Der Symptomenkomplex Harndrang und (chronischer) Beckenschmerz bei Frauen hat oft Schwächen bzw. Defekte des bindegewebigen Halteapparates der Vagina als Ursache, die dann typischerweise apikal und posterior (Ligg. sacrouterina) lokalisiert sind. Nicht selten sind solche Defekte mit weiteren Symptomen wie Nykturie (mit kleinen Volumina), Vulvodynie und Beeinträchtigung der Entleerungsfunktion assoziiert, werden dann als „posteriores Fornixsyndrom“ bezeichnet. Wo der diagnostische Algorithmus des Integralen Systems dies reproduzierbar verifiziert, besteht eine kausale Therapiemöglichkeit in einer anatomisch korrekten, achsengerechten operativen Korrektur.
Harndrang mit konsekutiver Pollakisurie, Nykturie und Inkontinenz sowie (chronische) Beckenschmerzen können bei alters-, hormonmangel- oder geburtstraumatisch bedingt geschwächten Haltestrukturen des Beckenbodens auftreten. Die geschädigten Strukturen können dann ihrer Unterstützungsfunktion nicht mehr suffizient nachkommen, was zu Dysbalancen der physikalischen Kräfte am Beckenboden führen und dadurch eine unerwünschte Stimulation von Dehnungs- und Schmerzrezeptoren zur Folge haben kann [1] (Abb. 1).
Vereinfacht dargestellt, sichern nach anterior weisende Kraftvektoren die Kontinenzfunktion, nach posterior (und abwärts) zeigende Vektoren die Entleerungsfunktion, und asymmetrische Zugkräfte und Längenveränderungen von (bindegewebigen) Strukturen mit integrierten Schmerz- und Dehnungsrezeptoren führen zu Afferenzen mit der kortikalen Wahrnehmung eines (vorzeitig) aktivierten Miktionsreflexes bzw. von Schmerzphänomenen (Abb. 2).
Vektor-Ungleichgewicht als Ursache
Ursächlich für die Manifestation klinischer Symptome wie Harndrang, Schmerz und Inkontinenz bei Deszensus-Patientinnen ist somit meistens ein Vektor-Ungleichgewicht. Im Umkehrschluss sind Patientinnen mit etwa gleich graduierten Defekten in gegenläufig vektorbildenden Strukturen trotz mitunter deutlich ausgeprägter Deszensusbefunde oft frei von lebensqualitätsrelevanten Symptomen, sie können ein „funktionell ausgewogenes Defektmuster“ aufweisen.
Ein weiterer Vorgang wird hypothetisch für die Entstehung von Glomerulationen und Mastzellaktivierung bei „interstitieller Cystitis“ diskutiert. Deszensusphänomene können zur Abfaltung bzw. Abknickung von Blutgefäßen, damit zur Einengung bzw. Stauung führen und so umschriebene lokale Hypoxiezonen schaffen. Die inflammatorische Antwort des Körpers könnte (mastzellvermittelt) in vulnerablem Gewebe wie dem Urothel z. B. ulzerierende Läsionen verursachen. Schmerzrezeptoren melden üblicherweise potenzielle Gewebsschäden, bevor diese entstehen, werden demzufolge bei Gewebshypoxie ebenfalls aktiviert [2, 3, 4, 12].
Grundsätzlich haben Defekte des bindegewebigen Halteapparates am Beckenboden je nach topografischer Zuordnung ihr spezifisches Muster an Symptomen („pescatory iceberg“), die durch solche Defekte ausgelöst werden können [10].


Symptome einer Schadenszone zuordnen
Die Diagnostik bei Frauen mit Harndrang und Schmerzen fußt deshalb neben der üblichen urologischen Diagnostik (Anamnese, Urinstatus und -kultur, Urinzytologie, Sonografie der Harnorgane, diagnostische Urethrozystoskopie) auf dem Algorithmus des „Intergalen Systems“.
Hier können anhand eines strukturierten Fragebogens die vorhandenen klinischen Symptome einer Schadenszone zugeordnet werden, was dann durch eine vaginale Untersuchung mit sorgfältiger Inspektion der neun funktionell relevanten Strukturen in drei Kompartimenten verifiziert und durch Provokationstests mit mechanischer Unterstützung der sichtbaren Defekte („simulierte Korrektur“) bestätigt wird.
