Am 8. Oktober fand das 67. Fielmann Akademie Kolloquium statt. Im Mittelpunkt der internationalen Konferenz stand der Keratokonus. Zum zweiten Mal wurde das Kolloquium in Kooperation mit der European Academy of Optometry and Optics (EAOO) in englischer Sprache ausgerichtet.
Die Veranstaltung wurde eröffnet von Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön, Prof. Dr. Daniela Nosch, M.Sc. clin. Optom. vom Institut für Optometrie der Fachhochschule Nordwestschweiz und Mitglied des Educational Committees der EAOO, sowie Rupal Lovell-Patel, BSc (Hons), Academic Lead für Vision Sciences an der University of Central Lancashire und Präsidentin der EAOO. Gemeinsam begrüßten sie über 170 Teilnehmende aus über 40 Ländern. Beide Organisationen verfolgen das Ziel, die Weiterentwicklung der Optometrie voranzutreiben, Plattformen für lebenslanges Lernen in der Augenoptik und Optometrie zu schaffen und Fachleute aus ganz Europa zu vernetzen.
Der Keratokonus sei eine fortschreitende, meist bilateral auftretende Ektasie der Hornhaut, die im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter beginne. Durch die Verdünnung und kegelförmige Vorwölbung der Hornhaut komme es zu irregulärem Astigmatismus, erhöhter Blendempfindlichkeit und einer deutlichen Einschränkung der Sehqualität, erläuterte Dimitrios Karamichos, PhD Vice President for Research and Graduate Studies and Executive Director and Endowed Chair of the North Texas Eye Research Institute at the UNT Health Fort Worth zum Einstieg in seinen Vortrag. Die Prävalenz der Erkrankung habe in den letzten Jahren durch verbesserte Bildgebung deutlich zugenommen. Aktuelle Schätzungen liegen bei etwa 1:400 bis 1:2000, in pädiatrischen Populationen sogar bei 1:334. Dabei zeigen sich ethnische Unterschiede mit einem höheren Vorkommen bei afroamerikanischen, hispanischen und südasiatischen Patienten.
Pathophysiologie des Keratokonus
Trotz intensiver wissenschaftlicher Bemühungen bleibe die Ätiologie des Keratokonus multifaktoriell und in ihren pathophysiologischen Zusammenhängen nur unvollständig verstanden. Einige Studien zeigen erhöhte Spiegel entzündungsfördernder Signalstoffe sowie Matrix-Metalloproteinasen in Hornhäuten mit Keratokonus. Matrix-Metalloproteinasen seien Enzyme, die den stromalen Kollagenabbau fördern. Oxidativer Stress und eine Instabilität des Tränenfilms führen zur weiteren Schädigung der Telomere der Hornhautzellen. Telomere schützen die in den Chromosomen liegende Erbinformation vor Funktionsverlusten, die durch wiederholte Zellteilungen entstehen können. Dies könne die Ausdünnung und Vorwölbung der Hornhaut begünstigen. Die Genetik spiele seit Langem eine bedeutende Rolle beim Versuch die Erkrankung besser zu verstehen. Bis heute seien eine Vielzahl von Genen identifiziert worden, die mit der Entstehung eines Keratokonus assoziiert werden. Diese lassen sich jedoch nicht in jeder erkrankten Hornhaut nachweisen, manchmal kommen sie nicht einmal innerhalb derselben Familie vor. Gleichzeitig beobachte man ein gehäuftes Keratokonus-Risiko im Zusammenhang mit syndromalen Erkrankungen, wie beispielsweise der Trisomie 21. Auch hormonelle Veränderungen während der Pubertät und Schwangerschaft werden mit dem Ausbruch und dem Fortschreiten der Erkrankung in Verbindung gebracht. Diese intrinsischen Risikofaktoren werden durch externe Einflüsse wie Allergene, Umweltfaktoren und mechanische Belastungen, etwa wiederholtes Augenreiben, ergänzt. Diese Faktoren stützen die Hypothese eines chronischen Traumas der Cornea, das mit der Entstehung von Epithelschäden einhergehe.
