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Ein paar menschliche Gedanken zur KI

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, dass man sich fragen muss: Was ist eigentlich mit der ­unkünstlichen Intelligenz? Brauchen wir die noch, oder kann die weg? Und was kommt da auf uns in der Hausarztpraxis zu? Das fragt sich Allgemeinarzt-Herausgeber Dr. Torben Brückner.

Der Schriftsteller Jostein Gaarder schrieb 1991 in seinem Buch „Sofies Welt“: „Wenn das Gehirn des Menschen so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so dumm, dass wir es doch nicht verstehen würden“, und macht uns Menschen damit in all unserem Drang doch nur all zu menschlich.

Blick zurück: Fortschritt und Warnungen

Aber wir gehen noch weiter in der Zeit zurück ins Jahr 1798. Goethe: „Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben …“. Der Zauberlehrling, der auf die harte Tour lernen muss, dass all sein Tun auch Konsequenzen hat und Hochmut vor dem Fall kommt: „Die ich rief, die Geister werd’ ich nun nicht los.“ Fortschritt und Entwicklung in Wissenschaft und Technik begleiten uns seit jeher.
Die Science-Fiction-Literatur des vergangenen Jahrhunderts ist voll davon. Als besonderes Beispiel sei Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ von 1965 genannt – kürzlich eindrucksvoll verfilmt als „Dune“. Deren Geschichte spielt tausende von Jahren in der Zukunft, in der die Computer verbannt wurden, da sie einen Krieg der Maschinen gegen die Menschen auslösten. Oder wer kennt nicht dieses bedrohlich schauende Lämpchen des Computers HAL 9000 aus dem 1968 erschienenen Film „2001: Odyssee im Weltraum“? Wobei in diesem Artikel geht es erst einmal nicht um die Auslöschung unsereiner, sondern eher nur um die Abnahme von Arbeit in der medizinischen Versorgung der Menschen und natürlich auch um die Angst der „Wegnahme“ der Arbeit.

Fakt oder Fake: 
Wenn die Maschine fabuliert …

Vor zwei Jahren hörte ich auf einer Fortbildung den klugen Kollegen Stefan Lodders, Hausarzt in Halle, über Künstliche Referenz referieren. Er stellte einem KI-Programm medizinische Fragen und wollte es ganz genau wissen, bat die KI zudem um Studiennachweise. Irgendwann hatte er das System so sehr in die Ecke gedrängt, dass die KI zahlreiche Studien ausspuckte – jedoch waren diese Studien vollkommener Unsinn. Die Überschriften mochten zum Thema passen, aber der Inhalt untermauerte nicht die Aussagen der KI. Schlimmer noch, die Studien gab es teilweise nicht einmal. Mit anderen Worten: Das Ding log wie gedruckt und wurde nicht einmal rot dabei. Halt, um nicht blöd da zu stehen – eigentlich eine sehr menschliche Eigenschaft. In der Fachsprache wird das Nichtwissen und Fantasieren der Künstlichen Intelligenz übrigens als „KI-Halluzination“ bezeichnet, als wenn die KI krank und nicht für den ganzen Quatsch selbst verantwortlich wäre. Es wäre ja alles nicht so schlimm, wenn die KI nicht weiter aufholen würde und in der heutigen Welt zudem die Grenzen zwischen Fakt und Fake immer mehr verschwimmen würden. Letztens veröffentlichte das US-amerikanische Gesundheitsministerium einen Bericht zu „Make Our Children Healthy Again“ (MAHA). Zahlreiche darin zitierte Studien existierten nicht, Ergebnisse wurden aus dem Zusammenhang gerissen oder falsch interpretiert.

Vom Brockhaus zu Google – und jetzt zur KI

Letztlich ist die Künstliche Intelligenz ja nichts anderes als ein schneller „Googler“ und noch schnellerer „Schreiberling“. Mussten wir selbst früher noch den Brockhaus in der Bücherei aus dem Regal heben, konnten wir die vergangenen Jahre ebenfalls einfach „Google“ fragen. Immerhin bestand die Kunst noch darin, die brauchbaren Internetseiten und -quellen herauszufiltern. Ausgerechnet im eigenen Zuhause musste ich erfahren, dass die Künstliche Intelligenz viel weiter ist, als ich dachte. Längst haben meine Frau und unsere Töchter damit zahlreiche Erfahrungen gemacht, sogar an zwei Volkshochschulkursen teilgenommen. Erst habe ich noch gelacht und gesagt, was dort erzählt wird, könne man sich doch auch „zusammen-googlen“. Schließlich hat meine Frau komplexe Rechnungen für die Praxis nicht mühsam selbst zusammengeschrieben, sondern die Aufgabe Schritt für Schritt an die KI delegiert. Sie fotografierte einfach eine handschriftliche Liste mit Items und sagte der KI: Mach mal. Und die KI machte mal. Dann lachte ich nicht mehr.