Letzteres erlaubt für die Behandelnden eine orientierende Einschätzung, mit welcher Aussicht auf Erfolg in Bezug auf die Besserung bestimmter Symptome eine operative Korrektur angeboten werden kann [1, 5].
Konkret wird zur Testung der posterioren Schadenszone zunächst die Harnblase über einen steril eingeführten Einmalkatheter bis zur Toleranzgrenze (starker Harndrang) mit isotonischer Kochsalzlösung gefüllt. Mittels eines eingeführten Spekulums unterstützt bzw. reponiert man sanft die defekten Strukturen – hier z. B. die Enterozele – und lässt ca. zehn Sekunden verstreichen.
Die Patientin kann nun sagen, ob sich Schmerz- und Dranggefühl verändert haben bzw. wieviel Prozent davon eventuell rückläufig sind.

Weitere Diagnose
Für die Diagnostik bei Frauen mit Harndrang und (vor allem) Schmerzen steht mit dem „Bornstein-Test“ ein weiteres Verfahren mit Präzisierungspotenzial zur Verfügung [6]. Hierbei werden unter sterilen Kautelen durch die Vaginalhaut hindurch in den Bereich der Ansatzstellen der sacrouterinen Ligamente, ca. 2 cm vor Erreichen des „zervikalen Ringes“ jederseits ein Lokalanaestheticum (z. B. 5 ml Bupivacain) injiziert.
Die Patientin wird nach kurzer Beobachtung entlassen, geht ihren alltäglichen Tätigkeiten nach und berichtet tags darauf telefonisch über den Effekt. Patientinnen mit lockeren Ligg. sacrouterina als Ursache für ihre pelvine Schmerz- und Drangsymptomatik berichten im positiven Testfall über eine spürbare Linderung ihrer Symptome über mehrere Stunden, manchmal sogar Tage (Unterbrechung einer evtl. Schmerzbahnung kommen vor).
Sind Differenzialdiagnosen ausgeschlossen, die Testergebnisse nach dem Integralen System bzgl. der geschilderten Symptomatik schlüssig / reproduzierbar und liegt eventuell sogar ein positives Ergebnis des Bornsteintestes vor, kann der Patientin mit guter Aussicht auf Erfolg eine operative Korrektur angeboten werden. Bei Patientinnen, die eine operative Therapie ablehnen, kann eine Enterozelenreposition in vielen Fällen auch durch den Einsatz von Schaumstofftampons passender Größe (z. B. Contam) oder Silikonpessaren erreicht und auf diesem Wege eine Symptomlinderung erzielt werden. Dieses Vorgehen kann o. g. Tests sinnvoll ergänzen und helfen, die Symptomatik anatomischen Strukturen zuzuordnen, somit diagnostisch und als Therapie eingesetzt werden.
Auswahl des Therapieverfahrens
Wird eine operative Therapie indiziert, sollte auf die Auswahl eines Verfahrens mit anatomisch möglichst korrekter und vor allem achsengerechter Korrekturmöglichkeit größter Wert gelegt werden. Die aktuell vielleicht größte symptombasierte Datenerhebung erfolgte dazu im Rahmen der multizentrisch angelegten PROpel-Studie [9].
Bezogen auf die Symptome häufige Miktion, Nykturie, Harndrang und Dranginkontinenz profitierten die Patientinnen mit einer posterioren Schadenszone signifikant am meisten. Patientinnen, bei denen die operative Korrektur bei den Kontrolluntersuchungen als gelungen eingestuft wurde, wiesen Zwei-Jahres-Heilungsraten von 82 % in Bezug auf die Dranginkontinenz, 92 % in Bezug auf die Nykturie und 87 % in Bezug auf die Entleerungsstörung auf.
Andere Autoren haben retrospektive Daten zu ihren Patienten zusammengetragen und nach einheitlichen Kriterien bzgl. der Symptome häufige Miktion, Drang, Dranginkontinenz, Nykturie und Entleerungsstörung und Restharnbildung ausgewertet, wobei unterschiedliche Operationsmethoden gewählt wurden.
Auch hier zeigten sich sehr gute Heilungsraten von meist über 80 % für die anatomisch korrekten, achsengerechten Verfahren [7, 8, 11].
Literatur unter www.uroforum.de
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Dr. Kay Scheffler
Klinik für Urologie am Helios-Klinikum Schwerin
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Aus UroForum Heft 03/2025