Konventionelle Diagnostik
Keratokonus wird häufig nur zufällig entdeckt, wenn die Sehkraft bereits beeinträchtigt ist. Die präzise und frühzeitige Diagnose des Keratokonus bleibe eine der größten Herausforderungen in der modernen Hornhautdiagnostik, eröffnete Michael Belin, MD, Professor of Ophthalmology and Vision Science at the University of Arizona Department of Ophthalmology and Southern Arizona Veterans Administration Health Care System in Tucson, Arizona. Zur Basisdiagnostik des Keratokonus gehöre die Hornhauttopographie, bei der mittels Placido-basierter Systeme die Krümmung der Cornea-Vorderfläche erfasst werde. Dieses Verfahren sei in seiner Aussagekraft deutlich eingeschränkt, da es weder die posterioren Hornhautstrukturen noch die negativen Brechkraftkomponenten der hinteren Hornhaut erfasse. Zudem können aufgrund anatomischer und optischer Einschränkungen maximal rund 60 Prozent der Hornhautfläche abgebildet werden. In diesem Zusammenhang verwies Belin auf ein Konsensuspapier von 2015 zur Definition und Diagnose des Keratokonus, das eine abnorme hintere Hornhautkrümmung, eine pathologische Verteilung der Hornhautdicke und eine nichtentzündliche Ausdünnung als zentrale diagnostische Kriterien des Keratokonus definiere, nicht jedoch Veränderungen der vorderen Oberfläche. Eine ausschließliche Analyse der Vorderfläche kann frühe oder subklinische Formen des Keratokonus übersehen.
Belin-Ambrosio-Klassifikation
Als entscheidenden Fortschritt stellte Belin insbesondere die Scheimpflug- und OCT-basierte Hornhautbildgebung heraus. Diese tomographischen Verfahren ermöglichen die simultane Erfassung der vorderen und hinteren Hornhautoberfläche sowie der pachymetrischen Progression. Damit lassen sich strukturelle Veränderungen dokumentieren, bevor visuelle Einschränkungen auftreten. Belin illustrierte dies anhand mehrerer klinischer Beispiele, in denen Patienten trotz normaler Vorderflächen und stabiler maximaler Hornhautbrechwerte (Kmax) deutliche Veränderungen in der Hornhautdicke und eine progressive posteriore Ektasie aufwiesen. Ein zentrales Konzept des Vortrags war die ABCD-Klassifikation, die Belin gemeinsam mit Renato Ambrosio entwickelt hat. Sie integriere vier Parameter: die vordere (A) und hintere (B) Hornhautkrümmung, die minimale Pachymetrie (C) und die bestkorrigierte Sehschärfe (D). Dieses System erlaube eine differenzierte Beurteilung der frühen Krankheitsprogression, indem Veränderungen jeder anatomischen Schicht separat bewertet und in Beziehung zu populationsbasierten Konfidenzintervallen gesetzt werden. Belin schloss mit einem Appell an die klinische Praxis: Tomographische Verfahren sollten nicht nur in chirurgischen Zentren, sondern auch in optometrischen Einrichtungen zum Standard werden. Frühzeitige Bildgebung, ergänzt durch Anamneseparameter wie Augenreiben und familiäre Belastung, sei die Grundlage für eine präventive Ophthalmologie, die nicht nur das Fortschreiten, sondern den Verlust der Sehschärfe selbst verhindern könne.
Therapie des Keratokonus
Die Behandlungsstrategien hängen vom Stadium der Erkrankung ab. Im Frühstadium des Keratokonus können Brillen oder weiche Kontaktlinsen die Sehkraft korrigieren. Wenn die Erkrankung fortschreitet, werden formstabile oder sklerale Kontaktlinsen erforderlich, um die Sehschärfe zu verbessern. Der bedeutendste therapeutische Fortschritt der letzten zwei Jahrzehnte war die Einführung des Cross-Linkings (CXL). Cross-Linking ist ein Verfahren, bei dem Riboflavin auf die Hornhaut aufgebracht wird und es mit Hilfe von UV-A-Strahlung zu einer photochemischen Reaktion kommt. Dadurch erhöht sich die Festigkeit der Hornhaut und eine weitere Ektasie wird verhindert. Bei Versagen der konventionellen Therapien können chirurgische Interventionen, wie eine Keratoplastik, die letzte Option sein.
