Bisweilen muss man etwas episch werden, beispielsweise in diesem Artikel. Denn unsere Praxis ist das Abenteuer eingegangen, die Praxisverwaltungssoftware zu wechseln. Welchen Gefahren wir begegneten und ob wir obsiegten, erfahren Sie nun im vierten und letzten Teil der Beitragsserie.
Beim Wechsel auf die neue PVS gibt es ständig Neues zu entdecken und immer wieder neue Fragen: Wo gebe ich die DMPs ein, wo das Hautkrebsscreening, wie schreibe ich einen Arztbrief oder ein Kurzattest? Wie drucke ich ein elektronisches Rezept aus und wie verordne ich zwei Medikamentenpackungen auf einmal? Wie markiere ich mir in der Akte die wichtigsten Abrechnungsziffern? Überhaupt: Wie funktioniert die Abrechnung? Wie erstelle ich Ziffern-Suchlisten? Was ist mit OP-Vorbereitung und Jugendschutzuntersuchung? Wie ging das noch einmal mit dem Kurzattest … Moment, das hatten wir doch gerade eben schon.
Durchatmen und Struktur schaffen
Tief durchatmen. Keine Panik. Alles hat seine Zeit. In den ersten Tagen hilft es enorm, sich ein Notizbuch in die Kasack- oder Hosentasche zu stecken, um alle Fragen aufzuschreiben – und den Lösungsweg. Dahingeschmierte Stichworte versteht man kurze Zeit darauf nicht mehr. Zudem hilft es, im Team diese Tipps zu sammeln und in einem internen (digitalen) Handbuch sortiert aufzulisten. Mitarbeiter:innen des Supports waren die Folgetage bei uns vor Ort, um rasch im Alltag Fragen zur Bedienung der PVS zu klären, Feineinstellungen vorzunehmen oder auch Fehler auszubügeln. Dieser Gesamtservice kostet je nach Wechselvertrag natürlich etwas mehr, sollte man sich aber unbedingt gönnen. Es beruhigt das Praxisteam ungemein. Die Feuerprobe ist der erste Tag mit der neuen PVS im praktischen Einsatz im direkten Patientenkontakt. Denn während man versucht, den regulären Praxisalltag zu bewältigen – vorne in der Anmeldung und im Labor die MFAs und in den Sprechzimmern wir Ärztinnen und Ärzte –, wird schon genug Konzentration benötigt. Kommt da ein neues Programm hinzu, wird es richtig herausfordernd. Boten Patienten in den Tagen komplexere gesundheitliche Probleme oder besonders schlimm: Hatten einen ganzen Notizzettel mit Fragen dabei, merkte ich rasch meine eigene Ungeduld ansteigen, da man mit den Gedanken zur Hälfte stets bei den Wechselproblemen der PVS ist.
Zwischen alter und neuer Softwarewelt
Während ich mich nur mühsam darauf konzentrieren konnte, Menschen zu untersuchen und mit Krankschreibung zu versorgen, suchte ich fieberhaft in der PVS den passenden Button oder das entsprechende Kürzel, um eine AU aufzurufen, oder bemerkte, dass ich noch gar nicht den „Infekt der Luftwege“-Textbaustein in der neuen PVS eingepflegt hatte. Dabei wusste ich durch das Training am Vortag natürlich genau, wo die passenden Knöpfe abgelegt waren, bzw. sind diese ausreichend deutlich in der neuen PVS hinterlegt, sodass sie mir eigentlich gleich ins Auge hätten springen sollen. Jedoch war ich noch so sehr auf die Optik der alten PVS getrimmt, dass ich nun erst einmal das Bedienen derselben verlernen musste, um schneller mit der neuen PVS zu werden. Es brauchte dazu letztlich ein paar Tage und dann „flutschte“ es, als würde ich das neue Programm schon immer benutzen. Und tatsächlich öffnete ich die alte PVS am Server noch einmal eine Woche später, um alte Daten mit den ins neue System übernommenen zu vergleichen. Ohne Witz: Ich fand mich in der alten PVS kaum mehr zurecht und musste kurz überlegen, wie bestimmte Funktionen aktiviert werden. Meine Erinnerung an den Kummer mit der alten PVS über all die Jahre machte letztlich alles wett, was an Stress in den Wechseltagen hochkam. So verbrachte ich diese Zeit zwar von früh bis spät in der Praxis, erschöpft wie schon lange nicht mehr, aber zufrieden und glücklich zugleich. Wichtig ist, sich einen Abend gerade nicht mehr mit der neuen PVS zu beschäftigen, bewusst nichts davon wissen zu wollen, sondern einfach mal zu sagen: Für heute alles andere, nur nicht das. Zusätzlich organisierten wir ein kleines Betriebsfest mit den Mitarbeiter:innen und deren Partnern, um den Frust der letzten Tage rauszulassen.
