Das Pilotprojekt in Niedersachsen für HPVZ (Hausärztliche Primärversorgungszentren) ist vollumfänglich zu begrüßen. Die Zertifizierungen laufen und es gibt bereits manche gelungenen Beispiele. Als frühe Vorläufer von Teampraxen könnte man die Gemeinschaftspraxen betrachten. Vor mehr als 50 Jahren wurde die erste Gemeinschaftspraxis in Ostfriesland gegründet. Damals war bereits das Ziel, mit größeren Einheiten den Arbeitsanfall besser zu bewältigen. Solche Praxen versorgten oft doppelt so viele Patienten wie heute. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?
Es gibt viele Gründe für eine außerordentliche Arbeitsverdichtung in Hausarztpraxen. Diese sind allseits bekannt und müssen hier nicht ausführlich dargestellt werden. Die Medizin hat sich bzgl. ihrer Möglichkeiten enorm weiterentwickelt, der Verwaltungsaufwand (Bürokratie) ist beständig gewachsen, auch die vermeintliche Vereinfachung durch Digitalisierung weckt einen großen Datenhunger von Kostenträgern und Körperschaften, die Ansprüche der Patienten sind gestiegen, die Möglichkeiten der Vorsorge sind beträchtlich, und nicht zuletzt gibt es eine Arbeitsverlagerung – „das macht der Hausarzt“.
In den letzten 30 Jahren wurden tausende Medizinstudienplätze abgebaut, und viele der verbleibenden Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Teilzeit – aus gutem Grund. Außerdem wird unsere Gesellschaft älter, sodass mehr Bürgerinnen und Bürger versorgt werden müssen. Dies sind einige der Gründe der nicht nur gefühlten Arbeitsverdichtung, die allen gut bekannt sind.
Im Aktivitätsmodus bleiben
Manche Antworten, die derzeit versucht werden, zielen ausschließlich auf die Entlastung der Ärztinnen und Ärzte und beinhalten Abwehrelemente (Vermeidungsziele) wie Aufnahmestopps in Praxen, Verweis der Patienten an andere Leistungsanbieter oder Verlagerung des Schwerpunktes auf die Privatmedizin. Damit kann die Bevölkerung insgesamt aber nicht versorgt werden. Sicher ist eine Umstrukturierung im Gesundheitswesen sowie die Steuerung der Ansprüche notwendig. Aber die Ärzteschaft sollte im Attraktivitätsmodus (Annäherungsziele) bleiben können. Auch auf dieser Ebene gibt es Lösungsvorschläge, die manche Gemeinsamkeiten aufzeigen: Synergismen, Delegation, Tele-Angebote, u.a.m.
Qualität darf nicht darunter leiden
Für solche Veränderungen sollte das vielleicht Wichtigste der Entwicklungskriterien sein, dass die Qualität der Versorgung nicht leidet, sondern eher gesteigert wird. Die persönlichen, oft jahrzehntelangen Beziehungen in der Hausarztmedizin sollten gewährleistet bleiben. Und die fachliche Qualität bleibt natürlich Ehrensache. Wie passt das zu den begrenzten personellen und wirtschaftlichen Ressourcen? Wir wissen, dass die Effektivität des einzelnen Behandlers in einem MVZ im Vergleich zu inhabergeführten Praxen sinkt. Und ob ein fröhliches Akronym der Ernsthaftigkeit der Herausforderungen gerecht wird, wird sich zeigen.
Große, ressourcenstarke Praxiseinheiten helfen sicher, um die Anforderungen zu bewältigen. Da hinein passen die Konzepte des „Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes“ sehr gut. Stichwort Teampraxis. Durch größere Einheiten und Zusammenarbeit entwickeln sich Synergismen, durch Delegation an nicht-ärztliche Berufsgruppen geschieht Entlastung, und ebenso vereinfachen Tele-Angebote manche Prozesse. Es ist aber zu beobachten, dass der Begriff der Teampraxis vor einigen Monaten noch mehr in den Veröffentlichungen präsent war. In letzter Zeit liest man vermehrt von technischen Abkürzungen und Strukturanforderungen inkl. digitalen Tools. Von denen kann man auf lange Sicht möglicherweise Arbeitserleichterungen erhoffen. Aber hat dieser Shift im Wording nicht auch eine inhaltliche Komponente? Teampraxis ist in diesem Zusammenhang als lebensweltlich geprägter Begriff (im Sinne von Habermas) zu verstehen. Im Zentrum steht die gemeinschaftliche, professionsübergreifende Versorgung realer Patientinnen und Patienten durch ein Team aus tatsächlichen Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen. Es geht um Haltungen der Zusammenarbeit, des gegenseitigen Respekts und der Beziehungsgestaltung zum Patienten.
