Seit sechs Monaten läuft die Elektronische Patientenakte (ePA) im Praxistest. Die Schlüssel-Parameter für ein Zwischenzeugnis sind die Zugriffsraten in den allgemeinärztlichen Praxen. Bislang fällt die konkrete Nutzung dürftig aus, sodass die politische Opposition und der Hausärzteverband murren. Auf dem Hauptstadtkongress betonten Experten die Notwendigkeit der intensiven intersektoralen Nutzung der ePA.
Im Interview mit der „Rheinischen Post“ übte der Co-Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Markus Beier, Kritik an der Umsetzung. „Der ePA für alle droht eine Bruchlandung. Die Zahl der aktiven Nutzer ist ernüchternd. Wenn die Verantwortlichen weiter machen wie bisher, dann wird eines der wichtigsten versorgungspolitischen Projekte der letzten Jahre langsam, aber sicher scheitern“, sagte Beier der RP. Der Elektronischen Patientenakte sprach Dr. Beier in ihrer aktuellen Version die Alltagstauglichkeit ab. Als Defizite nannte der Allgemeinarzt den nach seiner Darstellung komplizierten Registrierungsprozess, die störanfällige Technik sowie die sehr niedrige Nutzungsrate.
Politik befürchtet ebenfalls das Scheitern des Projekts
In der Politik wird die Kritik an der zögerlichen Einführung der Elektronischen Patientenakte lauter. In einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ äußerte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen die Befürchtung, das zentrale Digitalisierungsprojekt könnte scheitern. Dahmen kritisierte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und machte sie indirekt für Sterbefälle im Gesundheitssystem aufgrund mangelnder Digitalisierung verantwortlich. Dahmen prangerte das zu geringe ePA-Tempo der Ministerin an. AOK-Bundesverband, Techniker Krankenkasse und Barmer Ersatzkasse hatten nach dem Start des Angebots im April bemängelt, dass bislang offenbar weniger als drei Prozent der 74 Millionen angelegten elektronischen Patientenakten in der Praxis genutzt würden. Die geringe Nutzung der Akten liege nicht an Ablehnung, sondern daran, dass relevante Inhalte fehlten, betonte Dahmen. Die versprochenen Anwendungen wie Laborwerte, Arztbriefe oder Impfpass müssten endlich kommen – sonst bleibe die ePA ein leeres Versprechen.
ePA auf dem Prüfstand
Auf dem Berliner Hauptstadtkongress stellten Experten die Elektronische Patientenakte auf den Prüfstand. Nach sechs Monaten Betrieb sollte ein erstes Zwischenfazit gezogen werden. Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit erinnerte an die schonungslose Analyse des Chaos Computer Clubs in der Weihnachtszeit 2024. In der IT-Sicherheit und der Verlässlichkeit hat sich seither laut Kastl einiges verbessert. Kastl ist IT-Entwicklerin sowie Sicherheitsforscherin und arbeitet mit dem CCC zusammen. Im Hinblick auf die 2024 festgestellten Lücken habe es viel zu lange gedauert, bis die Gematik reagiert hätte. Für eine wirkungsvolle vertrauensbildende Nutzung digitaler Instrumente brauche es eine Transparenz und die Fähigkeit, solche Fehler schnell und effektiv zu korrigieren. „Die Arztpraxis darf nicht die erste Verteidigungslinie für die Datensicherheit der ePA sein. Diese Aufgabe kann man den Praxen nicht zumuten“, forderte Kastl.