Der Umbau: Unerwartet entspannt
Ziemlich stressfrei dagegen waren da die beiden Tage des Umbaus. Am ersten Tag kam ich frühzeitig in die Praxis, räumte die Arbeitsplätze für die Techniker etwas frei und wartete. ITler stehen anscheinend etwas später am Morgen auf, sodass erst am frühen Vormittag mit der Installation begonnen wurde. Für Fragen oder organisatorische Probleme bereitstehend, setzte ich mich mit einem Buch in unseren EKG-Raum und wartete auf die ersten Katastrophen, im Sinne: „Doktor, wir haben da ein Problem: Dies funktioniert nicht oder das will nicht.“ Aber letztlich wurde ich nur einmal nach Passwörtern gefragt und dann noch einmal danach, wie wir die einzelnen Arbeitsplätze benennen wollen.
Neue Technik und der große Tag
Am Ende des Tages standen überall kleine, neue Computer herum, die ich ein wenig zurechtrückte. Am Folgetag folgten die Umstellung auf die neue PVS und die Schulung am Nachmittag. Tatsächlich ergab sich auch am zweiten Tage nur die Frage nach einem anderen Passwort des Konnektors. Ansonsten wurde ich nicht gebraucht. Zwar wurde die Konvertierung nicht vollständig bis zur Schulung fertig, weil unsere alte PVS anscheinend unerwartet viele Daten barg, ansonsten schien alles erst einmal grob zu laufen. Das Wechsel-Team versuchte uns in das neue System mittels Probe-Programm vor Ort zu schulen. Natürlich konnten sie uns dabei nicht das Programm in allen Einzelheiten zeigen, sondern konzentrierten sich auf die wichtigsten Grundlagen: Karteikarte, Karte einlesen und die ersten Schritte: Patient in die Warteliste setzen, aufrufen, Behandlungstexte eingeben, Diagnosen anwählen, Ziffern festlegen, Rezepte schreiben, einzelne Formulare finden. Genug Zeit für viele Fragen gab es schon, aber Dinge wie die Akte für Jugendschutzuntersuchung oder OP-Vorbereitung vorbereiten, Privatrechnung erstellen oder die Abrechnung durchzuführen, wurden für spätere Schulungen zurückgestellt. Da wir nur am Probe-Programm übten, fielen uns die noch fehlenden Feineinstellungen am Programm mit unseren Daten nicht auf. So wurde der folgende Tag mit den Patienten leider deutlich stressiger, weil es immer wieder an kleinen Dingen hakte: Die Ziffernzeilen erschienen erst einmal nach der Eingabe nicht in der Akte, sondern nur, wenn man den Patienten wechselte und den vorherigen Patienten erneut aufrief. Das Befund-Archiv war noch nicht abrufbar, einige Drucker druckten um mehrere Zeilen nach oben verschoben. Das Wechsel-Team korrigierte stets rasch.
Koordination und Geduld im Team
Es ist sinnvoll, eine Arbeitskraft abzustellen, die über alle Probleme informiert wird, um koordiniert mit dem Wechsel-Team die Unstimmigkeiten rasch und effektiv zu kommunizieren und zu beheben. Wichtig dabei auch: genau anschauen, wie Änderungen durchgeführt werden, um die Einstellungen später ohne externe Hilfe vornehmen zu können. Bei all dem Stress gab es zahlreiche Patienten mit sehr viel Geduld und Verständnis. Doch leider auch einige deutlich ohne. Als wir erklärten wir haben ein völlig neues Computersystem, antwortete ein älter Herr: „Das ist mir egal, für mich müssen Sie das nicht machen.“ Jedem versuchte ich die Herausforderung zu erklären: Es ist, wie sich in einer anderen Stadt, in einem anderen Land zurecht finden zu müssen. Übrigens Patienten, die uns am meisten moralisch unterstützten und schon Tage vor dem Wechsel viel Glück wünschten, waren von Beruf ITler, die wussten nämlich ganz genau, was da auf uns zu kam.
Autor: Dr. med. Torben Brückner, Herausgeber



