Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NMU) stellen eine wachsende Herausforderung in der allgemeinmedizinischen und ernährungsmedizinischen Praxis dar. Sie umfassen eine Vielzahl nicht-immunologischer und immunologischer Reak- tionen auf Lebensmittel und deren Bestandteile. Dieser Artikel beleuchtet die Definition, Systematik, Diagnostik und Therapie der häufigsten NMU: Laktoseintoleranz, Fruktosemalabsorption und Histaminintoleranz.
Definition und Systematik
NMU sind gesundheitliche Beschwerden, die durch den Verzehr bestimmter Lebensmittel oder Inhaltsstoffe ausgelöst werden. Sie werden in immunologische (z. B. Nahrungsmittelallergien) und nicht-immunologische Intoleranzen unterteilt. Die häufigsten nicht-immunologischen Formen sind:
- Laktoseintoleranz: Enzymatische Störung (Laktasemangel), die zur unvollständigen Spaltung von Milchzucker führt. Dies führt zu einer erhöhten osmotischen Belastung im Darm, was Durchfall und Blähungen verursacht.
- Fruktosemalabsorption: Gestörte Resorption von Fruktose im Dünndarm durch eine eingeschränkte Funktion des GLUT5-Transporters. Symptome entstehen durch bakterielle Fermentation im Dickdarm.
- Histaminintoleranz: Mangel oder eingeschränkte Funktion der Diaminoxidase (DAO), eines histaminabbauenden Enzyms. Dadurch wird Histamin aus der Nahrung nicht ausreichend abgebaut und führt zu systemischen Reaktionen4. Diese Reaktionen ähneln oft allergischen Symptomen, sind jedoch nicht immunologisch vermittelt und werden daher als Pseudoallergien bezeichnet. Dies bedeutet, dass keine spezifischen IgE-Antikörper beteiligt sind, sondern die überschüssige Histaminkonzentration direkt auf Histaminrezeptoren wirkt. Die Abgrenzung zu echten Allergien ist essenziell, da die Therapieansätze unterschiedlich sind.
Die Unterscheidung zwischen diesen Formen ist essenziell, da sie sowohl unterschiedliche Ursachen als auch spezifische Therapieansätze erfordern. Während Laktose- und Fruktoseintoleranzen primär durch enzymatische Defizite bedingt sind, spielt bei der Histaminintoleranz eine verminderte enzymatische Abbaukapazität eine Rolle.
Häufigkeiten und Symptomatik
NMU sind häufiger als Nahrungsmittelallergien. Schätzungen zufolge betrifft Laktoseintoleranz etwa 13–14 % der deutschen Bevölkerung, während Fruktosemalabsorption bis zu 20 % der Europäer betrifft. Besonders bei Histaminintoleranz spielen individuelle Unterschiede im DAO-Enzym eine Rolle. Frauen sind aufgrund hormoneller Einflüsse häufiger betroffen.
Symptome
- Gastrointestinal: Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Gedeihstörungen (bei Kindern).
- Haut: Urtikaria, Flush, Juckreiz.
- Respiratorisch: Rhinitis, Asthma.
- Systemisch: Kopfschmerzen, Herzrasen, chronische Erschöpfung.
- Neurologisch: Konzentrationsstörungen und Schlafprobleme, besonders bei Histaminintoleranz.
Die Symptome können sowohl akut nach dem Verzehr eines Auslösers auftreten als auch chronisch und unspezifisch verlaufen. Besonders problematisch ist dies für die Differenzialdiagnose, da ähnliche Beschwerden auch bei anderen gastrointestinalen Erkrankungen wie Zöliakie oder dem Reizdarmsyndrom auftreten können.
Diagnostik
Die hier dargestellten Empfehlungen orientieren sich an den relevanten Leitlinien, wie der S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom und den DEGAM-Empfehlungen. Diese Leitlinien bieten praktische Orientierungshilfen für die hausärztliche Diagnostik und Therapie. Eine fundierte Anamnese ist der Schlüssel zur Diagnostik. Dabei sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Detaillierte Ernährungsanamnese:
- Dokumentation der verzehrten Lebensmittel, insbesondere deren Zusammensetzung und Verarbeitungsgrad.
