DOG-Präsident Prof. Dr. Siegfried Priglinger ist überzeugt, dass die deutsche Augenheilkunde hervorragend aufgestellt ist, um auch die Herausforderungen von morgen mit Mut und Kompetenz zu meistern. Der DOG-Kongress vom 25. bis 28. September 2025 in Berlin soll gestaltend dazu beitragen. Wie, das erläutert er im Interview.
Concept Ophthalmologie: Der Kongress der DOG 2025 hat das Motto „Ophthalmologie im Wandel – Gemeinsam die Zukunft gestalten“. Warum wurde es gewählt und wie wird es inhaltlich umgesetzt?
Prof. Dr. Siegfried Prieglinger: Die Augenheilkunde befindet sich in ständiger Transformation – technologisch, strukturell und gesellschaftlich. Mit dem Motto „Ophthalmologie im Wandel – Gemeinsam die Zukunft gestalten“ wollen wir auf diese Dynamik nicht nur reagieren, sondern sie aktiv mitgestalten. Einerseits erleben wir einen rasanten technologischen Fortschritt: Gentherapien, Künstliche Intelligenz, BildanalyseAlgorithmen, Robotik und personalisierte Medizin eröffnen völlig neue Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie. Andererseits verändert sich auch die Versorgungslandschaft massiv – durch die zunehmende Bedeutung von MVZ und Praxisnetzwerken sowie durch neue Finanzierungsmodelle und Herausforderungen in der Nachwuchsgewinnung und der Ausbildung. Diese Entwicklungen werfen zentrale Fragen auf: Wie bleiben wir innovationsfähig, ohne den Bezug zur Praxis und den Patientinnen und Patienten zu verlieren? Wie können wir die Potenziale neuer Technologien effizient und ethisch verantwortungsvoll nutzen? Und: Wie schaffen wir eine strukturierte, generationenübergreifende Zusammenarbeit, in der Erfahrung und neue Ideen gleichwertig Raum finden? Unser Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, auf der alle Akteure – Klinik, Forschung, Praxis, Industrie und Nachwuchs – gemeinsam an Lösungen arbeiten. Denn nur, wenn wir die Stärken aller Generationen und Disziplinen verbinden, können wir die Zukunft unseres Fachs wirklich nachhaltig gestalten. Deshalb möchten wir den Nachwuchs aktiv einbinden – etwa durch Formate wie den „OphthalmoPitch“, der jungen Talenten eine Bühne gibt, und Raum schafft für Austausch, Mut und neue Ideen.
Eine „Innovationsinitiative“ wurde von der DOG ins Leben gerufen. Wie sieht diese aus und wie spiegelt sie sich im Programm des Kongresses?
Mit der Innovationsinitiative DOG 2025 möchten wir gezielt ein Umfeld schaffen, das kreative Ideen fördert, den Transfer von Wissen in die klinische Anwendung beschleunigt und junge Talente ermutigt, unternehmerische Wege zu gehen. Die Initiative ruht auf drei zentralen Säulen: Die erste Säule ist das Innovationsforum mit „StartUp Solutions“ und „OphtalmoPitch“ auf der DOGJahrestagung. Dieses Forum bildet das Herzstück der Initiative. Geplant ist zudem die Gründung eines DOGInnovationsbeirats. Er bringt Experten aus Augenheilkunde, Biotechnologie, Patentrecht, Unternehmensentwicklung und Finanzierung zusammen. Er wird Mentoring, fachliche Unterstützung und Zugang zu Netzwerken bieten, um jungen Forschenden bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Ideen zur Seite zu stehen. Ziel ist es, strukturiert Innovationskultur und unternehmerisches Denken innerhalb der DOG zu fördern.
Gibt es weitere Schwerpunktthemen?
