Seit mehr als einem halben Jahr läuft die Elektronische Patientenakte (ePA) im Praxistest. Bislang fällt die konkrete Nutzung gering aus. Auf dem Hauptstadtkongress betonten Experten die Notwendigkeit der intensiven intersektoralen Nutzung der ePA. Die Schlüssel-Parameter für das folgende Zwischenzeugnis sind die Zugriffsraten in den dermatologischen Praxen und Kliniken.
In der Politik wird die Kritik an der zögerlichen Einführung der Elektronischen Patientenakte lauter. In einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ äußerte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen die Befürchtung, das zentrale Digitalisierungsprojekt könnte scheitern. Dahmen kritisierte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und machte sie indirekt für Sterbefälle im Gesundheitssystem aufgrund mangelnder Digitalisierung verantwortlich. Dahmen prangerte das zu geringe ePA-Tempo der Ministerin an. Die ePA-Versprechen besserer Versorgung, größerer Sicherheit und dem „Ende der Zettelwirtschaft“ drohten gebrochen zu werden.
Krankenkassen: Geringe ePA-Nutzung
AOK-Bundesverband, Techniker Krankenkasse und Barmer Ersatzkasse hatten nach dem Start des Angebots im April bemängelt, dass bislang offenbar weniger als drei Prozent der 74 Millionen angelegten elektronischen Patientenakten in der Praxis genutzt würden. Die geringe Nutzung der Akten liege nicht an Ablehnung, sondern daran, dass relevante Inhalte fehlen, betonte Dahmen. Die versprochenen Anwendungen wie Laborwerte, Arztbriefe oder Impfpass müssten endlich kommen – sonst bleibe die ePA ein leeres Versprechen. Vor fast 30 Jahren führte die damalige SPD-Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die ePA in die gesundheitspolitische Diskussion ein. Eine typisch deutsche Angstdebatte um den angeblich „gläsernen Patienten“ verhinderte lange erkennbare Fortschritte. Erst die Ampelkoalition beschloss endgültig die ePA.
Auf dem Berliner Hauptstadtkongress stellten Experten die Elektronische Patientenakte auf den Prüfstand. Nach sechs Monaten Betrieb sollte ein erstes Zwischenfazit gezogen werden. Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit erinnerte an die schonungslose Analyse des Chaos Computer Clubs in der Weihnachtszeit 2024. In der IT-Sicherheit und der Stabilität und Verlässlichkeit hat sich seither laut Kastl einiges verbessert. Kastl ist IT-Entwicklerin sowie Sicherheitsforscherin und arbeitet mit dem CCC zusammen. Im Hinblick auf die 2024 festgestellten Lücken habe es viel zu lange gedauert, bis die Gematik reagiert hätte. Für eine wirkungsvolle, vertrauensbildende Nutzung digitaler Instrument brauche es eine Transparenz und die Fähigkeit, solche Fehler schnell und effektiv zu korrigieren. „Die Arztpraxis darf nicht die erste Verteidigungslinie für die Datensicherheit der ePA sein. Diese Aufgabe kann man den Praxen nicht zumuten; es muss eine andere Struktur geben“, forderte Kastl.

(v. l.n. r.) Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit, Dr. Sybille Steiner, Mitglied im Vorstand der KBV, Sebastian Mörth von AmCham Austria, Gematik-Vorsitzender Dr. Florian Fuhrmann und die Gynäkologen Dr. Waldemar Funk sowie Heinrich Wessels; © Runkel
Gematik mahnt den richtigen Umgang an
Gematik-Chef Dr. Florian Fuhrmann berichtete zufrieden über 500 abgearbeitete Reparatur-Tickets und 28 Millionen ePA-Aufrufe in einer Woche. Er beteuerte, dass die Gematik ihre Fehler- und Gefährdungsanalysen nach den CCC-Hinweisen hinterfragt hätte. Allerdings müsse man sich zum Beispiel darauf verlassen können, dass alle Arztpraxen vorschriftsmäßig mit den SMC-B-Karten umgingen. Unter dem Strich hätten 50.000 Krankenhäuser, Praxen und Apotheken auf die ePAs zugegriffen. „Wenn es noch Lücken gibt, werden wir sie schließen.“ Dr. Fuhrmann appellierte an die Ärzte, nicht bis zur Befüllungs-Deadline am 30. September zu warten. Dann werde es in der Hotline „sehr knubbelig“.
