernen und gemeinsam zu wachsen. Die Interdisziplinarität erklärt sie so: Diabetologie strahle in alle Bereiche der Medizin aus, und die Einbeziehung der Betroffenen sei einzigartig. „Die Diabetologie von morgen wird heute hier gestaltet“, so Hummel.
Kongresssekretärin Sabrina Wangler unterstrich in ihrem Grußwort, dass die Zukunft der Diabetologie maßgeblich vom wissenschaftlichen Nachwuchs geprägt werde – ein Anliegen, dem sich der Kongress mit zahlreichen Stipendien und Förderprogrammen widmet. Wangler hob zudem die Bedeutung neuer Veranstaltungsformate wie dem „Battle of the Experts“ hervor, das nach erfolgreicher Premiere im Vorjahr nun einen festen Platz im Programm gefunden hat.
Spannende Debatten in den Battles
Die AG „Sport und Bewegung“ brachte mit einem „Battle of the Experts“ zum Thema „Exercise Mimetics“ ordentlich Schwung in den Kongress. Im Mittelpunkt standen vier unterschiedliche Therapieansätze: Ernährung, Bewegung, Inkretin-Mimetika und die metabolische Chirurgie. Die Expertinnen und Experten lieferten sich ein packendes Wortgefecht. Prof. Christine Joisten und Dr. Dorothea Portius stellten Lebensstilveränderungen als zentrale Säulen der Diabetestherapie heraus – wobei Joisten augenzwinkernd anmerkte, dass Sport dank der Endorphinausschüttung zumindest mehr Freude bereite als jede Diät. Prof. Matthias Blüher hingegen argumentierte klar zugunsten der Pharmakotherapie und verwies auf die überzeugende Evidenzlage in aktuellen Studien. Prof. Jürgen Ordemann stellte sich der Herausforderung, vor einem Saal voller Diabetologinnen und Diabetologen die Vorteile der bariatrischen Chirurgie darzulegen – und konnte mit eindrucksvollen Erfolgen insbesondere bei schwer adipösen Patient:innen, bei denen andere Maßnahmen nicht greifen, durchaus punkten. Der Abstimmungsvergleich vor und nach den Statements zeigte, dass er einige Zuhörer überzeugen konnte. Am Ende waren sich aber alle einig: Langfristigen Erfolg verspricht nur ein multidisziplinärer und individualisierter Ansatz.
Auch im letzten „Battle of the Experts“ des Kongresses wurde kontrovers diskutiert – diesmal über die Zukunft der Präzisionsdiabetologie. Für die neue DDG-Präsidentin Prof. Julia Szendrödi ist Präzisionsmedizin ein „moralischer Auftrag“. Sie veranschaulichte die Vielzahl der Einflussfaktoren auf den Krankheitsverlauf von Diabetes anhand einer Grafik. Nicht alle Betroffenen profitieren vom „Goldstandard“. Ihr Kontrahent, der Mathematiker Prof. Oliver Kuß, wies hingegen auf die bislang noch dünne Studienlage hin und zeigte anhand aktueller Zahlen, dass Präzisionsdiabetologie Ressourcen bindet, bislang aber noch keine statistisch signifikanten Vorteile nachweisen kann. Auch hier herrschte zum Schluss Einigkeit: Es braucht geschickte und durchdachte Studiendesigns, um die tatsächlichen Vorteile der Präzisionsdiabetologie zu zeigen.
DANK-Symposium
Auch im DANK-Symposium stand das Thema Prävention im Fokus. Barbara Bitzer hob die zentrale Bedeutung der Verhältnisprävention hervor. Die Expertinnen und Experten kritisierten insbesondere das mangelnde Interesse der Politik an diesem wichtigen Feld. „Wir können es uns schlichtweg nicht mehr leisten, nichts zu tun“, mahnte Bitzer. Prävention müsse frühzeitig beginnen und dürfe nicht als individuelle Schuldfrage verstanden werden. Vielmehr seien politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen notwendig, die gesunde Lebensweisen nachhaltig erleichtern.
Autorin: Birgit Schulze
Bildquelle:© Stefan Gagel



