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Invasive Beatmung in der Neurointensivmedizin

Illustration: Ein Mann in blauem Shirt wird künstlich beatmet.

Quelle: Chinamon

Invasive Beatmung in der Neurointensivmedizin

Fachartikel

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Neurointensiv- und Notfallmedizin

Allgemeine Aspekte

mgo medizin

Dr. med. Victoria Bünger

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5 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Am 18. August 2025 wurde die erste Revision der S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz (AWMF-Reg.Nr. 001–021) nach einer dreijährigen Überarbeitungsphase veröffentlicht. Für die Revision hat die interprofessionelle Leitliniengruppe in verschiedenen Arbeitsgruppen Empfehlungen zu den Indikationen für eine invasive Beatmung, der Wahl des Beatmungsverfahrens, der Einstellung der Beatmungsparameter, begleitenden Therapien, extrakorporalen Gasaustauschverfahren, der Entwöhnung von der invasiven Beatmung und spezifischen Langzeitfolgen nach systematischer Sichtung der Literatur erarbeitet und konsentiert.
Eine Übersicht über die beteiligten Fachgesellschaften und die detaillierte Methodik findet sich im Leitlinienreport, der auf der Homepage der AWMF veröffentlicht ist. Im Folgenden wird eine Auswahl an unveränderten und neuen Empfehlungen vorgestellt, die nach Meinung der Autorinnen und Autoren von besonderem Interesse für die Neurointensivmedizin sind.


Die Indikation zur invasiven Beatmung bei polytraumatisierten Patientinnen und Patienten ist unverändert konsentiert worden: Bei polytraumatisierten Patienten schlagen wir bei folgenden Indikationen präklinisch eine Notfallnarkose, eine endotracheale Intubation und eine invasive Beatmung vor:
Hypoxie (SpO2 < 90 %) trotz Sauerstoffgabe und nach Ausschluss eines Spannungs-pneumothorax, schweres SHT (GCS < 9), schweres Thoraxtrauma mit respiratorischer Insuffizienz (Atemfrequenz ≥ 30/min, altersadaptiert bei Kindern)“. Bei fehlenden neuen qualitativ hochwertigen Studien wurde diese Empfehlung der S3-Leitlinie Polytrauma als schwache Empfehlung mit einer niedrigen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz übernommen [1, 2].

Bei Patientinnen und Patienten mit Bewusstseinsstörungen kann keine Empfehlung ausgesprochen werden, ab einem bestimmten Grad der Vigilanzminderung eine Indikation zur invasiven Beatmung zu stellen. Es existieren wenige, sehr heterogene Beobachtungsstudien, die selbst in den beiden Reviews zu keiner Empfehlung führen konnten. Die Gruppe der bewusstseinsgeminderten Patientinnen und Patienten ist so heterogen, dass die zugrunde liegende Erkrankung mit in die Indikationsstellung einbezogen werden sollte. Gerade bei potentiell reversiblen Syndromen, wie etwa dem stattgehabten epileptischen Anfall oder einer Intoxikation mit antagonisierbaren Substanzen, kann eine zurückhaltende Indikationsstellung sinnvoll sein. Risiken für eine Verlegung der Atemwege (z. B. bei fehlenden Schluck- und Hustenreflexen) oder der Einschränkung des Gasaustauschs sind hingegen Indikationen für eine invasive Beatmung. Letztere sind auch das Entscheidungskriterium bei neuromuskulären Erkrankungen.

Bei Patientinnen und Patienten mit superrefraktärem Status epilepticus sowie erhöhtem intrakraniellen Druck (ICP) besteht die Indikation zu einer tiefen Sedierung und damit einer invasiven Beatmung.

Patientenwille und unheilbar erkrankte Patientinnen und Patienten

Weiterhin wurde die Empfehlung, auch im palliativen Setting frühzeitig den Patientenwillen bezüglich der Therapieoptionen von invasiver und nicht-invasiver Beatmung mit den Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen zu besprechen, mit 100 % Konsensstärke der Fachgesellschaften und Delegierten bestätigt. Für die Patientinnen und Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz, die sich gegen eine Intubation mit einer „do-not-intubate“ (DNI) Verfügung positioniert haben, wird vorgeschlagen, eine nicht-invasive Atmungsunterstützung wie NIV oder High-Flow Sauerstoff zu erwägen [2]. Dies deckt sich auch mit der 2Sk-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“, die empfiehlt, dass NIV zur Linderung von Dyspnoe und einer Besserung der Lebensqualität eingesetzt werden kann [3]

