Die Maxime bei der Verwendung von Antibiotika in der Therapie sollte lauten:So häufig wie nötig, aber so selten wie eben möglich!“ Leider sprechen eine Reihe von Indizien dafür, dass für die Entscheidung für oder wider eine Therapie mit einem Antibiotikum ganz banale Kriterien und nicht wirklich medizinische Gründe die entscheidende Rolle spielen.
Die Zeiten sind vorüber, wo als wichtigste Indikation für die Verordnung eines Antibiotikums der Wunsch darin bestand, dem „Patienten etwas Gutes“ zu tun oder „nichts falsch zu machen“ und in diesem Zusammenhang die Überlegung zusätzlich motiviert hat, „wenn es nicht hilft, es schadet ja nicht“. Neben der Problematik zunehmender Resistenzen sollten wir die Nebenwirkungen der verschiedenen Antibiotika, aber auch deren andere negativen Einflussnahmen bedenken. So ganz nebenbei sind auch der zunehmend kritische Patient und dessen Möglichkeiten zur Information im Internet mit ins Kalkül einzubeziehen.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor, zugegeben fiktiv, aber durchaus denkbar:
Ein Patient stellt sich mit einem Infekt in Ihrer Praxis vor. Weil er so leidet und Sie sich nicht sicher sind, um welche Form eines Infektes es sich handelt, verordnen Sie zur Sicherheit ein Antibiotikum. Drei Monate später erhalten Sie den Brief eines Rechtsanwalts, in dem Ihnen mitgeteilt wird, dass Ihr Patient Sie verklagt hat.
Was war geschehen? Während der Behandlung entwickelte der Patient Durchfall. Als folgsamer Patient nahm er das Antibiotikum aber weiter ein. Leider verschlimmerte sich der Durchfall verbunden mit krampfartigen Bauchschmerzen, sodass sich Ihr Patient gezwungen sah, am Wochenende ein Krankenhaus aufzusuchen. Dort wurde er stationär aufgenommen. Die Stuhluntersuchung ergab einen Befall mit Clostridium difficile, einem Keim, der regelmäßig in kleiner Zahl und damit harmlos im Magen-Darm-Trakt zu finden ist, sich aber bei getöteten „Kontrollbakterien“ stark vermehren und zu einer Darmentzündung führen konnte.
Ihr Patient erhielt ein Antibiotikum gegen die Clostridieninfektion (CDI). Weil der Erfolg ausblieb, wurde zu einer Zweierkombination gewechselt, aber ebenfalls erfolglos. Die Stühle wurden zunehmend schleimig-blutig und Ihr Patient entwickelte ein akutes Abdomen. Die hinzugezogenen Chirurgen entschieden sich zu einer Operation, in deren Verlauf sie gezwungen waren, das gesamte Kolon zu entfernen, um das Leben des Patienten zu retten. Während der vielen Visiten und Diskussionen an seinem Bett gelangte Ihr Patient zu der Überzeugung, dass seine ganzen Probleme durch eine Antibiotikumtherapie ausgelöst worden waren, die offensichtlich zwar gut gemeint, aber eigentlich überflüssig gewesen war.
Antibiotika – Segen und Fluch
Es besteht kein Zweifel, die Entdeckung des Penicillins und die spätere Entwicklung weiterer Antibiotika war ein Segen für die Menschheit. Dies hat viele Menschenleben retten und zusammen mit Impfungen und besseren Lebensumständen zur Steigerung der Lebenserwartung einen wertvollen Beitrag leisten können. Hinweise auf antibiotische Wirkungen gab es schon lange. Schon immer mussten sich Pilze gegen den Angriff durch Bakterien wehren. So konnten Wissenschaftler in Bohrkernen aus dem Permafrost in Alaska 5.000 Jahre alte antibiotische Substanzen nachweisen. In der Antike legten Chirurgen schimmelige Lappen auf Wunden, um Infektionen zu verhindern. Und arabische Stallknechte lagerten Sättel in feuchten Kammern, damit sie schimmelten. Scheuerwunden durch Sättel heilten so schneller.