Demgegenüber wirken die gängigen Akronyme und die Konzepte, die sie bezeichnen, bisweilen technikeuphorisiert und einseitig strukturorientiert. Gewinnen – wie so häufig – erneut die „Systemfaktoren“ die Oberhand über die Lebenswelt? Das ist nicht zwingend, aber durchaus verführerisch: Strukturen und technische Tools lassen sich implementieren – sie suggerieren Machbarkeit; und gerade in dieser Machbarkeitsvorstellung liegt die Verführung.
Doch gelingen können solche Entwicklungen nur, wenn die genannten lebensweltlich verankerten Haltungen weiterhin handlungsmotivierend bleiben. Hier sehe ich eine bedeutende Wegscheide.
Wie werden aus den Worthülsen konkrete Möglichkeiten?
Betrachten wir das Beispiel einer Gemeinschaftspraxis an der Nordseeküste, in der etliche Schritte mit Erfolg erprobt wurden. Das Team besteht aus 5 Fachärztinnen für Allgemein- und Familienmedizin, 1 approbierten Psychologin, 0–3 ÄiW (je nach Verfügbarkeit), 3 VerAH (davon eine im PCM-Studium), 1 Krankenschwester, weiteren 13 MFA, 2 Azubi, regelmäßig 1–2 Studierenden, 1 Sekretärin, 2 Raumpflegerinnen und 1 Hausmeister. Viele Mitarbeitende arbeiten familienfreundlich in Teilzeit. Gerade in der ambulanten Medizin ist vieles zeitlich gestaltbar, da die Patientinnen und Patienten ja so bestellt werden können, wie die zur Versorgung notwendigen Mitarbeitenden verfügbar sind.
Es handelt sich um eine inhabergeführte Gemeinschaftspraxis von vier PartnerInnen. Eine weitere Ärztin sowie die Psychologin sind angestellt. Bereits durch diese approbierten Mitarbeitenden stellt sich ein breites Versorgungsspektrum dar von kleiner Chirurgie über die internistischen Erkrankungen inkl. Chroniker-Programmen und Schulungen bis hin zur Palliativmedizin, die in einen überregionalen Stützpunkt eingebunden ist, bis zur psychiatrischen und regelpsychotherapeutischen Versorgung.
Bereits auf der Ebene der approbierten Mitarbeitenden zeigt sich der interprofessionelle Ansatz. Durch regelmäßige Besprechungen und Fallkonsultationen wird die Arbeit jedes/r Einzelnen enorm bereichert, die Qualität der Versorgung steigt, Belastungen können verteilt werden, je nach Interesse, Kompetenz, Begabung und persönlichen Ressourcen.
Ein bis zwei Studierende sind sehr konkret in die Patientenversorgung mit eingebunden. Wenngleich sie natürlich nicht letztverantwortlich arbeiten dürfen, sind sie je nach Ausbildungsstand eine große Hilfe und der Lernerfolg ist durch das praktische Tun, Reflektieren und die Besprechungen mit den Lehrärzten beträchtlich. Gerade die PJ-Studierenden können bereits viele Beratungsanlässe entscheidungsreif vorbereiten. Dabei kann der Wissenstransfer durchaus bilateral sein.
