Aus UroForum Heft 10/2024
Martin Baunacke
Die Behandlung der LUTS (lower urinary tract symptoms) ist ein Schwerpunkt in der Urologie. Während hier Blasenauslassobstruktionen oft im Fokus stehen, ist die Häufigkeit einer Detrusorunterfunktion nicht zu unterschätzen. Dies kann nur durch eine invasive Diagnostik mittels Urodynamik (UD) festgestellt werden – wann sollte diese aber erfolgen?

Blasenentleerungsstörungen im Sinne einer erschwerten Miktion durch Strahlabschwächung und Restharngefühl kann durch eine Blasenauslassobstruktion, eine Detrusorunteraktivität oder auch durch ein gleichzeitiges Auftreten beider Problematiken verursacht werden.
Die Notwendigkeit zur Differenzierung der Ursachen ergibt sich meist dann, wenn eine operative Therapie einer vermuteten Blasenauslassobstruktion im Raum steht. Letztlich besteht in der Praxis die Herausforderung, jene Patienten zu identifizieren, bei denen eine Detrusorunterfunktion ohne Blasenauslassobstruktion besteht. Diese würden unentdeckt unnötig den Risiken eines operativen Eingriffs zur Therapie der nicht vorhandenen Blasenauslassobstruktion ausgesetzt werden und hätten dementsprechend auch keine Symptomlinderung zu erwarten.
Relevanz bei Frauen
Die Thematik der Triggerpunkte zur UD bei Frauen zur Differenzierung Blasenauslassobstruktion vs. Detrusorunteraktivität ist nicht so relevant wie bei Männern. Die Prävalenz einer Detrusorunteraktivität bei Frauen beträgt etwa 12 % bis 45% [1, 2]. Diese kann neurogen, myogen oder iatrogen bedingt sein. Eine Blasenauslassobstruktion bei Frauen ist nicht so präsent wie bei Männern. Bei nur 18 % der Frauen mit LUTS zeigt sich eine Blasenauslassobstruktion.
Diese kann man in eine anatomische Blasenauslassobstruktion (Prolaps, Z. n. Inkontinenzoperationen, Urethrastrikturen, -stenosen, -divertikel, -malignomen) und eine funktionale Blasenauslassobstruktion (primäre Blasenhalsobstruktionen, Detrusor-Sphinkter-Dysynergien, Fowler’s Syndrome) unterscheiden.
Die Vielfalt und teilweise auch geringe Prävalenz der Erkrankungen gehen eher weniger mit der Gefahr einer nicht indizierten operativen Therapie ohne vorherige adäquate Diagnostik einher [3].
Relevanz bei Männern
Bei Männern besteht ein größeres Risiko einer operativen Therapie einer LUTS bei vermeintlicher Blasenauslassobstruktion aufgrund fehlender invasiver Diagnostik.
Aufgrund der hohen Prävalenz der LUTS und der hohen Zahl an Männern, die einer operativen Therapie zugeführt werden, besteht hier eine höhere Gefahr, dass im Rahmen der Basisdiagnostik Patienten übersehen werden, die möglicherweise doch eine Detrusorunteraktivität ohne Blasenauslassobstruktion aufweisen. In Urodynamikstudien zeigt sich, dass 40 % bis 50 % der Patienten mit benigner Prostatasymptomatik keine Blasenauslassobstruktion aufweisen und bis zu 48 % der > 65-Jährigen eine Detrusorunteraktivität haben [1, 2, 4, 5].
Natürlich kann eine Detrusorunteraktivität auch sekundär durch eine Blasenauslassobstruktion entstehen [6]. Stellt sich die Frage zur operativen Therapie einer Blasenauslassobstruktion, ist zu beachten, dass diese die Symptomatik bei gleichzeitig bestehender Detrusorunteraktivität verbessern kann.
Problematisch ist hingegen eine operative Therapie bei Detrusorunteraktivität ohne Blasenauslassobstruktion. Aber sollte man nun bei jedem Mann eine UD vor der TUR-P durchführen?
UD bei der Diagnostik der Blasenauslassobstruktion
Die UD ist die einzige Untersuchungsmethode mit der man eine Detrusorunteraktivität diagnostizieren kann. Mithilfe des Schäfer- Nomogramms ist es möglich, die Detrusorkontraktilität und den Auslasswiderstand in ein Verhältnis zu stellen und zu bewerten, ob eine Detrusorunteraktivität und / oder eine Blasenauslassobstruktion besteht [3].
Eine invasive urodynamische Untersuchung ist eine zeitaufwändige Untersuchung, die unangenehm für den Patienten ist, mit einem erhöhten Harnwegsinfektrisiko einhergeht und heutzutage aufgrund begrenzter Kapazitäten mit längeren Wartezeiten verbunden ist.
Deswegen stellt sich die Frage nach der Bedeutung der UD in der Routinediagnostik der LUTS. Es gibt zahlreiche Studien, die die Notwendigkeit der UD bei der Frage der Blasenauslassobstruktion retrospektiv untersucht haben.
Hier zeigt eine Metaanalyse von 19 Studien, dass eine präoperative UD-Diagnostik ein besseres Outcome hinsichtlich IPSS-Score, Lebensqualität und Restharn nach TUR-P bei Patienten mit Blasenauslassobstruktion erbringt [7].
Die einzige prospektiv randomisierte Studie zur UD in der Routinediagnostik hingegen zeigt keine Relevanz der UD, wobei sie vom Studiendesign her sehr kritisch betrachtet werden sollte [8]. Was empfehlen davon ausgehend die Leitlinien?
Wichtige Aussagen der Leitlinien
Die S2-Leitlinie empfiehlt eine UD nach erfolgloser (invasiver) Therapie der LUTS, und wenn nach der Basisdiagnostik offene therapierelevante Fragen in der Abklärung der Pathophysiologie des benignen Prostatasyndroms bestehen bleiben (z. B. Verdacht auf neurogene Harnblasendysfunktion, dysfunktionelle Miktion, Detrusorunteraktivität oder -überaktivität etc.) (▶ Abb. 1) [9].