Historie des Cross-Linkings
Prof. Dr. Dr. Farhad Hafezi, Medical Director of the ELZA Institute Dietikon, Switzerland, Professor at the Universities of Geneva, Los Angeles and Wenzhou gilt als einer der Pioniere des Cross-Linkings. Er nahm die Zuhörer mit auf eine wissenschaftliche und klinische Zeitreise dieser Technologie. Die Ursprünge des Cross-Linkings liegen in Deutschland. Das ursprüngliche Therapie-Protokoll sei in den späten 1990er Jahren von Theo Seiler in Dresden entwickelt worden. In dieser frühen Phase seien die wesentlichen Parameter wie die UV-Bestrahlungsintensität mit 3 mW/cm² über 30 Minuten eher pragmatisch als wissenschaftlich festgelegt worden. Dennoch habe sich diese Kombination als äußerst wirksam erwiesen. Die Weiterentwicklung des Cross-Linkings habe vor allem darauf abgezielt, die Behandlungszeit zu verkürzen, indem die Bestrahlungsintensität erhöht worden sei. Diese Überlegung stütze sich auf die im Bunsen-Roscoe-Gesetz beschriebenen physikalischen Zusammenhänge, wonach die photochemische Wirkung proportional zur Gesamtenergie sei. Im klinischen Alltag habe sich jedoch gezeigt, dass durch diese Anpassung die biomechanische Wirkung abnehme. Als Ursache werde angeführt, dass Sauerstoff ein entscheidender Faktor im photochemischen Prozess sei. Unter verkürzter Reaktionszeit, könne nicht genügend Sauerstoff in das Hornhautstroma diffundieren, sodass die Vernetzungswirkung eingeschränkt bleibe. Diese Erkenntnis sei der Ausgangspunkt für eine bemerkenswerte Reihe von Weiterentwicklungen gewesen.
Moderne Entwicklungen des Cross-Linkings
So habe Hafezis Zürcher Arbeitsgruppe im Jahr 2021 ein Hochfluenz-Protokoll vorgestellt, das mit einer Energie von zehn Joule trotz einer Bestrahlungszeit von nur rund neun Minuten eine vergleichbare Wirksamkeit wie das Dresdner Protokoll erreicht habe. Dieses Verfahren werde seither vor allem bei stark fortschreitendem Keratokonus, bei sehr jungen Patienten und bei postoperativen Ektasien eingesetzt. Parallel dazu werde intensiv an der Weiterentwicklung epithelschonender Verfahren geforscht, den sogenannten Epi-on-Techniken. Da das Epithel dabei erhalten bleibe, sei das Infektionsrisiko reduziert, der Heilungsprozess beschleunigt und die Beschwerden fallen insgesamt geringer aus. Für bessere Ergebnisse seien zunächst erhöhte Sauerstoffkonzentrationen unter speziellen Brillen und der elektrostatische Transport von Riboflavin mittels Iontophorese erprobt worden. Mittlerweile sei es durch verbesserte penetrationsverstärkende Substanzen gelungen, ohne diese im Handling aufwändigen Hilfsmittel sehr gute Ergebnisse beim Cross-Linking zu erzielen. Als weiteren Meilenstein benannte Hafezi die Möglichkeit, durch spezifische Algorithmen die Bestrahlungsenergie individuell an die Hornhautdicke anzupassen und so selbst extrem dünne Hornhäute bei Keratoglobus behandeln zu können. Die jüngste Entwicklung sei die ELZA-PACE-Technik, eine Methode des Cross-Linkings zur gezielten Verbesserung der Sehqualität. Entgegen dem Trend das Epithel unversehrt zu lassen, werde für die Therapie das Epithel im Bereich der Keratokonusspitze mit einem Excimer-Laser entfernt. Auf diese Weise werde die Durchlässigkeit für Riboflavin und Sauerstoff an der Stelle der stärksten Vorwölbung maximiert. Die anschließende UV-Bestrahlung werde individualisiert, um im Bereich der Konusspitze die höchste Fluenz zu erreichen. Das Zusammenspiel aus lokaler Epithelentfernung, optimierter Riboflavinaufnahme, erhöhter Sauerstoffverfügbarkeit und personalisierter UV-Dosierung bewirke eine stärkere Vernetzung an der Konusspitze. Dadurch werde die Hornhaut nicht nur stabilisiert, sondern auch gezielt abgeflacht, was zu einer Verbesserung der optischen Qualität führe.
