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Kardiotokographie (CTG) in der Geburtshilfe: Interpretation und klinische Bedeutung

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Kardiotokographie (CTG) in der Geburtshilfe: Interpretation und klinische Bedeutung

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Kardiotokographie (CTG) hat sich als unverzichtbares diagnostisches Verfahren in der modernen Geburtshilfe etabliert. Sie ermöglicht die simultane Registrierung und Aufzeichnung der fetalen Herzfrequenz und der mütterlichen Wehentätigkeit. Das primäre Ziel ist die frühzeitige Erkennung fetaler Gefahrenzustände, um rechtzeitig intervenieren und potenzielle Schädigungen des Fetus verhindern zu können.

Die physiologische Grundlage der CTG-Interpretation liegt im Verständnis der fetalen Herzfrequenzregulation. Diese wird durch das autonome Nervensystem, Baro- und Chemorezeptoren sowie die Stammhirnfunktion gesteuert. Das sympathische Nervensystem entwickelt sich zuerst und führt zu einer höheren Baseline bis etwa zur 27. SSW. Mit der anschließenden Entwicklung des Parasympathikus sinkt die Baseline wieder. Im fetalen Stammhirn werden die Informationen von Sympathikus/Parasympathikus, Baro- und Chemorezeptoren integriert, was die charakteristischen Oszillationen im CTG erklärt.

Der Fetus gewinnt Energie primär durch aeroben Stoffwechsel. Bei Sauerstoffmangel treten verschiedene Kompensationsmechanismen auf: Bei Hypoxämie kann der verminderte Sauerstoffgehalt im Blut zunächst durch erhöhte Herzfrequenz kompensiert werden. Bei fortschreitender Hypoxie kommt es zur Zentralisation mit aerobem Stoffwechsel in Herz und Gehirn, während periphere Gewebe auf anaeroben Stoffwechsel umstellen. Eine schwere Asphyxie führt zu ubiquitärem anaeroben Stoffwechsel, der nur kurzzeitig aufrechterhalten werden kann und zur Azidose führt.

Die technische Durchführung der CTG erfolgt meist durch externe Messung mittels zweier Sensoren: Ein Doppler-Ultraschall-Transducer erfasst die fetale Herzfrequenz durch Reflexion von Ultraschallwellen am fetalen Herzen, während ein Toko-Sensor die Spannungsänderungen der Bauchdecke während uteriner Kontraktionen registriert. Moderne Geräte können zusätzlich fetale Bewegungen aufzeichnen (Kineto-Kardiotokographie). Bei geöffneter Fruchtblase während der Geburt kann alternativ eine präzisere interne Messung mittels fetaler Skalp-Elektrode und intrauterinem Druckkatheter erfolgen.

Die Beurteilung eines CTG basiert auf mehreren Parametern: Die Baseline (Grundfrequenz) repräsentiert die mittlere fetale Herzfrequenz über mindestens 10 Minuten und gilt als normal zwischen 110-150 Schlägen pro Minute (SpM). Die Bandbreite (Variabilität) beschreibt die Schwankungen der Herzfrequenz um die Baseline und sollte mindestens 5 SpM betragen. Akzelerationen sind transiente Anstiege der fetalen Herzfrequenz um >15 SpM für mindestens 15 Sekunden und gelten als zuverlässiges Zeichen für fetales Wohlbefinden. Dezelerationen – vorübergehende Abfälle der Herzfrequenz – werden nach Zeitpunkt, Form und Beziehung zu den Wehen als früh, variabel oder spät klassifiziert, wobei besonders späte Dezelerationen auf eine utero-plazentare Insuffizienz mit fetaler Hypoxie hindeuten können.

Die Gesamtbeurteilung erfolgt nach den FIGO-Kriterien als normal (alle Parameter unauffällig), suspekt (ein Parameter auffällig) oder pathologisch (mindestens ein Parameter pathologisch oder mehrere suspekt). Je nach Befund sind unterschiedliche Maßnahmen indiziert – von intensivierter Überwachung über konservative Interventionen bis hin zur operativen Geburtsbeendigung.

