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Sehnenerkrankungen im hausärztlichen Alltag: Dehnung und Ruhe – 
oder was?

Sehnenerkrankungen im hausärztlichen Alltag: Dehnung und Ruhe – 
oder was?

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Sehnenerkrankungen stellen einen häufigen Beratungsanlass für hausärztliche Konsultationen dar. Nach einer Umfrage unter Gelegenheitssportlern ab 14 Jahren gaben mehr als ein Drittel Verletzungen des Bewegungsapparates in den vergangenen drei Jahren an – allein ein Fünftel davon betrafen Sehnen, Bänder, Gelenke oder Gelenkkapseln, zum größten Teil Zerrungen, Überdehnungen oder Verstauchungen. Entsprechend handelt es sich bei diesen Krankheitsbildern mitnichten um rein sportmedizinische Fragestellungen, die dem ­Spezialisten vorbehalten sind.

Im hausärztlichen Alltag besonders häufig anzutreffende, überlastungsbedingte Sehnenerkrankungen sind unter anderem die Achillodynie, der sogenannte Tennisarm oder das Patellaspitzensyndrom (Jumpers knee) – und dies auch bei den „Occupational Athletes“ oder Patienten, die sich die Verletzung bei banalen Alltagstätigkeiten zuziehen. Die Achillodynie beispielsweise betrifft bis zu 52% aller Läufer im Laufe ihres Lebens und tritt auch bei der weniger sportlich aktiven Bevölkerung, z.B. bei Veränderungen des Aktivitätsniveaus, ungeeignetem Schuhwerk oder Laufen auf ungewohnt hartem Untergrund auf.

Der Tennisellenbogen (radiale Epicondylopathie, oder seltener der Golferellenbogen, ulnare Epicondylopathie) betrifft als häufigste Insertionstendinopathie 7% der handwerklich arbeitenden Bevölkerung (nur 10% der Betroffenen sind tatsächlich Tennisspieler). Weiter spielt auch noch das Patellaspitzensyndrom als eines der häufigsten Überlastungssyndrome im Ballsport eine relevante Rolle.

Weg vom „Tendinitis“-Mythos: 
Die Pathophysiologie der Tendopathie

Früher wurden Sehnenerkrankungen oft als „Tendinitis“ bezeichnet und auch in aktuellen spezialistischen Befunden ist diese Begrifflichkeit noch regelmäßig anzutreffen. Die Bezeichnung basiert auf der Annahme einer Entzündung des Sehnengewebes mit Kumulation von Entzündungszellen und Freisetzung von Zytokinen – ganz analog zu einem infektiösen Prozess. Folgerichtig stand als wesentlicher Behandlungsansatz eine Belastungspause mit Schonung und Ruhe im Vordergrund.

In einer moderneren Betrachtungsweise spricht man bei den schmerzhaften Überlastungszuständen der Sehnen heute eher von „Tendopathien“. Damit trägt man dem degenerativen Charakter der Erkrankung ohne Nachweis einer Entzündung des Sehnengewebes Rechnung. Eine Entzündung findet sich allenfalls initial und kurzfristig als Teilkomponente. Konträr zu den überholten Empfehlungen wird hier keine vollständige Ruhe, sondern eine frühzeitige, angemessene Belastung empfohlen.

Pathophysiologisch findet sich weder bei der akuten noch bei der chronischen Schädigung eine prostaglandinvermittelte Entzündungsreaktion. Im akuten Verlauf kommt es aufgrund einer Überbeanspruchung zu Mikrorupturen von Kollagenfasern. Dies führt zu einer gesteigerten Bildung von größeren, mehr Wasser bindenden Proteoglykanen, was eine Schwellung verursacht. Dieser Vorgang soll die durch die Mikrorupturen verursachte Schwächung kompensieren, mündet aber auch in einer höheren Steifigkeit des Gewebes. Im chronischen Verlauf kommt es zu strukturellen Veränderungen des Kollagengefüges: die Ausrichtung der Fasern wird ungeordnet, die Zugfestigkeit der Fasern herabgesetzt. Zudem stört eine Hypervaskularisation mit Neubildung von Gefäßen das Sehnengewebe: die Sehne degeneriert!

Diagnostik: Inspektion, Palpation und spezifische Tests

Bei der Anamnese finden sich regelhaft Angaben zu einer plötzlichen Belastungssteigerung oder einem Schlag auf die Sehne. Die Betroffenen berichten von ausgesprochener Belastungsempfindlichkeit und starken Schmerzen bei sportlicher und Alltagsbelastung. Bei der chronischen Form der Tendopathie sind die Beschwerden eher länger bestehend, nehmen langsam zu und die Belastungsempfindlichkeit ist ebenfalls ausgeprägt. Während das typische Alter einer solchen akuten Schädigung zwischen 15 und 25 Jahren liegt, finden sich chronische Läsionen eher im Alter von mehr als 50 Jahren (typische „Occupational Athletes“).