Ein zentrales Thema wird erneut die Gentherapie sein. Hier sehen wir beeindruckende Fortschritte bei bisher als unheilbar geltenden Erkrankungen. Der Kongress präsentiert dazu sowohl neue klinische Studien als auch erste Praxiserfahrungen mit zugelassenen Therapien. Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass wir Patienten mit bestimmten genetischen Defekten – etwa bei RPE65Mutationen – eine kausale Behandlung anbieten könnten. Mit dem zugelassenen Therapiepräparat Luxturna® können wir heute tatsächlich insbesondere betroffenen Kindern eine neue Perspektive schenken. Neben weiteren AAVbasierten Genadditionstherapien befinden sich auch duale Genvektorsysteme oder genomeditierende Verfahren wie CRISPR im Fokus. Diese haben langfristig das Potenzial, zu kausalen oder supportiven Therapien für weitere Netzhautdystrophien zu werden, die für eine Therapie mit den herkömmlichen Ansätzen nicht zugänglich waren. Gleichzeitig stellen wir wegweisende Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz vor – insbesondere im Hinblick auf die automatisierte Bildanalyse, prädiktive Diagnostik und personalisierte Therapieplanung. Auch die Robotik nimmt einen wichtigen Platz ein: Sie wird die operative Augenheilkunde nachhaltig durch Präzision, Miniaturisierung und neue technische Möglichkeiten verändern.
In diesem Jahr wird erstmalig die FEBO-Prüfung direkt in Berlin durchgeführt. Warum ist sie wichtig für deutsche Ophthalmologinnen und Ophthalmologen?
Als derzeitiger Präsident des European Board of Ophthalmology (EBO) freue ich mich ganz besonders, dass wir die FEBO Diplomprüfung 2025 erstmals auch in Deutschland durchführen werden. Für die deutsche Augenheilkunde ist dies ein bedeutender Schritt. Die EBOPrüfung steht für harmonisierte Standards in der ophthalmologischen Weiterbildung in Europa – sie gewährleistet nicht nur ein hohes fachliches Niveau, sondern fördert auch den Wissens und Erfahrungsaustausch zwischen den europäischen Ländern. Dass die FEBOPrüfung nun im Rahmen unseres nationalen Kongresses stattfindet, ist ein starkes Signal: Es zeigt, dass Deutschland als wissenschaftlicher und klinischer Standort international geschätzt wird, und bietet uns gleichzeitig die Möglichkeit, unsere Ausbildungsqualität sichtbar zu machen, internationale Talente anzusprechen und innovative Konzepte mit unseren europäischen Partnern zu teilen. Ich sehe darin einen echten Meilenstein in der europäischen Zusammenarbeit – und eine wertvolle Chance für den Nachwuchs in unserem Fach.
Welche Angebote gibt es auf der DOG 2025 speziell für den wissenschaftlichen Nachwuchs?
Zunächst einmal bietet die DOG-AG Young DOG wieder verschiedene Veranstaltungen an, die sich explizit an den Nachwuchs richten und neben der Vermittlung von Grundlagen auch dem Austausch und dem Netzwerken dienen – das möchte ich allen ans Herz legen. Darüber hinaus findet wieder der Eye Parc statt, der praxisnahe Weiterbildung und Wettbewerbsgeist verbindet. Ein besonderes Highlight für den Nachwuchs dürfte in diesem Jahr der „OphthalmoPitch“ sein: Ein Wettbewerb, in dem junge Forscher und Forscherinnen ihre Projekte vor einer hochkarätig besetzten Jury und dem auch stimmberechtigten Publikum präsentieren können. Hier steht die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Vordergrund – und die besten Beiträge werden mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Mit diesen Formaten wollen wir nicht nur kreative Lösungsansätze sichtbar machen, sondern auch die Innovationskraft unseres Fachgebiets langfristig stärken. Ich lade alle Interessierten herzlich ein, sich daran zu beteiligen – als Zuhörende, Mitdiskutierende oder Impulsgeber.
Welche Highlight-Sitzungen und Keynote Lectures sind geplant?