Eigenständige Sprechstunde der MFA
Ein Kernelement des Verständnisses einer Teampraxis besteht in der eigenständigen Sprechstunde der MFA. Hier sind insbesondere die VerAHs (PCM in spe) und die Krankenschwester eingebunden. Im Praxis-Terminkalender sind für die Versorgungsassistentinnen-Sprechstunde genau wie für die ärztliche Sprechstunde Zeitzonen eingerichtet. Es wurden Beratungsanlässe definiert, die in diese Versorgungsassistentinnen-Sprechstunde eingeplant werden. Dazu gehören z.B. „unkomplizierte Rückenschmerzen“, „unkomplizierter Harnwegsinfekt“, „Gastroenteritis“ oder auch „Erkältungsinfekte“. Für die Mitarbeitenden, die Termine vergeben, ist jeweils genau beschrieben, unter welchen Bedingungen Patienten in die Versorgungsassistentinnen-Sprechstunde eingeschrieben werden dürfen.
Die Versorgungsassistentinnen selbst sind geschult und haben klare Checklisten über „Red Flags“ und AGVs (abwendbar gefährliche Verläufe). Praktisch entscheiden sie 80–90 % in diesen Sprechstunden autonom und geben den Ärzten nur kurz Rückmeldung. Außerdem laufen die Wundsprechstunden und Impfsprechstunden (nach ärztlicher Aufklärung) im Rahmen dieser MFA-Zeitzonen.
Selbst im therapeutischen Gesamtkonzept geplante Interimtelefonkontakte speziell geschulter MFA mit den psychiatrischen Patienten haben sich sehr bewährt und werden auch von den Patienten ausdrücklich geschätzt. Ein Großteil der Hausbesuche wird von MFA gefahren, inkl. teletechnischer und fototechnischer Unterstützung durch die Praxis. DMPs, Geriatrisches Basis-Assessment, Schulungen – in vielen Bereichen arbeiten qualifizierte und speziell geschulte MFA mit großem Erfolg.
Diese Sprechstunden der Versorgungsassistentinnen werten die Arbeit der MFA noch einmal deutlich auf, führen zu einer größeren Arbeitszufriedenheit und bereichern auch qualitativ das Angebot einer Hausarztpraxis.
Die Rückmeldungen von den Patientinnen und Patienten sowie die ärztliche Supervision zeigen, dass die Versorgungsassistentinnen-Sprechstunde keinen Qualitätsverlust bedeutet. Im Gegenteil, der anamnestische Informationsgehalt steigt und die Patienten sind sehr zufrieden mit diesen Kontakten.
Dieses verbreiterte Angebot bedeutet aber auch, dass eine Fachperson entscheiden muss, ob der Anrufer überhaupt kommen muss, in die Sprechstunde der Versorgungsassistentinnen kann oder ob er einen approbierten Mitarbeitenden sehen muss – und wann. Diese Selektion kann eine Online-Terminvergabe übrigens nicht wirklich gut leisten.
Voraussetzung: Gute Kommunikationsstrukturen
Wichtige Voraussetzung sind gute Kommunikationsstrukturen. Das beginnt mit klaren Zuordnungsregeln und für die Delegation präzise vorbereitete Checklisten für die Beratungsanlässe. Die Möglichkeiten der MFA/VerAH/PCM müssen bekannt und klar abgesprochen sein.
Die Rückmelderegeln müssen transparent gelebt werden. Kompetenzen, Schulungsbedarf und persönliche Eignung müssen besprochen und erarbeitet werden. Für den hausärztlichen Bereich bieten sich deshalb die in den Praxen bekannten VerAHs und der vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband geförderte Bachelor-Studiengang an.
In den Praxen ist in diesem Bereich noch „Land einzunehmen“. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Vergütungsstruktur für Teampraxen hinken der Realität allerdings deutlich hinterher. Eine qualifizierte MFA-Sprechstunde bringt viel für die Genesung der Patienten. Das ist uns zunächst sehr wertvoll. Nur wenige Leistungen lassen sich diesbezüglich aber in Ziffern umsetzen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!
Autor: Dr. Wolfram Nagel MAE
Wie qualifizierte Praxis-Mitarbeitende gewonnen und auch zusammengehalten werden können, lesen Sie in der nächsten Ausgabe von Der Allgemeinarzt
Bildquelle: fischer-cg.de – stock.adobe.com.