Einen österreichischen Blick auf die deutschen Digitalisierungsprobleme gewährte Sebastian Mörth von AmCham Austria, der an der ePA-Realisierung im Nachbarland mitwirkt. „Es ist sicher ein Vorteil, wenn es neun Bundesländer gibt und nicht 16 wie in Deutschland. Trotzdem ist der Föderalismus auch in Österreich stark ausgeprägt. Die Opt-out-Quote der ePA liegt bei 2,8 %. Die ablehnende Gruppe gewinnt man in keinem Fall – unabhängig davon, welche Lösung auch immer angeboten wird. In Österreich gab es auch massive Medienkampagnen, die vor Darknet-Abfluss von Gesundheitsdaten warnten“, berichtete Mörth. Dabei liegen die Vorteile der ePA auf der Hand, zum Beispiel bei der Vermeidung von Wechselwirkungen mehrerer fachärztlicher Arznei-Verschreibungen. Mörth sprach sich für Verpflichtung, Sanktionsandrohung und Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems aus. „Sonst sitzen wir in fünf Jahren immer noch hier und beklagen den PDF-Datenfriedhof im Netz.“
KBV klopft sich auf die Schultern
„Das ambulante System ist der am besten digitalisierter Bereich im Gesundheitswesen“, behauptete Dr. Sybille Steiner, Mitglied im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Allerdings bezog Steiner ihre Aussage auf das Elektronische Rezept und die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dr. Steiner beklagte andererseits nach wie vor hohe Hürden zwischen den Sektoren. Von entscheidender Bedeutung sei es, dass die Elektronische Patientenakte auch in den Krankenhäusern heimisch werde „Wenn es uns nicht gelingt, die intersektoralen Hürden in der ePA-Nutzung zu überwinden, dann war das Ganze ein netter Versuch, aber nicht mehr. Das ganze Konzept macht erst dann Sinn, wenn auch die Krankenhäuser die ePA voll nutzen.“
Auch die Gematik betont die Schlüsselrolle der Kliniken. „Sämtliche Informationen aus dem stationären Sektor sind wichtig für die ambulante Nachsorge und die Einweiser generell. Die ePA ist genau das Vehikel, das in Zukunft für diesen Zweck genutzt werden soll. Für die Nutzbarkeit der ePA ist es von zentraler Bedeutung, dass wir die stationäre Versorgung in die ePA-Nutzung integrieren“, betonte Dr. Fuhrmann.
KBV-Vorständin Steiner forderte die Einführung des elektronischen Entlassbriefes. „Die Entlassbriefe müssen digital vorliegen, der Informationsfluss muss funktionieren, denn darin liegt der Mehrwert der ePA.“ Sie betonte auch die Schlüsselrolle der ePA bei der Patientensteuerung. Es kann nicht länger so sein, dass der Patient alle seine Daten vom Hausarzt zum Facharzt, ins Krankenhaus und dann wieder zurück in die ambulante Nachsorge trägt, so Dr. Steiner. Gerade diese Datentransparenz sei der zentrale Vorteil der ePA, und deshalb dränge die KBV auch so darauf, dass sie reibungslos funktioniere. Zusätzlich setzt sich die KBV für eine Volltextsuche sowie die Möglichkeit einer Remote-Nutzung im Kontext von Videosprechstunden ein. Das KBV-Vorstandsmitglied schlug hierfür ein Cardlink-Verfahren vor.
Digitale Medikationsliste = Gamechanger?
„Die elektronische Medikationsliste ist wirklich ein Gamechanger. Es ist schade, dass diese positiven Aspekte des verbesserten Informationsflusses angesichts der Diskussion um die IT-Sicherheit stark in den Hintergrund gedrängt wurden“, bedauert Steiner. Das Feedback aus den Praxen zeige allerdings auch, dass auch viele Patienten sehr schlecht über die ePA informiert seien. „Das ist natürlich Aufgabe der Krankenkassen, die in dieser Frage der Aufklärung ihrer Mitglieder zu wenig tun.“
Auch Gematik-Chef Fuhrmann blickte in die Zukunft: Der Messenger-Dienst der Telematik-Infrastruktur (TIN) wird ein Teil der ePA werden. Darüber kann dann die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten, Ärzten untereinander sowie zwischen Niedergelassenen und Krankenhausärzten stattfinden, so Dr. Fuhrmann. „Damit können wir die Kommunikation auf ein neues Level heben. Es wird dann eine Weiterentwicklung der elektronischen Medikationsliste geben. Die Themen Labordaten und Impfen sind ebenfalls im Blick.“ Das Ziel seien wirkliche digitale Prozesse mit strukturierten Daten. Die Epoche der PDF-Daten werde Schritt für Schritt zu Ende gehen.
Derzeit tickt die ePA-Uhr unerbittlich. Ab 1. Oktober sind alle Dermatologen verpflichtet, die Elektronischen Patientenakten ihrer Patienten mit Daten zu befüllen. Wer das nicht bis zum 1. Januar 2026 getan hat, muss dann mit finanziellen Sanktionen rechnen. Für die dermatologischen Kliniken gelten diese Sanktionen ab dem 1. März 2026. Die Zeit läuft.
Franz-Günter Runkel
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