Die körperliche Untersuchung umfasst die Inspektion und Palpation der jeweils betroffenen Sehne, wobei im Einzelfall verdickte oder schmerzhafte Sehnen gefunden werden können. Spezifische Tests für die Achillessehne/Plantarfaszie sind der Zehenspitzstand (Schmerzen, Hinweise auf eingeschränkte Funktion), der Thompson-Test (zum Ausschluss einer Ruptur) und der Arc-Test (Bogentest). Letzterer kann bei der Unterscheidung zwischen Tendopathie und Tendovaginitis helfen. Für die Ellenbogensehnen (Tennis-/Golferellenbogen) werden der Chair-Test (und umgekehrter Chair-Test), der Cozen-Test (und umgekehrter Cozen-Test) und der Mittelfingerstrecktest eingesetzt. Bei Patellasehnenbeschwerden erfolgt die Palpation am Ansatz der Patella, wobei auf Rötungen, Schwellungen oder Verhärtungen geachtet wird. Weitere Tests sind die isometrische Testung (Schmerzen bei US-Streckung gegen Widerstand mit Knie in Beugestellung) und eine Funktionstestung (Schmerzen beim Übergang aus der Kniebeuge in die Streckung). Mittels Sonographie kann mit dem Linearschallkopf z.B. bei chronischer Achillodynie eine Zunahme des Sehnenquerschnitts, eine inhomogene Binnenstruktur und eine Neugefäßbildung sichtbar gemacht werden.

Modernes Behandlungskonzept: 
Aktiv statt Passiv, Last statt Ruhe!

Das moderne Behandlungskonzept bei Tendopathien weicht deutlich von früheren Ansätzen ab und fokussiert auf angemessene Belastung anstelle vollständiger Ruhe. Eine ausgedehnte Belastungspause sollte vermieden werden, da sie schon innerhalb von zwei Wochen zur Versteifung der Sehne führen und sogar den Verlust von Muskelkraft und Veränderungen im Motorcortex bewirken kann. Stattdessen ist eine frühzeitige isometrische Beübung angezeigt.

Isometrisches Training bedeutet, dass der Muskel angespannt wird, während seine Länge gleich bleibt. Daraus resultiert keine Bewegung im Gelenk, sondern nur Druck- oder Zuganspannung, z.B. das Halten eines Gewichts oder das Drücken gegen ein stationäres Objekt. Bei akuter Tendopathie ist mit isometrischem Training eine zuverlässige Schmerzreduktion äußerst kurzfristig erreichbar. Speziell für die Patellasehnen-Tendopathie sprechen die Daten hier eine eindeutige Sprache und auch für die Achillessehne gibt es Belege für sofortige moderate Schmerzreduktion. Eine konkrete Empfehlung für akute Tendopathie mittels isometrischem Training lautet z.B. 5–10 Sätze von 45 Sekunden Dauer, 2–3 Mal täglich, mit möglichst hoher Last bis zur Schmerzgrenze (gerade noch erträglich). Dehnungsübungen sollten dagegen vermieden werden.

Für die Verlaufstherapie und insbesondere bei eher chronischen Tendopathien bietet sich ein exzentrisches Training an. Hierbei wird der Muskel angespannt, seine Länge verändert sich aber „in Zeitlupe“ – oft indem er passiv bewegt wird (z.B. durch Abbremsen einer Bewegung oder Absenken eines Gewichts). Das exzentrische Training zielt auf langfristige Verbesserung von Sehnenfunktion und -struktur sowie langfristige Schmerzreduktion ab. Eine konkrete Empfehlung für chronische Tendopathie besteht bei Sportlern aus 5 x 15 Wiederholungen, 2-mal täglich (oder häufiger). Für die „occupational athletes“ wird deutlich niedriger gegriffen: Schon 1 x 15 Wiederholungen, einmal täglich können hier bei kontinuierlicher Anwendung einen ausreichenden Nutzen bringen. Die Anpassung der Belastung richtet sich stets nach den unter Beübung empfundenen Beschwerden am Folgetag; bei starken Schmerzen sollte die Belastung reduziert werden! Ein Vergleich der Trainingsformen zeigt, dass isometrisches Training eher zur sofortigen Schmerzlinderung in der Akutphase dient, während exzentrisches Training langfristig Struktur und Funktion verbessert.

Und sonst so? Weitere Optionen
 bei Sehnenbeschwerden

Beim Flossing wird ein elastisches Band ähnlich einem Fahrradschlauch mit moderater bis hoher Zugspannung (bis an die Schmerzgrenze; Cave: periphere arterielle Verschlusskrankheit!) im Bereich eines Gelenkes oder Sehnenansatzes angewickelt. Das Band wird 2–3 Minuten belassen, darunter erfolgen isometrische und exzentrische Kontraktionen oder dynamische Belastungen. Als mögliche Wirkmechanismen werden ein Faszieneffekt (Verbesserung der Gleitfähigkeit, interstitieller Flüssigkeitsabfluss), eine Anregung von Durchblutung/Lymphabfluss durch intermittierende Kompression und ein neuromuskulärer Effekt (Einfluss auf sensorische Rückmeldung und Muskelaktivierung) diskutiert.

Nitrospray wirkt als NO-Donator. NO (Stickstoffmonoxid) hat Wirkungen auf das Gewebe, darunter eine Verbesserung der Mikrozirkulation, Anregung des Stoffwechsels, Förderung von Angiogenese und Neovaskularisation sowie Förderung der Kollagensynthese in Sehnenzellen. Diese Faktoren können den Heilungsprozess, vor allem bei einer chronischen Tendopathie, unterstützen. Ein mögliches Gabeschema könnte zweimal täglich 2 Hübe Nitrospray auf die Haut über der betroffenen Sehnenregion umfassen – zusätzlich zu täglicher exzentrischer Beübung (bis zu 6 Monate). In Studien mit einem Pflasterpräparat waren im Vergleich zur Placebogruppe nach drei Jahren 88 % der Patienten mit chronischer nicht-insertioneller Achillodynie vollständig asymptomatisch (Placebo 67%).

Autor: Dr. med. Carsten Köber

© Oleg Breslavtsev – stock.adobe.com

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