- Berücksichtigung von Symptombeginn und -dauer in Bezug auf Mahlzeiten.
- Identifikation möglicher Zusatzstoffe oder spezifischer Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit.
2. Ernährungstagebuch:
- Empfehlung einer mindestens 14-tägigen Dokumentation von Mahlzeiten und Symptomen. Dies kann Hinweise auf wiederkehrende Muster geben.
3. Provokationstests:
- Laktose: Einnahme definierter Mengen Laktose (z. B. 12,5 g in Milch) mit Überwachung von Symptomen über 3 Stunden.
- Fruktose: Gabe von 25 g Fruktose, gefolgt von einer ähnlichen Beobachtungszeit.
- Histamin: Kontrollierte Provokation durch histaminreiche Lebensmittel wie Hartkäse oder Rotwein unter medizinischer Aufsicht.
4. Labor- und Atemtests:
- Wasserstoffatemtest: Goldstandard zur Diagnose von Laktose- und Fruktoseintoleranz. Es ist jedoch zu beachten, dass dieser Test keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist und die Kosten daher privat getragen werden müssen. Dabei wird die Exhalation von Wasserstoff nach Substratgabe über 2–3 Stunden gemessen.
- DAO-Aktivitätsmessung: Zur Bestätigung einer Histaminintoleranz wird die DAO-Aktivität im Serum analysiert. Es gibt jedoch wissenschaftliche Diskussionen zur Aussagekraft dieses Tests. Während niedrige DAO-Werte mit Histaminintoleranz-Symptomen korrelieren können, spiegeln sie nicht immer den enzymatischen Abbau im Darm wider. Daher sollte die DAO-Bestimmung nur im Kontext einer umfassenden klinischen Bewertung verwendet werden.
5. Ausschlussverfahren:
- Bei Verdacht auf Zöliakie können spezifische Labortests wie die Bestimmung von Gewebe-Transglutaminase-IgA (tTG-IgA) in Kombination mit dem Gesamt-IgA-Wert verwendet werden, um einen IgA-Mangel auszuschließen. Diese Tests sind in der Regel ausreichend und einfach durchzuführen.
- SIBO (Small Intestinal Bacterial Overgrowth), eine bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms, ist eine häufig übersehene Ursache gastrointestinaler Beschwerden. Diagnostisch wird SIBO bevorzugt durch einen Glukose- oder Laktulose-Wasserstoffatemtest festgestellt. Die Behandlung umfasst antibiotische Therapie (z. B. Rifaximin) und langfristige Maßnahmen zur Normalisierung der Darmmotilität und Ernährung.
- Abgrenzung gegenüber differenzialdiagnostisch relevanten Erkrankungen wie entzündlichen Darmerkrankungen oder bakterieller Fehlbesiedelung.
6. Bildgebende Verfahren:
- Bei unklarer Genese können endoskopische oder radiologische Verfahren (z. B. MRT-Enteroklysma) zum Ausschluss struktureller Ursachen eingesetzt werden.
Biogene Amine und Histaminliberatoren
Biogene Amine, darunter Histamin, sind natürliche Bestandteile vieler Lebensmittel und entstehen häufig durch mikrobielle Fermentation oder Reifung. Besonders hohe Konzentrationen finden sich in fermentierten Produkten wie Käse, Rotwein, Sauerkraut und bestimmten Fischsorten (z. B. Makrele, Thunfisch). Menschen mit Histaminintoleranz reagieren empfindlich auf diese Lebensmittel, da sie durch eine reduzierte Aktivität der Diaminoxidase (DAO) Histamin nicht ausreichend abbauen können. Histaminliberatoren: Zusätzlich gibt es Lebensmittel, die kein Histamin enthalten, aber die Freisetzung von körpereigenem Histamin fördern können. Beispiele hierfür sind Erdbeeren, Tomaten, Schokolade und Zitrusfrüchte. Diese Stoffe können pseudoallergische Reaktionen auslösen, die den Symptomen einer echten Allergie ähneln.