Die Keynote Lectures zählen definitiv auch in diesem Jahr wieder zu den Highlights. Was die Provenienz der Lecturer betrifft, spannen wir den Bogen von Deutschland über Belgien bis in die USA, die Inhalte der Keynotes reichen von der Hornhaut über Netzhaut bis zum Glaskörper. So wird Claus Cursiefen die neuen und faszinierenden Möglichkeiten in der Hornhauttransplantation aufzeigen, Bart P. Leroy über aktuelle Herausforderungen in Gendiagnostik und -therapie bei Netzhauterkrankungen berichten und Richard F. Spaide die enormen Fortschritte der OCT-Technologie bei Netzhaut, Aderhaut und Glaskörper darstellen. Das sind allesamt Themen, die den rasanten Wandel im Fach Augenheilkunde abbilden und den Horizont der Zukunft aufreißen. International hochkarätig besetzt sind darüber hinaus die „Highlights in transitional Science“; die vier Sitzungen am Kongressdonnerstag widmen sich den neuesten Entwicklungen in der translationalen Augenheilkunde. Von der angeborenen Immunantwort bei Erkrankungen der Augenoberfläche über neue Konzepte in der Gentherapie bis hin zu innovativen Ansätzen in der Glaukomforschung und der Pathobiologie des metastasierenden Aderhautmelanoms – zu diesen Themenfeldern geben führende internationale Experten Einblicke in aktuelle Forschung und klinische Translation. Ebenfalls ein Pflichttermin für alle, die sich für zukunftsweisende Therapieansätze interessieren.
Wer wird bei der Eröffnungsveranstaltung zum DOG-Ehrenmitglied ernannt und gibt es dort einen besonderen Festvortrag?
Ich freue mich sehr, dass wir Professor Dr. med. Rudolf Guthoff und Professor Dr. med. Ulrich Schiefer zu Ehrenmitgliedern ernennen. Rudolf Guthoff zählt zu den prägenden Persönlichkeiten der DOG und hat sich über Jahrzehnte hinweg um die bildgebende Diagnostik in der Augenheilkunde verdient gemacht, gleichzeitig in verschiedenen Funktionen die Weiterentwicklung der Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Besonders hervorzuheben ist sein Engagement für internationale Kooperationen, insbesondere mit afrikanischen Partnerinstitutionen. Ulrich Schiefer hat über Jahrzehnte hinweg bedeutende Beiträge insbesondere in den Bereichen der visuellen Funktionsdiagnostik und Neuroophthalmologie erbracht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Entwicklung und Evaluierung innovativer perimetrischer Verfahren sowie in der Diagnostik und Verlaufskontrolle von Sehbahnläsionen. Ulrich Schiefers Arbeiten zur Rauschfeldkampimetrie haben die ophthalmologische Diagnostik nachhaltig beeinflusst.
Jeder Kongresspräsident zeigt im Programm seine individuelle Handschrift – was ist Ihnen persönlich wichtig?
Mir sind insbesondere die neuen Formate und Impulse wichtig, die wir im Rahmen der DOG gemeinsam auf den Weg bringen konnten: Die Innovationsinitiative, der OphthalmoPitch, aber auch der verstärkte Austausch mit Industrie, internationalen Partnern und Nachwuchstalenten. Mit dieser Initiative wollen wir ja nicht nur Innovationen anstoßen, sondern gezielt auch deren Umsetzung fördern, damit neue Ideen nicht in der Schublade verschwinden, sondern ihren Weg in die Praxis und letztlich zu den Patienten finden. In diesem Zusammenhang war für mich der direkte Kontakt mit jungen Kolleginnen und Kollegen ein echtes Highlight, sei es in Arbeitsgruppen, Fortbildungen oder persönlichen Gesprächen. Diese Energie und Neugierde sind ansteckend! Und sie bestärken mich in der Überzeugung, dass die deutsche Augenheilkunde hervorragend aufgestellt ist, um auch die Herausforderungen von morgen mit Mut und Kompetenz zu meistern. Wenn dieser Verve auf der DOG 2025 spürbar wird – wie lebendig, innovativ und engagiert unsere augenärztliche Community ist und wie viel Potenzial in der Zusammenarbeit über Generationen, Institutionen und Disziplinen hinweg steckt – dann habe ich mein Ziel erreicht.