Empfohlene Beatmungseinstellungen

Eine Übersicht über die aktuell empfohlenen Beatmungseinstellungen bei Patientinnen und Patienten mit und ohne acute respiratory distress syndrome (ARDS) ist in ▶ Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Ausgewählte Empfehlungen für Beatmungseinstellungen.
Tabelle 1: Ausgewählte Empfehlungen für Beatmungseinstellungen.*

*Diese Tabelle stellt eine Auswahl der Empfehlungen zu Beatmungseinstellungen dar, weitere Empfehlungen sowie Details zur Evidenz und Entscheidungsfindung sind in der Vollversion der Leitlinie publiziert; AF = Atemfrequenz; ARDS = acute respiratory distress syndrome; ARI = akute respiratorische Insuffizienz; CPP = zerebraler Perfusionsdruck; FiO2 = inspiratorische Sauerstofffraktion; IBW = ideales Körpergewicht; ICP = intrakranieller Druck; PaO2 = arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEEP = positiver endexspiratorischer Druck; Pplat = inspiratorischer Plateaudruck; SaO2 = arterielle Sauerstoffsättigung; SpO2 = periphere Sauerstoffsättigung; Vt = Tidalvolumen; DP = inspiratorische Druckdifferenz (auch „driving pressure“).

Eine besondere Patientengruppe stellen Patientinnen und Patienten mit erhöhtem ICP dar, bei denen ein negativer Effekt eines erhöhten positiven endexspiratorischen Drucks (PEEP) aufgrund einer Erniedrigung des mittleren arteriellen Drucks (MAP), des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP) und einer verschlechterten Perfusion des Hirngewebes seit Jahrzehnten diskutiert wird [5, 6]. Andererseits kann die Auflösung von Atelektasen durch einen adäquaten PEEP zu einer verbesserten Perfusion der Lunge mit sinkendem pulmonalvaskulärem Widerstand führen, was konsekutiv den venösen Abfluss aus dem Schädel verbessert und somit zu einem ICP-Abfall führen kann, positiv beeinflusst.

Da keine neuen hochwertigen Studien zu Patientinnen und Patienten mit ARDS und erhöhtem ICP, die auf verschiedenen PEEP-Niveaus beatmet wurden, in der systematischen Suche gefunden wurden, bleibt die Empfehlung auf Expertenkonsens unverändert bestehen: Auch bei dieser Patientengruppe soll ein erhöhter PEEP zur Beatmung verwendet werden, insofern dabei kontinuierlich der ICP und der CPP überwacht werden. Eine Aussage bezüglich indirekter ICP-Abschätzung (z. B. mittels Ultraschall oder TCD) oder invasiver Messung mittels ICP-Messsonde oder externer Ventrikeldrainage kann ebenfalls nicht erfolgen und sollte daher individuell und entsprechend der Erfahrung der Behandelnden stattfinden. Damit deckt sich die Leitlinienempfehlung mit der Einschätzung anderer Fachgesellschaften wie der European Society of Intensive Care Medicine zu diesem Thema, die bei Patientinnen und Patienten mit ARDS und akuter Hirnschädigung eine lungenprotektive Beatmung mit erhöhtem PEEP empfiehlt, sofern der ICP nicht erhöht ist, aber bei erhöhtem ICP aufgrund der Evidenzlage keine Empfehlung dafür oder dagegen abgibt [7].

Um die empfohlenen Einstellungen von Tidalvolumen und Beatmungsdrücken bei Patientinnen und Patienten mit und ohne ARDS (▶ Tab. 1) zu erreichen, besteht weiterhin der Expertenkonsens, eine permissive Hyperkapnie zu tolerieren, solange der arterielle pH über 7,20 gehalten wird. Als besondere Patientengruppen werden hier allerdings Patientinnen und Patienten mit erhöhtem ICP sowie Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz genannt, die einer permissive Hyperkapnie mit folgender ICP-Erhöhung bzw. pulmonal-arteriellem Druckanstieg nur unter strenger Abwägung von Nutzen und Risiken in einem beschränkten Ausmaß ausgesetzt werden sollen. Es empfiehlt sich daher, diese Patientengruppe in spezialisierten Zentren zu behandeln.

Unveränderte Empfehlung: „Wir schlagen vor, zur Erreichung der angestrebt niedrigen Beatmungsvolumina bzw. -drücke eine permissive Hyperkapnie innerhalb definierter Grenzen zuzulassen.“
Vertrauenswürdigkeit der Evidenz: Expertenkonsens.
Konsensstärke: Delegierte 100 %, Fachgesellschaften 100 %.

V. Bünger, M. Grupp, P. Czorlich, S. Weber-Carstens, P. Schramm

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