Therapie
Die hier vorgeschlagenen Therapieansätze basieren auf aktuellen Leitlinienempfehlungen und evidenzbasierten Studien, die in der hausärztlichen Versorgung einfach umsetzbar sind. Ergänzend wird die Bedeutung von personalisierten Ernährungsansätzen hervorgehoben, die eine bessere Anpassung an die individuellen Bedürfnisse der Patienten ermöglichen. Die Therapie basiert auf der Vermeidung auslösender Lebensmittel und einer individuellen Anpassung der Ernährung. Dabei ist eine evidenzbasierte Herangehensweise essenziell:
Laktoseintoleranz
- Karenz: Initialer Verzicht auf laktosehaltige Produkte. Studien zeigen, dass eine konsequente Karenz zu einer deutlichen Symptomreduktion führt.
- Wiedereinfuhr: Stufenweise Einführung laktosearmer Produkte wie Hartkäse oder fermentierte Milchprodukte (z. B. Joghurt). Diese Produkte enthalten oft weniger Laktose und sind besser verträglich.
- Enzympräparate: Evidenzbasierte Studien belegen die Wirksamkeit von Laktase-Tabletten bei Patienten mit Laktoseintoleranz. Diese verbessern die Toleranz laktosehaltiger Mahlzeiten5. Allerdings ist die Wirkung individuell unterschiedlich und hängt von der Restaktivität der körpereigenen Laktase ab. Zudem sind Laktasepräparate keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die Kosten müssen privat getragen werden.
- Alternative Produkte: Pflanzliche Milchersatzprodukte wie Soja-, Hafer- oder Mandelmilch sind in der Regel gut verträglich und stellen eine sinnvolle Alternative dar. Allerdings ist die individuelle Verträglichkeit zu berücksichtigen, da manche Menschen auf Bestandteile wie Soja oder Mandeln empfindlich reagieren können. Zudem liefern pflanzliche Ersatzprodukte oft weniger Protein und Kalzium als Kuhmilch, es sei denn, sie sind angereichert. Angereicherte Produkte können eine ernährungsphysiologisch ausgewogene Alternative bieten, sollten jedoch je nach individuellem Nährstoffbedarf sorgfältig ausgewählt werden.
Fruktosemalabsorption
- Initialphase: Studien zeigen, dass ein strenger Verzicht auf Fruktose die Symptome deutlich reduziert. Besonders Fruchtsäfte und Honig sollten in dieser Phase vermieden werden.
- Stabilisierungsphase: Die Kombination fruktosehaltiger Nahrungsmittel mit Glukose kann die Resorption verbessern. Dies basiert auf dem Co-Transport-Mechanismus, der durch Glukose aktiviert wird.
- Langzeitstrategie: Fokussierung auf naturbelassene Lebensmittel und die Vermeidung von Sorbit, das laut Studien die Symptome verstärken kann. Ein fruktosearmes Ernährungskonzept sollte langfristig individuell angepasst werden.
Histaminintoleranz
- Vermeidung: Eine Reduktion histaminreicher Lebensmittel (z. B. Rotwein, gereifter Käse, fermentierte Produkte) ist evidenzbasiert wirksam und reduziert Symptome signifikant.
- Medikamentös: Antihistaminika der H1- und H2-Klasse werden erfolgreich zur Symptombehandlung eingesetzt. Studien zeigen, dass DAO-Präparate bei einigen Patienten ebenfalls wirksam sein können.
- Zusatzmaßnahmen: Vitamin C und B6 können die DAO-Aktivierung unterstützen und werden in der Literatur als ergänzende Therapie empfohlen.