Kontaktlinsen in der optometrischen Rehabilitation
Thomas Hofmann MSc., Optometrist, Inhaber des Optometrie Zentrums in Basel, betonte in seinem Vortrag die wachsende Bedeutung individuell angepasster Kontaktlinsen in der optometrischen Rehabilitation von Patienten mit Keratokonus, Hornhauttransplantationen und anderen schweren Irregularitäten des vorderen Augenabschnitts. Die Versorgung habe sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt: weg von standardisierten Anpassverfahren hin zu hochindividualisierten, digital gestützten Lösungen. Grundlage dieser Entwicklung seien präzise Messmethoden, die nicht nur die Hornhauttopografie, sondern weite Teile des vorderen Augenabschnitts dreidimensional erfassen. Mithilfe dieser 3D-Oberflächenmodelle können maßgeschneiderte Kontaktlinsen gefertigt werden, deren Rückflächengeometrie exakt der individuellen Augenform folgen. Der Herstellungsprozess erlaube Anpassungen in allen drei Raumachsen, sodass sphärische, torische und segmentierte Designs mit hoher Präzision realisiert werden können. Bei der Anpassung von Sklerallinsen rücke die Sklera in den Fokus, die, anders als gemeinhin angenommen, nur in den wenigsten Fällen sphärisch sei. Für eine optimale Anpassung seien meist quadrantenspezifische oder Freeform-Designs erforderlich, die den individuellen Profilverlauf exakt nachbilden.
RGP oder Sklerallinse?
Während Sklerallinsen aufgrund ihrer Stabilität und optischen Qualität bei irregulären Hornhäuten Vorteile bieten, betonte Hofmann, dass die einfacheren RGP-Systeme weiterhin ihre Berechtigung haben. Sie seien kosteneffizient, leicht handhabbar und oft die praktikablere Lösung bei moderaten Deformationen oder limbusnahen Transplantaten. Die Wahl des geeigneten Systems hänge von Parametern wie der numerischen Exzentrizität, der Lage des Apex und der Krümmung der zentralen Kornea ab. Seine Entscheidungsprozesse illustrierte Hofmann anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis – von asymmetrischen Astigmatismen über fortgeschrittene Pellucide Marginale Degeneration (PMD) bis hin zu Fällen nach multiplen Transplantationen mit Graft-versus-Host-Reaktionen. Dabei zeigte er, dass der optometrische Erfolg häufig im Detail liegt: Ein minimaler Unterschied in der Scheiteltiefe oder eine unzureichende Randgestaltung könne den Unterschied zwischen tragbarem Komfort und mechanischer Irritation ausmachen. Bei all den heute bereits verfügbaren Möglichkeiten der Individualisierung plädierte Hofmann dafür, die einfachen Lösungen nicht aus den Augen zu verlieren. Die einfachste Lösung sei die Beste, aber es sei nicht einfach, die beste Lösung zu finden. Mit einer intensiven und spannenden Diskussion endete das 67. Fielmann Kolloqium.
Quelle: Fielmann Akademie, Pressemitteilung vom 12. Nov. 2025



