Eine neue Metaanalyse zeigt: Menschen mit Migrationshintergrund in Europa erkranken häufiger an Typ-2-Diabetes, haben aber ein geringeres Risiko für tödliche Herz-Kreislauf-Komplikationen als die Mehrheitsbevölkerung. Gleichzeitig treten Nieren- und Augenschäden bei ihnen etwas häufiger auf. Was bedeuten diese Erkenntnisse für Prävention und Versorgung?
Menschen mit südasiatischer und afrikanischer Herkunft, die in Europa leben, erkranken deutlich häufiger an Typ-2-Diabetes als die europäische Mehrheitsbevölkerung. Überraschend: Trotz der höheren Erkrankungsrate zeigen sie ein geringeres Risiko für schwere makrovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall – und versterben insgesamt seltener an den Folgen der Erkrankung. Gleichzeitig treten mikrovaskuläre Komplikationen wie Nephropathie und Retinopathie in diesen Gruppen etwas häufiger auf. Das sind die zentralen Ergebnisse einer groß angelegten Metaanalyse, die Daten von 1,2 Millionen Migrantinnen und Migranten aus 54 Studien ausgewertet hat [1][2].
Geringeres Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
Die Metaanalyse, veröffentlicht im British Medical Journal, zeigt, dass Menschen mit eigener oder elterlicher Migrationsgeschichte in Europa ein um 28–30 % geringeres Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Komplikationen und Gesamtsterblichkeit im Vergleich zur europäischen Mehrheitsbevölkerung haben (relatives Risiko für Sterblichkeit: 0,70; 95% CI: 0,63–0,77) [1]. Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu bisherigen US-amerikanischen Studien, die bei Migrantinnen und Migranten ein erhöhtes Risiko für Diabeteskomplikationen fanden [3].
Mögliche Ursachen
- Genetische Schutzfaktoren: Beispielsweise verfügen Menschen aus südafrikanischen Herkunftsländern oft über ein günstigeres kardiometabolisches Profil [1].
- Lebensstil: Geringere Prävalenz von Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Bluthochdruck.
- Frühere Therapie: Ärztinnen und Ärzte setzen bei Migrantengruppen möglicherweise früher antidiabetische Medikamente ein, da sie ein erhöhtes Risiko annehmen.
Unterschiede zwischen den Herkunftsregionen
Nicht alle ethnischen Gruppen profitieren gleichermaßen von einem geringeren makrovaskulären Risiko. Die Reduktion gilt insbesondere für afrikanische Gruppen, während südasiatische Migrantinnen und Migranten weiterhin ein erhöhtes Risiko für makrovaskuläre Komplikationen aufweisen [1]. Diese Differenzierung unterstreicht die Bedeutung einer individuellen Risikobewertung und Versorgung.
Mikrovaskuläre Komplikationen: Ein unterschätztes Risiko
Anders sieht es bei mikrovaskulären Komplikationen aus. So leiden besonders Patientinnen und Patienten südasiatischer und afrikanischer Herkunft häufiger an diabetischer Nephropathie und Retinopathie. Die Gründe sind bislang unklar. Ein Problem: Nieren- und Augenschäden werden oft zu spät erkannt, da entsprechende Untersuchungen (z.B. Augenhintergrund, Nierenfunktion) nicht konsequent durchgeführt werden [1][2].
Laut DMP-Qualitätsbericht 2023 der KV Nordrhein wurde beispielsweise nur bei 57,9 % der Betroffenen die Netzhaut und bei 85,8 % die Nierenfunktion überprüft [4].
Sozialer Kontext und psychosoziale Belastungen
Ethnische Minderheiten leben häufiger in sozial benachteiligten und weniger gesundheitsfördernden Umgebungen: Sie haben geringeren Zugang zu gesunder Ernährung, Bewegung, sozialer Unterstützung und medizinischer Versorgung [3]. Psychosoziale Belastungen wie Stress und Diskriminierung können das Risiko für Diabetes und dessen Komplikationen zusätzlich erhöhen [1][3].
Herausforderungen: Lebensumstände und Zugangshürden
Migrantinnen und Migranten sind oft mit erschwerten Lebensbedingungen konfrontiert: beengter Wohnraum, prekäre Arbeitsverhältnisse, Diskriminierung und psychischer Stress. Hinzu kommen Sprachbarrieren und mangelndes Wissen über Vorsorgeangebote, was eine konsequente Diabeteskontrolle erschwert und dazu beiträgt, dass mikrovaskuläre Komplikationen häufiger auftreten [2][3].
Konsequenzen für die Versorgung
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordert, die Diagnostik und Therapie gezielt an die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen anzupassen. Für alle Menschen mit Diabetes – unabhängig von der Herkunft – sollten regelmäßige Untersuchungen auf mikrovaskuläre Komplikationen (Augenhintergrund, Nierenfunktion, Blutdruck) selbstverständlich sein. Angebote zur Prävention und Therapie müssen sprachlich, kulturell und sozial niederschwellig gestaltet werden [2].
Forschungsbedarf und Ausblick
Die Autoren Studie betonen, dass weitere Forschung nötig ist, um die Ursachen der beobachteten Unterschiede besser zu verstehen. Besonders genetische, soziale und medizinische Einflussfaktoren sollen zukünftig genauer untersucht werden [1][3].
Fazit
Die Ergebnisse der Metaanalyse unterstreichen die Notwendigkeit einer differenzierten, kultursensiblen Versorgung von Menschen mit Diabetes. Die DDG appelliert an Politik und Gesundheitswesen, Präventions- und Versorgungsangebote auszubauen und Barrieren abzubauen – für eine bessere Gesundheit aller Menschen mit Diabetes in Deutschland [2].
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