In neuerer Zeit beschrieb Bartolomio Gosio 1893 einen therapeutischen Effekt eines Isolates gegen Milzbranderreger. Seine Publikation blieb unbeachtet, möglicherweise weil sie in italienischer Sprache verfasst ist. Ernest Duchesne erwähnte 1900 in seiner Dissertation: „Bestimmte Schimmelpilze haben antibiotische Wirkung.“ Dies fußt auf der Beobachtung im Militärhospital. Es dauerte aber noch bis 1928, bis das Penicillin durch die Aufmerksamkeit von Alexander Fleming „endlich“ entdeckt und nach nur wenigen Jahren gezielt therapeutisch genutzt werden konnte.
Es hat keine 100 Jahre gebraucht, bis wir durch unseren leichtfertigen und zu häufigen Einsatz eine scharfe Waffe haben stumpf werden lassen. Beispielhaft sei die Entwicklung der Penicillinresistenz von Staphylococcus aureus erwähnt:
- 1944: Einführung von Penicillin
- 1948: Auftreten erster Penicillin-Resistenzen
- 1950: 80 % aller Staph.-aureus-Isolate gegen Penicillin resistent
- 1961: Einführung von Methicillin
- 1963: Auftreten Methicillin-resistenter Staph. aureus (MRSA)
Die Bakterien lernten schnell, sich gegen die Wirkung der Antibiotika zu schützen, und entwickelten Resistenzen. Inzwischen sterben Menschen an resistenten Keimen: in Europa rund 25.000 pro Jahr, in den USA etwa 23.000 und weltweit 700.000 bis mehrere Millionen.
Nachschub an neuen wirksamen Antibiotika ist bis auf wenige Ausnahmen nicht in Sicht, allein schon, weil sich die Entwicklung bei zu geringem Gewinn wirtschaftlich nicht lohnt. Andere Medikamente, zum Beispiel zur Behandlung von Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Atemwegserkrankungen, sind um ein Vielfaches lukrativer. Hinzuzufügen ist, dass der Effekt eines neuen Antibiotikums schnell weg ist. Die Entwicklung dauert etwa zwölf bis 14 Jahre. Aber bereits drei bis fünf Jahre nach der Neueinführung eines Antibiotikums lassen sich erste Resistenzen nachweisen.
Einsatz von Antibiotika – eher leichtfertig und weniger von der Ratio gesteuert?
Für einen eher „leichtfertigen“, nicht unbedingt medizinisch indizierten Einsatz gibt es leider einige Indizien: Schaut man sich die Verordnungszahlen in den Altersgruppen an, erstaunt der höchste Verbrauch bei den Kindern im Alter bis zu vier Jahren (Abb.).3 Die Verordnungshäufigkeit (in %) im Kindesalter erschreckt, wenn man bedenkt, dass fast 70% der Kinder im Alter unter fünf Jahren im Lauf des Jahres 2010 ein Antibiotikum verordnet wurde. Dieser Wert ist etwa doppelt so hoch wie bei den anderen Altersgruppen. Auch bei Kindern werden etwa 80% der Infektionen durch Viren verursacht, sodass dafür keine Erklärung zu finden ist. Eher wahrscheinlich und „gut“ verständlich ist eine vorsorgliche Verordnung bei fehlenden Möglichkeiten, eine Differenzierung per Anamnese vornehmen zu können, und ein sehr variabler und oft irritierender Auskultationsbefund.
Ist der klinische Befund „eindeutig“, wie bei der Pneumonie (CAP), sofern etwas zu hören ist, unterscheiden sich die zwei Gruppen nicht. Nimmt aber die „Musik“ beim Auskultieren zu (AECOPD – akute Exazerbation einer COPD, Bronchitis, Asthma), steigt auch die Neigung zum Einsatz eines Antibiotikums. Die Therapie erfolgt auch hier in vielen Fällen vermutlich gesteuert vom Auskultationsbefund eher zur Sicherheit und Fehlervermeidung denn als präzise Indikation. Selbst die Krankenkassen haben indirekt Einfluss auf das Verordnungsverhalten. Wird ein schwer Kranker im Krankenhaus betreut, ist die Fortsetzung der Kostenübernahme trotz seiner schweren Krankheit nicht sicher. Erhält der Patient aber ein Antibiotikum i.v., ist die Fortsetzung der Kostenübernahme gesichert.
Autor: Dr. med. Thomas Hausen
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