Allgemeinmedizin » Sonstiges

»

ApoVWG: Gefährlicher Irrweg in der Versorgung

Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier

ApoVWG: Gefährlicher Irrweg in der Versorgung

Berufspolitik

Allgemeinmedizin

Sonstiges

mgo medizin

Franz-Günter Runkel

freier Redakteur

6 MIN

Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Der Entwurf des neuen Apothekenversorgung-Weiterentwicklungsgesetzes (ApoVWG) soll die ambulante Versorgungsstruktur umkrempeln. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will Apotheken erlauben, bestimmte Arzneimittel ohne allgemeinärztliches Rezept abzugeben, Impfungen zu verabreichen und auch Spielräume für Vorsorge und Früherkennung stark zu erweitern. Hausärzteverband und die übrigen maßgeblichen Ärzteverbände üben scharfe ­Kritik am Gesetzentwurf und warnen eindringlich.

Zudem soll die Gründung von Apotheken-Zweigstellen erleichtert werden, sodass sich die Konkurrenzsituation für Hausarzt-Praxen sowohl strukturell als auch inhaltlich erheblich verschärfen könnte. Neben den Plänen zur Notfallreform entsteht hier ein zweites Instrument des Bundesgesundheitsministeriums zur Einsparung von Zeit und Geld. Das BMG rechnet vor, dass der Patient rund 45 Minuten Zeit spart, weil er Medikamente direkt in der Apotheke und ohne Umweg über die allgemeinärztliche Praxis erhalten kann. Pro Fall knöpft das BMG dem verschreibenden Hausarzt 14 Euro Arzthonorar ab. Allerdings muss dies oft geschehen, damit es sich finanziell unter dem Strich lohnt. Pro Medikament sollen Apotheker fünf Euro zusätzlich erhalten.

Neuregelungen für Folgerezepte und „unkomplizierte Erkrankungen“

Die im Entwurf definierten neuen Regeln für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel zeigen eine invasive Zäsur der bisherigen Praxis. Im Grunde kann jedes Folgerezept für Chroniker nach mindestens vier Quartalen vom Apotheker verschrieben und abgegeben werden. Allerdings ist das nur für eine N1-Packung in Kombination mit einem Nachweis aus der elektronischen Patientenakte (ePA) oder einer anderen Quelle möglich. Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial wie Betäubungsmittel, opioidhaltige Präparate, Hypnotika oder Sedativa sind allerdings ausgenommen. In Zukunft soll der Apotheker auch bei „unkomplizierten Erkrankungen“ sowie klarer Diagnose des Apothekers Medikamente abgeben dürfen. Auch hier muss das BMG sicher viele kritische Fragen beantworten.

Prävention, Früherkennung 
und Impfleistungen

Damit nicht genug, soll der Apotheker auch Früherkennung und Prävention in gewissem Umfang übernehmen. Ministerin Warken spricht im Entwurf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und tabakassoziierte Krankheiten an. Diese Leistungen sollen als pharmazeutische Dienstleistungen im Gesetz verankert werden. Vergütete Impfleistungen bei Totimpfstoffen sollen gleichfalls in der Apotheke erbracht werden dürfen. Das gilt zum Beispiel für Tetanus-Impfungen oder FSME-Impfungen gegen Zecken.
Kein Wunder, dass diese Vorschläge auf ärztlicher Ebene Empörung auslösen und als Eingriff in die Berufsfreiheit gebrandmarkt werden. Der Co-Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, Dr. Markus Beier, sprach gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe von von einem „Irrweg“ und warnte vor einer Gefährdung der Patientensicherheit. Nur der Hausarzt könne z.B. feststellen, ob eine Erkrankung wirklich unkompliziert sei. Selbst die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) prangert eine weitere wirtschaftliche Belastung in der ohnehin angespannten Situation der Apotheken an. Seit 2015 hätte jede fünfte Apotheke in Deutschland schließen müssen.

HÄV prangert Dammbruch
in der Versorgung an

Scharfe Kritik haben die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, an den Berliner Plänen geübt: „Die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums zur vermeintlichen Stärkung der Apotheken sind ein Dammbruch und eine Gefahr für die Patientensicherheit. Wir fordern das Bundesgesundheitsministerium dringend auf, die Notbremse zu ziehen und dieses Vorhaben zu stoppen! Das wird weder die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern noch die Arztpraxen entlasten.“
Mit dem Vorhaben, Apotheken die Möglichkeit zu geben, zukünftig verschreibungspflichtige Arzneimittel eigenständig zu verschreiben und dann auch gleich abzugeben, überschreitet die Politik nach HÄV-Darstellung „eine rote Linie“ Apothekerinnen und Apotheker würden hier mit Aufgaben betraut, für die sie ein Medizinstudium bräuchten. Vorgesehen seien nicht nur Folgerezepte aus Apotheker-Hand, sondern bei bestimmten Erkrankungen sogar die Erstverschreibung. Im Klartext bedeutet das: „In Zukunft werden verschreibungspflichtige Arzneimittel abgegeben, ohne dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten überhaupt zu Gesicht bekommen hat! Wie soll denn eine Apothekerin oder ein Apotheker am Tresen feststellen, ob es sich um eine unkomplizierte Erkrankung handelt und nicht beispielsweise um eine Lungenentzündung? Das ist ohne ärztliche Untersuchung nicht möglich! Das ist ein gefährliches Vorhaben“, warnen Buhlinger-Göpfahrt und Beier.
Im Sinne der Patientinnen und Patienten und der Qualität der Versorgung wenden sich die Hausärztinnen und Hausärzte klar und entschieden gegen diesen Rückschritt. Schon seit Längerem könnten Apotheken gegen Grippe und Corona impfen. Bisher werde dieses Angebot von den Patientinnen und Patienten kaum nachgefragt. Die Zahl der Impfungen in Apotheken bewegt sich laut HÄV nach wie vor auf sehr niedrigem Niveau. Nur wenige Apotheken würden die Impfungen überhaupt anbieten. „Die Politik ignoriert diese Erfahrungen jedoch einfach und möchte die Kompetenzen der Apotheken bei den Impfungen sogar noch weiter ausbauen! Wir wissen inzwischen aus zahlreichen Studien und Untersuchungen, dass die Impfquoten durch eine bessere Koordination gesteigert werden, nicht, indem man immer neue Impfstellen schafft. In den Hausarztprogrammen ist die Impfquote beispielsweise um zehn Prozent höher als in der Regelversorgung – und zwar ohne impfende Apotheken!“, stellt der HÄV fest.