Zwischen Frust und Faszination

Zurück in der Allgemeinpraxis: Einen Großteil meiner Zeit verbringe ich immer wieder damit, das EDV-System am Laufen zu halten – funktioniert eine Sache endlich mal wieder, fällt irgendwas anderes aus. Wie gern würde ich dann mal die KI fragen: „Liebe KI, was ist denn nun schon wieder los mit unserem System?“ Aber so weit ist die Künstliche Intelligenz dann doch wieder nicht. Letztlich scheitert sie ja auch noch daran, Busse oder Ampeln auf „Neunfeldertafeln“ zu identifizieren. Ehrlicherweise macht es ja auch etwas Spaß, wenn der Computer mal wieder nichts tut, alle einen fragend anschauen, man macht „Klick, Klick“ mit seinen heilenden Händen und es läuft wieder. Aber eigentlich bin ich Humanmediziner und habe gelernt, Menschen zu behandeln. Und da möchte mir der Computer ja nun helfen. Arbeit abnehmen.
Interessant finde ich beispielsweise Anrufsysteme, die den Text der telefonierenden Patienten transkribieren und filtern: Handelt es sich um ein akutes Gesundheitsproblem, einen Wunsch nach einem Check-up-Termin oder nur um eine Rezeptbestellung? Idealerweise würde der Computer zukünftig die Medikamente schon als Rezept vorbereiten, sodass ich es nur noch prüfen und signieren muss. Die menschliche MFA wird dadurch ersetzt? Jetzt könnte ich es schönreden: Nein, natürlich hat die MFA jetzt mehr Zeit für den Patienten, die Blutentnahme, die Wundversorgung. Aber letztlich wäre es auch aus der Not heraus. Es gibt wohl kaum eine Praxis hierzulande, die nicht Personalmangel erfährt oder schon einmal erfahren hat. Sei es auch nur krankheitsbedingt.
Natürlich wird es auch uns Ärztinnen und Ärzten an die Gurgel gehen. Damit sind nicht nur die Radiologen gemeint, die jetzt schon merken, dass die KI die Bilder genauer betrachtet als das menschliche Auge, oder die Dermatologen, die durch einfach mal drauf gucken und sehr kompliziert klingende Namen für Hautpickel ein paar schöne Jahrzehnte hatten. Alles vorbei. Kein Wunder, dass Dermatologen das Geschäftsfeld der Ästhetik für sich entdeckt haben. Auch wir in der sprechenden Medizin tätigen, in selbst so komplexer Umgebung arbeitenden Primärversorger müssen uns überlegen, wie es weitergehen soll.
Im praktischen Alltag gibt es schon jetzt KI-Programme, die im Sprechzimmer neben einem sitzen, genau dem Patientengespräch zuhören und versuchen, die wichtigsten Informationen zu filtern, um sich an ein Beratungsergebnis zu wagen. Und da können wir Menschen natürlich derzeit noch betonen, wie viel zwischen den Zeilen auf der nonverbalen Ebene in dem Patienten-Ärztinnen-Gesprächen passiert. Und wir unsere Patienten natürlich viel besser kennen und gerade auch Pausen im Gespräch registrieren. So erlebte ich dies vor wenigen Tagen im Gespräch mit einem Patienten, der mich wegen Rückenschmerzen konsultierte und meinte, er sei schon beim Psychotherapeuten gewesen. Woraufhin ich nachfragte, ob er vermutlich eher einen Physiotherapeuten meinte (was auch zutraf). Dabei erwähnte ich gleich darauf, dass der Rücken gegebenenfalls auch einen Psychotherapeuten bisweilen benötigen kann. Der Patient blickte mich mit großen Augen an – und dann öffnete er sich. Irgendwann wird aber auch das die Künstliche Intelligenz gelernt haben.

Datenschutz und Schweigepflicht: 
Unser menschliches Pfund

Und natürlich müssen wir uns ebenso fragen: Wie weit ist es mit der KI und der ärztlichen Schweigepflicht, wenn alles aufgenommen und verarbeitet wird von einem Computer ohne Grenzen. Was im Sprechstundenzimmer besprochen wird, bleibt im Sprechstundenzimmer? Unser höchstes Gut schützt uns damit eigentlich noch, weil wir damit punkten können: Wir Menschen können zuhören und schweigen, darauf können unsere Patienten vertrauen. Das ist unser Pfund. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Mal schauen, ob die KI das auch noch lernen wird. Ein guter Ansatz wäre ja erstmal der Künstlichen Intelligenz die automatische Zifferneingabe der gesamten Quartalsabrechnung beizubringen.
Im Übrigen, der gesamte Text wurde ohne Künstliche Intelligenz geschrieben.

Autor: Dr. med. Torben Brückner

Abb.: elenabsl – stock.adobe.com

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