Welche ophthalmologischen Themen und innovativen Entwicklungen stehen in diesem Jahr inhaltlich im Vordergrund?
Das sind, wie erwähnt, vor allem die innovativen Themen Künstliche Intelligenz, Genetik und Robotik. Beispielsweise werden wir ein Symposium zur Zukunft der Robotik in der vitreoretinalen Chirurgie veranstalten. Denn wir sehen, dass robotergestützte vitreoretinale Chirurgie eine deutliche Verbesserung der chirurgischen Genauigkeit und Sicherheit ermöglicht. Erste klinische Anwendungen zeigen vielversprechende Ergebnisse, wie die erfolgreiche Punktion retinaler Venen oder die Entfernung epiretinaler Membranen, wobei Operierende weiterhin aktiv eingebunden bleiben. Diese Technologien eröffnen neue Möglichkeiten, etwa in der subretinalen Chirurgie oder bei der gezielten Medikamentenfreisetzung, und könnten langfristig die Behandlung komplexer Augenerkrankungen revolutionieren. Mitunter sind Gentherapie und Robotik auch schon miteinander verbunden. So besteht die Herausforderung bei der Gentherapie der Netzhaut darin, die subretinale Injektion präzise und langsam durchzuführen. Ein Robotersystem in Kombination mit iOCT kann helfen, die erforderliche chirurgische Präzision zu verbessern – auch hier werden in einem Symposium die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Durchführung subretinaler Injektionen mithilfe eines Robotersystems gezeigt. Und schließlich spannen wir in einem weiteren Symposium einen Bogen über heutige und zukünftige Anwendungsfelder KI-basierter großer Sprachmodelle in der Augenheilkunde, die in Kliniken und Praxen von der klinischen Entscheidungsunterstützung über Patientenedukation bis in die studentische Lehre reicht und die Gestaltung von Versorgungspfaden einbezieht. Nachdem sich Routineanwendungen von KI in der Augenheilkunde bislang hauptsächlich auf die Auswertung ophthalmologischer Bildgebungsdaten beschränkt haben, ermöglichen Large Language Models eine Umwälzung zahlreicher klinischer Prozesse, die den Arbeitsalltag in der Augenheilkunde bestimmen. Auch das ist ein Thema, das unsere Zukunft bestimmen wird.
Jenseits der fachlichen Inhalte des Kongresses: Welche gesundheits- und berufspolitischen Aspekte werden derzeit „in der Branche“ am meisten diskutiert?
In der Berufspolitik sehe ich mit Sorge, dass kurzfristige Kostenerwägungen zunehmend strategische Überlegungen verdrängen. Die langfristige Sicherung von Qualität, Ausbildung und Innovation droht dabei unter die Räder zu geraten – besonders für ein so technologiegetriebenes Fach wie die Augenheilkunde ist das ein riskanter Kurs. Was mich persönlich darüber hinaus umtreibt, ist die zunehmende strukturelle und wirtschaftliche Belastung unseres Gesundheitssystems, die sich spürbar auf die augenärztliche Versorgung auswirkt. Gerade im Bereich der ambulanten operativen Versorgung beobachten wir eine Entwertung hochqualifizierter ärztlicher Leistungen – sei es durch stagnierende Vergütung, überbordende Bürokratie oder fehlende Anerkennung der zunehmenden Komplexität und Verantwortung, die wir in Klinik und Praxis tragen. Für mich bleibt es eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre, diesen Entwicklungen mit einer starken fachlichen Stimme entgegenzutreten, und gemeinsam mit Politik, Kassen und Verbänden tragfähige Modelle zu erarbeiten, die Innovation, Qualität und Nachwuchsförderung ermöglichen – und nicht behindern.
Die Fragen stellte Susanne Wolters. Text erstmals erschienen in Concept Ophthalmologie 6-2025.
Bildquelle:© LMU