Ärzteverbände attackieren riskante 
Fragmentierung der Versorgung

In einem gemeinsamen Brief an Ministerin Warken blicken sämtliche allgemein- und fachärztlichen Verbände sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung „mit großer Sorge auf die Pläne aus Ihrem Hause, Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die einer ärztlichen Qualifikation zwingend bedürfen. Die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich ‚unkomplizierten Erkrankungen‘ – überschreitet aus unserer Sicht eine rote Linie.“ Das bewährte Vier-Augen-Prinzip – Ärztinnen und Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apothekerinnen und Apotheker prüfen und geben Arzneimittel ab – sei ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung. Werde dieses Prinzip aufgeweicht, drohten fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit. Eine Apothekerin oder ein Apotheker am Tresen könne nicht zuverlässig erkennen, ob ein vermeintlich unkomplizierter Harnwegsinfekt nicht doch gerade einen komplizierten Verlauf nimmt oder eine andere ernsthafte Erkrankung dahintersteckt. Apothekerinnen und Apotheker verfügten nicht über die notwendige fachliche Qualifikation, eine solche Einschätzung vorzunehmen.
„Die Vorstellung, Arztpraxen würden auf diese Weise entlastet, greift (…) ins Leere.“ Gleichzeitig wird die Koordinierungsfunktion der Ärztinnen und Ärzte im Rahmen eines einzuführenden Primärarztsystems konterkariert. Im Gegenteil entstehen Doppelstrukturen, die mehr Bürokratie als Entlastung schaffen, so die Verbände. Gerade chronisch kranke Menschen profitierten von kontinuierlicher ärztlicher Begleitung bei der Arzneimittelverordnung. Nur so ließen sich aus Verbände-Sicht notwendige Therapieanpassungen vornehmen sowie Komplikationen und riskante Wechselwirkungen frühzeitig erkennen und die Patientensicherheit gewährleisten. „Ähnliches gilt für die geplante Ausweitung der Impf- und Diagnostikleistungen in Apotheken.“

Ein Beitrag von

mgo medizin

Franz-Günter Runkel

freier Redakteur

freier Redakteur für die Ressorts Berufs- und ­Gesundheitspolitik sowie Wissenschafts- und ­Hochschulpolitik

Weitere Beiträge zu diesem Thema

50 Jahre Jubiläum – Practica 2025 in Bad Orb

Kongressberichte

Die Practica in Bad Orb – einer der größten hausärztlichen Fortbildungskongresse in beschaulicher Umgebung – ließ es diesmal richtig krachen. Gefeiert wurde das 50-Jahre-Practica-Jubiläum mit umfangreichen Rahmenprogramm.

Allgemeinmedizin

Sonstiges

Beitrag lesen
Acne inversa Hurley II

Hidradenitis suppurativa/
Acne inversa

Fachartikel

Acne inversa bzw. Hidradenitis Suppurativa ist eine chronisch entzündliche Hauterkrankung.Sie zeigt sich typischerweise durch rezidivierende, häufig schubförmig auftretende inflammatorische Hautveränderungen. Mit zunehmender Dauer und steigender Entzündungsaktivität kommt es zu irreversiblen ­Gewebeschädigungen.

Allgemeinmedizin

Haut und Allergie

Mehr erfahren
Reihe von Fläschchen mit ätherischen Ölen, gefüllt mit Kräutern und Blumen, Symbol für Naturheilkunde und Aromatherapie.

Phytotherapie: Pflanzenheilkunde in der Kinderheilkunde

Fachartikel

Pflanzliche Arzneimittel sind in der Kinderheilkunde bei Eltern sehr akzeptiert, was die Adhärenz fördert. Bei passender Indikation kann Phytotherapie den Verlauf akuter Erkrankungen wie fieberhafte Infekte günstig beeinflussen. Dies bestätigt auch die S3-Leitlinie „Fiebermanagement bei Kindern und Jugendlichen“.

Allgemeinmedizin

Schmerz

Beitrag lesen