2027 könnten in Frankfurt am Main wirklich die Champagner-Korken knallen, wenn DGU-Präsident Prof. Maurice Stephan Michel auf „seinem“ Kongress eine brandneue PSA-basierte Früherkennung des Prostatakarzinoms verkünden könnte. Wie UroForum aus informierten Kreisen des Gemeinsamen Bundesausschusses erfahren hat, wird der G-BA im Oktober eine Entscheidung zur Neubewertung treffen.

Wie G-BA- Mitglied Ernst-Günther Carl UroForum exklusiv mitgeteilt hat, wird der unparteiische G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken vermutlich am 16. Oktober gemeinsam mit der Patientenvertretung sowie den Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft für eine randomisierte klinische Studie zur Neubewertung der Früherkennung des Prostatakarzinoms stimmen. Dadurch ergibt sich ein Stimmenverhältnis von neun zu sechs Stimmen im G-BA. Die sechs Kassenvertreter werden nach heutigem Stand nicht zustimmen. Damit könnte die G-BA-Richtlinie 2027 geändert werden und die PSA-Bestimmung zur Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung werden. Nie standen die Chancen dafür so gut wie derzeit. Hecken will sich außerdem dafür einsetzen, die RCT-Bewertung auf 18 Monate zu verkürzen.
Aufregende Nachrichten im DGU-Plenum
Der heutige DGU-Vizepräsident und Direktor der urologischen Universitätsklinik Mannheim erläuterte den aktuellen Vorgang im DGU-Plenum am vergangenen Mittwoch auf dem DGU-Kongress in Hamburg. „Am 17. Juli hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin einen Antrag der Patientenvertretung – u.a. Ernst-Günther Carl vom Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V. – angenommen. Es geht um die neue, risikoadaptierte sowie PSA- und MRT-Screening-gestützte Früherkennung des Prostatakarzinoms. Der unabhängige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Prof. Josef Hecken, hat sich diesem Antrag angeschlossen“, teilte Prof. Michel mit.
Das Bewertungsverfahren im G-BA soll laut Prof. Michel maximal zwei Jahre dauern. „Wir können davon ausgehen, dass wir im Spätsommer 2027 hoffentlich eine Überarbeitung der Früherkennungs-Richtlinie des G-BA haben werden. Ich bin mittelgradig optimistisch, dass wir eine an der Leitlinie orientierte neue PCa-Früherkennung haben werden. Es besteht eine realistische Chance, in Europa nicht länger die rote Laterne in der Prostatakrebs-Früherkennung in der Hand zu halten“, so Prof. Michel. Der Mannheimer Klinikdirektor geht davon aus, dass Urologen federführend sein werden und dass die entsprechenden GKV-Leistungen unbudgetiert sein werden. Die Screening-Strategie soll entsprechend der S3-Leitlinie Prostatakarzinom in der Langversion 8.0 festgelegt werden.
PCa-Früherkennung war Achterbahn der Gefühle
Die Früherkennung des Prostatakarzinoms ist in der Vergangenheit stets eine emotionale Angelegenheit mit Höhen und Tiefen gewesen. Sie ist das Kerngeschäft und zentrale Thema der Urologie. 2020 gab es das Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf eine Initiative der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss hin. Vermutlich war die Fragestellung, ob ein PSA-Test nicht für jeden Mann sinnvoll sein könnte, nicht glücklich gewählt. Das Ergebnis war, dass die PSA-Testung bei 35 bis 60 Männern von 1.000 zu einer nicht erforderlichen Prostatakarzinom-Diagnose und bei 223 bis 262 Männern von 1.000 zu Verunsicherung aufgrund eines PSA-induzierten Prostatakarzinom-Verdachts geführt hat, so Prof. Michel.
Inzwischen können Urologen wenig aggressive und hoch aggressive Tumore besser voneinander unterscheiden; diese neuen Erkenntnisse münden nun in einen neue, Risiko-adaptierte Früherkennung des Prostatakarzinoms. Außerdem gibt es signifikante Fortschritte in der Bildgebung und im Umgang damit. Abtastung und digital-rektale Untersuchung können nicht mehr das Maß aller Dinge in der PCa-Früherkennung sein. Die Säulen der modernen PCa-Früherkennung sind PSA-Test, Risiko-Stratifizierung und MRT-Untersuchung.
IQWiG-Ablehnung 2020 war für Michel persönliche Enttäuschung
„Für mich persönlich war die GBA-Entscheidung, die PCa-Früherkennungs-Richtlinie nicht zu ändern, ein Desaster und eine große Enttäuschung. Jetzt gibt es ein längeres Follow up der großen Studien“, berichtete Michel. In der ERSPC-Studie geht die Schere in der durch Früherkennung erreichten niedrigen Prostatakarzinom-assoziierten Mortalität immer weiter auf. Außerdem wird auch die Metastasierungs-Rate deutlich gesenkt, wenn das Screening nicht jenseits der 60 Jahre startet, sondern bereits mit 55 einsetze. „Wir konnten gegenüber dem IQWiG gut kommunizieren, dass Lebensqualität aufgrund vermiedener Metastasierung ein relevantes Thema ist – auch im Hinblick auf die Kosten der sehr teuren Systemtherapien.“ Ein Positionspapier der DGU von 2024 hat entsprechende Empfehlungen enthalten. Der Früherkennungs-Algorithmus der DGU findet sich jetzt auch in der S3-Leitlinie wieder.
Der Algorithmus differenziert auf der PSA-Basis zwischen den verschiedenen Risikostufen und definiert einen neuen Cut-off-Wert von 3,0 ng/ml Blut. Bei wiederholter Messung über 3 ng ist eine urologische Konsultation erforderlich. Mit verschiedenen Faktoren erfolgt dann eine neuartige Risiko-Bewertung. Zentrales Diagnostikum ist das MRT, und am Ende steht eventuell eine Biopsie-Empfehlung mit den eventuell folgenden Therapie-Maßnahmen. Ein opportunistisches Screenings hat große Nachteile; die DGU empfiehlt stattdessen eine PSA-basierte und Risiko-stratifizierte Form der Früherkennung, also ein systematisches Screening-Programm.
Soziale Herkunft und Bildung sollen nicht mehr über Leben und Tod entscheiden
Die deutsche S3-Leitlinie Prostatakarzinom in der Version 8.1 vom August 2025 hebt nun sehr viel stärker auf die Früherkennung ab. Zentral ist die Aussage, dass zur Früherkennung des Prostatakarzinoms keine digital-rektale Untersuchung mehr erfolgen soll. Die Empfehlung für die Früherkennung plädiert eindeutig für den PSA-Test. Die Qualität der Früherkennung soll außerdem in keinem Fall vom Bildungsgrad und dem Zugang zum Gesundheitssystem abhängen. So hat der DGU-Algorithmus auch eine starke soziale Komponente.
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Ihr
Franz-Günter Runkel
Chefreporter UroForum