Gematik mahnt den richtigen Umgang mit SMC-B-Karten an
Gematik-Chef Dr. Florian Fuhrmann berichtete zufrieden über 500 abgearbeitete Datenschutz-Tickets und 28 Millionen ePA-Aufrufe in einer Woche. Er beteuerte, dass die Gematik ihre Fehler- und Gefährdungsanalysen nach den CCC-Hinweisen hinterfragt hätte. Allerdings müsse man sich zum Beispiel darauf verlassen können, dass alle Arztpraxen vorschriftsmäßig mit den SMC-B-Karten umgingen. Unter dem Strich hätten 50.000 Krankenhäuser, Praxen und Apotheken auf die ePAs zugegriffen. „Wenn es noch Lücken gibt, werden wir sie schließen.“ Dr. Fuhrmann appellierte an die Ärzte, nicht bis zur Befüllungs-Deadline am 30. September zu warten. Dann werde es in der Hotline „sehr knubbelig“. Einen österreichischen Blick auf die deutschen Digitalisierungsprobleme gewährte Sebastian Mörth von AmCham Austria, der an der ePA-Realisierung im Nachbarland mitwirkt. „Es ist sicher ein Vorteil, wenn es neun Bundesländer gibt und nicht 16 wie in Deutschland. Trotzdem ist der Föderalismus auch in Österreich stark ausgeprägt. Die Opt-out-Quote der ePA liegt bei 2,8%. Die ablehnende Gruppe gewinnt man in keinem Fall – unabhängig davon, welche Lösung auch immer angeboten wird. In Österreich gab es auch massive Medienkampagnen, die vor Darknet-Abfluss von Gesundheitsdaten warnten“, berichtete Mörth. Er sprach sich für Verpflichtung, Sanktionsandrohung und Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems aus. „Sonst sitzen wir in fünf Jahren immer noch hier und beklagen den PDF-Datenfriedhof im Netz.“
KBV klopft sich bei der Digitalisierung auf die Schultern
„Das ambulante System ist der am besten digitalisierte Bereich im Gesundheitswesen“, gab Dr. Sybille Steiner, Mitglied im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), zu Protokoll. Allerdings bezog Steiner ihre Aussage auf das Elektronische Rezept und die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dr. Steiner beklagte andererseits nach wie vor hohe Hürden zwischen den Sektoren. Von entscheidender Bedeutung sei es, dass die Elektronische Patientenakte auch in den Krankenhäusern heimisch werde „Wenn es uns nicht gelingt, die intersektoralen Hürden in der ePA-Nutzung zu überwinden, dann war das Ganze ein netter Versuch, aber nicht mehr. Das ganze Konzept macht erst dann Sinn, wenn auch die Krankenhäuser die ePA voll nutzen.“
KBV-Vorständin Steiner forderte zudem die Einführung des elektronischen Briefs bei Entlassung. „Die Entlassbriefe müssen digital vorliegen, der Informationsfluss muss funktionieren, denn darin liegt der Mehrwert der ePA.“ Sie betonte auch die Schlüsselrolle der ePA bei der Patientensteuerung. Es kann nicht länger so sein, dass der Patient alle seine Daten vom Hausarzt zum Facharzt, ins Krankenhaus und dann wieder zurück in die ambulante Nachsorge trägt, so Dr. Steiner. Gerade diese Datentransparenz sei der zentrale Vorteil der ePA, und deshalb dränge die KBV auch so darauf, dass sie reibungslos funktioniere. Zusätzlich setzt sich die KBV für eine Volltextsuche sowie die Möglichkeit einer Remote-Nutzung im Kontext von Videosprechstunden ein.
Digitale Medikationsliste ist der Gamechanger
„Die elektronische Medikationsliste wird wirklich ein Gamechanger. Es ist schade, dass diese positiven Aspekte des verbesserten Informationsflusses angesichts der Diskussion um die IT-Sicherheit stark in den Hintergrund gedrängt wurden“, bedauert Steiner. Das Feedback aus den Praxen zeige allerdings auch, dass auch viele Patienten sehr schlecht über die ePA informiert seien. „Das ist natürlich Aufgabe der Krankenkassen, die in dieser Frage der Aufklärung ihrer Mitglieder zu wenig tun.“ Auch Gematik-Chef Fuhrmann blickte in die Zukunft: Der Messenger-Dienst der Telematik-Infrastruktur (TIN) wird ein Teil der ePA werden. Darüber kann dann die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten, Ärzten untereinander sowie zwischen Niedergelassenen und Krankenhausärzten stattfinden, so Dr. Fuhrmann. „Damit können wir die Kommunikation auf ein neues Level heben. Es wird dann eine Weiterentwicklung der elektronischen Medikationsliste geben. Die Themen Labordaten und Impfen sind ebenfalls im Blick.“ Das Ziel seien wirkliche digitale Prozesse mit strukturierten Daten. Die Epoche der PDF-Daten werde Schritt für Schritt zu Ende gehen. Ab 1. Oktober sind alle Allgemeinärzte verpflichtet, die Elektronischen Patientenakten ihrer Patienten mit Daten zu befüllen. Wer das nicht bis zum 1. Januar 2026 getan hat, muss dann mit finanziellen Sanktionen rechnen. Die Uhr tickt.
Autor: Franz-Günter Runkel
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