Gemäß aktueller Leitlinien ist ein antepartales CTG bei Low-Risk-Schwangerschaften nicht routinemäßig indiziert. Spezifische Indikationen umfassen unter anderem mütterliche Anämie, fetale Arrhythmien, Blutungen in der Spätschwangerschaft, Diabetes mellitus, auffällige Dopplerbefunde, abnorme Fruchtwassermenge, Hypertonie, verminderte Kindsbewegungen, Mehrlingsschwangerschaften, Terminüberschreitung, vorzeitige Wehentätigkeit und intrauterine Wachstumsrestriktion.

Während der Geburt ist das CTG das Standardverfahren zur kontinuierlichen Überwachung des fetalen Zustands. In der Eröffnungsphase werden CTG-Kontrollen in regelmäßigen Abständen durchgeführt, bei Risikofaktoren kontinuierlich. In der Austreibungsphase wird eine kontinuierliche Überwachung empfohlen. Bei pathologischem CTG können konservative Maßnahmen wie Lagerungswechsel, Tokolyse oder Sauerstoffgabe eingeleitet werden, eine Mikroblutuntersuchung zur Bestimmung des fetalen pH-Werts erfolgen oder eine Geburtsbeendigung durch vaginale operative Entbindung oder Sectio caesarea notwendig werden.

Die CTG-Interpretation muss stets unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren erfolgen. Maternale Faktoren wie Körperposition, Kreislaufveränderungen, Medikamente, Fieber sowie Stress und Angst können ebenso Einfluss nehmen wie fetale Faktoren (Gestationsalter, Schlaf-Wach-Rhythmus, Bewegungsaktivität) oder plazentare und Nabelschnurfaktoren (Plazentainsuffizienz, Nabelschnurkompression, vorzeitige Plazentalösung).

Trotz der weiten Verbreitung des CTG bestehen einige Herausforderungen wie Interobserver-Variabilität, falsch-positive und falsch-negative Befunde sowie retrospektive Beeinflussung der Interpretation durch Kenntnis des neonatalen Outcomes. Um diese Limitationen zu kompensieren, werden ergänzende Methoden wie fetale Pulsoxymetrie, ST-Analyse des fetalen EKG, Mikroblutuntersuchung, Dopplersonographie und computerisierte CTG-Analyse eingesetzt.

Die Kardiotokographie bleibt ein zentrales Element der fetalen Überwachung, insbesondere während der Geburt. Die korrekte Interpretation erfordert fundierte Kenntnisse der fetalen Physiologie und Pathophysiologie sowie die Berücksichtigung aller klinischen Parameter. Künftige Entwicklungen zielen auf die Verbesserung der Spezifität durch computergestützte Analysen, Integration multimodaler Überwachungstechniken und Entwicklung standardisierter Interpretationsalgorithmen ab.

Quellen

Schneider KT, et al. S3-Leitlinie: Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt. AWMF-Registernummer: 015-036, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V., 2013.

Goeschen K. Interpretation und Konsequenzen der Kardiotokographie (CTG). In: Hickl EJ, Berg D (eds) Gynäkologie und Geburtshilfe 1990. Springer, Berlin, Heidelberg, 1991.

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Wennerholm UB, et al. Induction of labour at 41 weeks versus expectant management and induction of labour at 42 weeks (SWEdish Post-term Induction Study, SWEPIS). BMJ 2019;367:l6131.

Middleton P, et al. Induction of labour in women with normal pregnancies at or beyond 37 weeks gestation. Cochrane database of systematic reviews, 2020.

S3-Leitlinie: Fetale Überwachung in der Schwangerschaft (Indikation und Methodik zur fetalen Zustandsdiagnostik im low-risk Kollektiv). AWMF-Registernummer: 015-089, 2023.

DocMedicus Gesundheitslexikon. Cardiotokographie (CTG, Herzton-Wehenschreiber). Letzte Aktualisierung: 18.09.2023.

Gehring WG. Cardiotokographie (CTG, Herzton-Wehenschreiber). DocMedicus Gesundheitslexikon, 2023.

DocCheck Flexikon. Kardiotokographie. Letzte Aktualisierung: 21.03.2024.

AMBOSS. Kardiotokografie (CTG). Letzte Aktualisierung: 8.1.2025.

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