Die EAU-Leitlinie gibt ähnliche, aber schwache Empfehlungen und geht spezifischer auf Miktionsprobleme ein (▶ Abb. 2) [10].

Triggerpunkte zur UD
Für die Durchführung einer UD vor invasiver Therapie der LUTS ist es zu empfehlen, sich an den Leitlinien und den Ursachen einer Detrusorunteraktivität zu orientieren.
Insbesondere die EAU-Leitlinien geben einen Anhalt dafür, dass eine UD bei Patienten empfehlenswert ist, die nicht dem typischen Bild von LUTS-Patienten entsprehen. Hier sind Patienten mit jungem Alter hervorzuheben, Patienten mit einer sehr hohen Restharnbildung, insbesondere dann, wenn sie einen Qmax > 10 ml / s aufweisen oder ungewöhnlich niedrige Mengen miktionieren.
Dies sind keine Aspekte, die zwangsläufig eine UD verlangen, bei denen aber kritisch darüber nachgedacht werden sollte. Weitere Triggerpunkte zur UD umfassen die möglichen Ursachen einer Detrusorunterfunktion. Hier sind insbesondere neurologische Grunderkankungen zu nennen, wie Multiple Sklerose oder Parkinson.
Weitere Ursachen einer Detrusorunteraktivität können diabetogene Schäden sein, ischiämische Schäden (z. B. Apoplex), Traumata nach Becken oder Wirbelsäulenverletzungen oder iatrogene Schädigungen insbesondere nach Beckenoperationen oder Bestrahlungen. Auch hier ist zu empfehlen, eine UD in die Diagnostik der LUTS mit einzubeziehen, wenn Patienten offensichtliche klinische Symptome aufweisen, z. B. Mobilitätseinschränkungen.
Zusammengefasst ergibt sich die Indikation zur UD bei LUTS aus dem Beschwerdebild der LUTS und den Vorerkrankungen des Patienten. Sollte man Zweifel haben, ob eine UD notwendig ist, sollte man sich lieber dafür entscheiden. ◼
Literatur unter www.uroforum.de

Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Martin Baunacke, FEBU Klinik und Poliklinik für Urologie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Fetscherstraße 74
01307 Dresden
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