Die Rolle von FODMAPs
FODMAPs (fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole) sind kurzkettige Kohlenhydrate, die bei vielen Menschen mit NMU Symptome hervorrufen können. Sie sind in einer Vielzahl von Lebensmitteln wie Weizen, Milchprodukten, einigen Obst- und Gemüsesorten sowie Zuckeraustauschstoffen enthalten. FODMAPs sind osmotisch aktiv, ziehen Wasser in den Darm und werden von Darmbakterien fermentiert, was zu Blähungen, Durchfall und Schmerzen führen kann. Die Low-FODMAP-Diät, ein schrittweiser Ansatz zur Identifikation und Reduktion symptomatischer Lebensmittel, hat sich bei Patienten mit Reizdarmsyndrom und NMU als wirksam erwiesen. Eine individuelle Anpassung und langfristige Betreuung sind dabei entscheidend.
Exemplarische Durchführung einer Low-FODMAP-Diät
Die Low-FODMAP-Diät erfolgt in drei Phasen:
- Eliminationsphase:
- Dauer: 4–6 Wochen.
- Verzicht auf alle FODMAP-reichen Lebensmittel, um die Symptome zu minimieren.
- Typische FODMAP-reiche Lebensmittel: Weizen, Milchprodukte, Äpfel, Zwiebeln, Knoblauch, Hülsenfrüchte, Zuckeraustauschstoffe (z. B. Sorbit).
2. Wiedereinführungsphase:
- Dauer: Mehrere Wochen.
- Schrittweise Wiedereinführung einzelner FODMAP-reicher Lebensmittel, um individuelle Toleranzen zu identifizieren.
- Vorgehen: Pro Woche ein Lebensmittel testen und die Symptomreaktionen dokumentieren.
3. Langzeitphase:
- Individuell angepasste Ernährung basierend auf den Ergebnissen der Wiedereinführungsphase.
- Ziel: Möglichst viele verträgliche Lebensmittel wieder in den Speiseplan integrieren, um eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen.
Die Low-FODMAP-Diät sollte idealerweise unter der Anleitung eines Ernährungsberaters erfolgen, um Nährstoffdefizite zu vermeiden und die Diät individuell anzupassen.
Die Differenzierung zwischen NMU und anderen gastrointestinalen Erkrankungen erfordert eine umfassende Anamnese und spezifische Diagnostik. Eine Low-FODMAP-Ernährung hat sich bei verschiedenen NMU und beim Reizdarmsyndrom als wirksam erwiesen. Insbesondere bei Histaminintoleranz sollten auch Begleitfaktoren wie Stress und Medikamenteneinnahme berücksichtigt werden. Zukünftig könnten personalisierte Ernährungskonzepte auf Basis genetischer und mikrobiologischer Analysen die Therapie weiter verbessern.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Gastroenterologen und Ernährungsberatern ist besonders bei komplexen Fällen von zentraler Bedeutung. Durch ein abgestimmtes Vorgehen können Diagnostik und Therapie optimiert werden.
Fazit für die Praxis
NMU sind häufig, jedoch oft nicht ausreichend erkannt. Für die hausärztliche Praxis sind insbesondere eine einfache und praktikable Diagnostik, wie Ernährungstagebücher und Wasserstoffatemtests, sowie eine strukturierte Patientenschulung entscheidend. Evidenzbasierte Maßnahmen, wie die Low-FODMAP-Diät oder der Einsatz von Laktasepräparaten, können die Symptome wirksam lindern und die Lebensqualität der Patienten verbessern. Eine umfassende Anamnese und regelmäßige Nachkontrollen helfen, die Therapie individuell anzupassen und differenzialdiagnostische Ursachen wie Zöliakie oder SIBO auszuschließen. Durch eine zielgerichtete Integration dieser Ansätze in den Praxisalltag können Hausärzte die Versorgung von Patienten mit NMU nachhaltig optimieren.
Autor: Dr. med. Manuel Magistro, MBA
Quelle: Der Allgemeinarzt
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