Eine aktuelle Studie der Medizinischen Universität Wien, veröffentlicht in Science Advances, hat eine direkte Verbindung zwischen der Anzahl roter Blutkörperchen (Hämatokrit) und dem Blutzuckerspiegel aufgezeigt. Die Ergebnisse könnten neue Ansätze für die Prävention und Behandlung von Diabetes mellitus bieten. Die Forscher untersuchten, wie Hypoxie (Sauerstoffmangel) und die Gabe von Erythropoietin (EPO) den Blutzuckerspiegel beeinflussen, und identifizierten die Erythrozytenmasse als entscheidenden Faktor.
Kernaussagen der Studie
Hypoxie als natürlicher Stimulus zur Blutzuckersenkung:
Mäuse, die über einen Zeitraum von drei Monaten unter hypoxischen Bedingungen (10 % Sauerstoff) gehalten wurden, zeigten eine deutliche Senkung des Blutzuckerspiegels sowie eine verbesserte Insulinsensitivität. Interessanterweise war dieser Effekt unabhängig von Gewichtsveränderungen. Die Forschenden vermuten, dass die erhöhte Produktion von Erythrozyten unter Hypoxie eine zentrale Rolle spielt.
Erythropoietin (EPO) ahmt die Effekte der Hypoxie nach:
Die Gabe von rekombinantem humanem Erythropoietin (rhEPO) führte zu denselben Ergebnissen wie die Hypoxie. Die behandelten Mäuse zeigten eine signifikante Verbesserung der Glukosetoleranz und Insulinsensitivität. Die Forscher konnten ausschließen, dass diese Effekte auf direkte Wirkungen von EPO auf nicht-hämatopoetische Gewebe wie Fett, Leber oder Muskeln zurückzuführen sind. Stattdessen scheinen die Effekte ausschließlich durch die erhöhte Erythrozytenmasse vermittelt zu werden.
Erythrozyten als Glukosetransporter:
Ein zentraler Mechanismus der Blutzuckersenkung liegt in der Fähigkeit der Erythrozyten, Glukose zu speichern, zu transportieren und freizusetzen. Die Forscher zeigten in vitro, dass Erythrozyten, die zuvor mit Glukose beladen wurden, diese später wieder in die Umgebung abgeben können. Dieser Prozess könnte erklären, wie eine erhöhte Erythrozytenmasse den Blutzuckerspiegel senkt und gleichzeitig die Glukoseversorgung der Gewebe sicherstellt.
Menschliche Parallelen:
Die Ergebnisse der Mausstudien werden durch Beobachtungen beim Menschen gestützt. So zeigte eine Analyse von über 497.000 jungen Männern in Österreich, dass Raucher – die typischerweise eine erhöhte Hämatokritzahl aufweisen – niedrigere Blutzuckerwerte hatten als Nichtraucher, unabhängig von anderen Faktoren wie BMI. Ähnliche Effekte wurden bei Menschen beobachtet, die sich in großen Höhen aufhalten oder anti-anämische Therapien mit EPO erhalten.
Klinische Relevanz
Die Studie deutet darauf hin, dass die Hämatokritzahl ein bislang unterschätzter Parameter im Stoffwechselmanagement sein könnte. Eine gezielte Erhöhung der Erythrozytenmasse – etwa durch EPO-Therapie – könnte eine vielversprechende Ergänzung zur bestehenden Diabetesbehandlung darstellen. Besonders bemerkenswert ist, dass dieser Ansatz unabhängig von Körpergewicht oder Lipidstoffwechsel wirkt, was ihn von anderen Therapieformen unterscheidet.
Gleichzeitig müssen mögliche Risiken, wie eine erhöhte Blutviskosität und das damit verbundene Thromboserisiko, sorgfältig untersucht werden. Die Forscher betonen, dass weitere Studien notwendig sind, um die Mechanismen besser zu verstehen und die Übertragbarkeit auf den Menschen zu bestätigen.
Fazit
Die Entdeckung, dass die Hämatokritzahl den Blutzuckerspiegel direkt beeinflusst, könnte einen Paradigmenwechsel in der Diabetesforschung einleiten. Sie bietet nicht nur eine Erklärung für bekannte Phänomene – wie die niedrigeren Blutzuckerwerte von Bergbewohnern –, sondern eröffnet auch neue therapeutische Möglichkeiten. In der Diabetologie könnte diese Erkenntnis in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung individualisierter Behandlungsstrategien spielen.
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