Im Rahmen der feierlichen Eröffnung des EASD-Kongresses 2025 hat EASD-Präsidentin Professor Chantal Mathieu dieses aktuelle Expertenpapier besonders hervorgehoben. Sie betonte, wie wichtig es ist, die Vielfalt des Typ-1-Diabetes (T1D) zu erkennen und die starren Grenzen zwischen den Diabetes-Subtypen zu hinterfragen. Das Paper liefert neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen Paradigmenwechsel in der Diagnostik und Therapie anstoßen könnten – hin zu einer individualisierten, präziseren Versorgung.
Typ-1-Diabetes (T1D) ist keine einheitliche Erkrankung – diese zentrale Botschaft zieht sich durch die aktuelle Veröffentlichung „The heterogeneity of type 1 diabetes: implications for pathogenesis, prevention, and treatment“, die im Rahmen des EASD-Kongresses 2025 vorgestellt wurde. Die internationale Autorengruppe, darunter Professor Chantal Mathieu, beleuchtet die vielschichtige Natur des T1D und diskutiert die Konsequenzen für Forschung, Prävention und Therapie.
Genetische Vielfalt und individuelle Krankheitsverläufe
T1D entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter Faktoren. Die genetische Prädisposition ist dabei äußerst variabel: Unterschiedliche Risikovarianten beeinflussen das Erkrankungsalter, die Geschwindigkeit der Betazellzerstörung und die Ausprägung klinischer Symptome. Während manche Patient:innen bereits im Kindesalter erkranken und einen raschen Insulinmangel entwickeln, zeigen andere einen langsameren Verlauf, der sich bis ins Erwachsenenalter ziehen kann.
Immunologische Unterschiede und Autoantikörper-Profile
Auch immunologisch zeigt sich T1D heterogen: Die Art und Anzahl der Autoantikörper, die vor oder bei Manifestation nachweisbar sind, variieren stark. Einige Patient:innen haben zum Zeitpunkt der Diagnose nur einen einzelnen Autoantikörper, andere mehrere. Die Dynamik der Immunreaktion – also wie schnell und stark das Immunsystem die Betazellen angreift – unterscheidet sich ebenfalls deutlich und beeinflusst das klinische Bild.
Klinische Präsentation: Mehr als nur Typ 1
Die klinische Vielfalt reicht vom klassischen, rasch progredienten T1D im Kindesalter über langsam verlaufende Formen wie LADA (latent autoimmune diabetes in adults) bis hin zu Mischformen, die Merkmale von Typ-1- und Typ-2-Diabetes aufweisen. Diese Überschneidungen machen deutlich, dass die bisherige starre Einteilung in Typen nicht mehr ausreicht, um der Realität in der Praxis gerecht zu werden.
Konsequenzen für Prävention, Diagnose und Therapie
Die Heterogenität des T1D hat direkte Auswirkungen auf die Versorgung von Patient:innen:
- Früherkennung und Prävention: Je besser die individuellen Risikofaktoren und Immunprofile bekannt sind, desto gezielter können Präventionsstrategien entwickelt werden.
- Diagnose: Eine differenzierte Diagnostik, die genetische, immunologische und klinische Merkmale einbezieht, kann helfen, die passende Therapie rechtzeitig einzuleiten.
- Therapie: Die Zukunft liegt in der Präzisionsmedizin: Therapien sollten maßgeschneidert an die individuellen Charakteristika der Betroffenen angepasst werden – mit dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern und Komplikationen zu vermeiden.
Fazit: Ein Paradigmenwechsel in Sicht
Das Expertenpapier plädiert für einen Paradigmenwechsel: Weg von der Einteilung in „Schubladen“, hin zu einer individualisierten Sichtweise auf T1D als „Regenbogen“ verschiedener Ausprägungen. Für Diabetolog:innen bedeutet das, noch genauer hinzusehen und die Vielfalt der Erkrankung in der täglichen Praxis zu berücksichtigen.
Originalpublikation: Evans-Molina C, Dor Y, Lernmark Å, Mathieu C, Millman JR, Mirmira RG, Pociot F, Redondo MJ, Rich SS, Richardson SJ, Rickels MR, Leslie RD. The heterogeneity of type 1 diabetes: implications for pathogenesis, prevention, and treatment-2024 Diabetes, Diabetes Care, and Diabetologia Expert Forum. Diabetologia. 2025 Sep;68(9):1859-1878. doi: 10.1007/s00125-025-06462-y. [Paper]
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