Kernbotschaften im Überblick
Die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva beeinflusst das Krebsrisiko in unterschiedlicher Weise. Aktuelle Metaanalysen belegen einen signifikanten Schutzeffekt gegen Ovarial- und Endometriumkarzinome, während ein geringfügig erhöhtes Risiko für Mammakarzinome und möglicherweise Zervixkarzinome besteht. Dieser Artikel fasst die aktuelle Evidenz zusammen und diskutiert die klinische Relevanz für die gynäkologische Beratung.
Die Pille im klinischen Alltag: Verbreitung und Bedeutung
Hormonelle Kontrazeptiva zählen zu den am häufigsten genutzten Verhütungsmethoden weltweit. In Deutschland verwenden etwa 70-75% der Frauen im reproduktionsfähigen Alter eine Form der Empfängnisverhütung, davon mehr als die Hälfte hormonelle Methoden. Neben der hohen kontrazeptiven Sicherheit stellt sich für Anwenderinnen und Ärzte die Frage nach langfristigen Auswirkungen auf das Krebsrisiko, die mittlerweile durch umfangreiche epidemiologische Studien gut untersucht sind.
Langfristiger Schutz vor gynäkologischen Malignomen: Die positive Seite
Ovarialkarzinom: Signifikante Risikoreduktion über Jahrzehnte
Eine im Lancet publizierte Metaanalyse mit Daten von über 110.000 Frauen aus 45 epidemiologischen Studien zeigte eine Risikoreduktion für Ovarialkarzinome um 20-30% bei Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva. Der Schutzeffekt nimmt mit längerer Einnahmedauer zu und persistiert über 30 Jahre nach Beendigung der Einnahme, wenn auch mit abnehmender Stärke. Die Risikoreduktion beträgt 29% pro 5 Jahre Einnahme bei Frauen, die die Pille vor weniger als 10 Jahren abgesetzt haben, und immer noch 15% pro 5 Jahre bei Frauen mit Einnahme vor 20-29 Jahren.
Endometriumkarzinom: Nachweisbare Prävention in großen Kohorten
Eine Oxford-Studie mit Daten von über 130.000 Patientinnen aus 36 internationalen Studien dokumentierte ebenfalls einen deutlichen Schutzeffekt gegen Endometriumkarzinome. Von 1.000 Frauen ohne Pilleneinnahme erkranken etwa 23 vor ihrem 75. Lebensjahr an Gebärmutterschleimhautkrebs, während es bei Frauen mit zehnjähriger Pilleneinnahme nur etwa 13 Fälle sind. Schätzungen zufolge hat die Pille in den letzten 50 Jahren etwa 400.000 Endometriumkarzinome verhindert.
Mammakarzinom: Differenzierte Risikobewertung erforderlich
Aktuelle Metaanalysen zeigen ein leicht erhöhtes relatives Brustkrebsrisiko bei Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva. Eine 2023 im Journal „Cancers“ veröffentlichte Studie fand ein um etwa ein Drittel erhöhtes relatives Risiko bei aktuellen oder kürzlichen Anwenderinnen im Vergleich zu Frauen ohne hormonelle Verhütung. Eine Fall-Kontroll-Studie der University of Oxford bestätigte, dass sowohl kombinierte Präparate als auch reine Gestagenpräparate (Minipille) das Brustkrebsrisiko um etwa 20-30% erhöhen können.
Wichtig ist jedoch die Differenzierung zwischen relativem und absolutem Risiko: Da das Grundrisiko für Brustkrebs bei jungen Frauen sehr niedrig ist, bleibt die absolute Risikozunahme gering. Zudem normalisiert sich das Risiko etwa 5-10 Jahre nach Absetzen der Pille wieder.
Weitere Tumorentitäten: Uneinheitliche Datenlage
Die Evidenz zum Zusammenhang zwischen hormoneller Kontrazeption und Zervixkarzinom ist weniger eindeutig, da der Einfluss einer HPV-Infektion als Hauptrisikofaktor schwer abzugrenzen ist. Einige Studien deuten auf ein erhöhtes Risiko bei langjähriger Anwendung hin.
Für das Kolonkarzinom liegen uneinheitliche Daten vor, mit Hinweisen auf einen möglichen protektiven Effekt. Bei Leberadenomen wird ein Zusammenhang diskutiert, jedoch ohne eindeutige Evidenz.
Beratungsstrategien in der Praxis: Individualisierte Entscheidungsfindung
Die Beratung zur hormonellen Kontrazeption erfordert eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. Für die meisten Frauen ohne spezifische Risikofaktoren überwiegt der Nutzen einer sicheren Verhütung und der protektiven Effekte gegen Ovarial- und Endometriumkarzinome die geringen absoluten Risiken.
Besondere Aufmerksamkeit erfordern Frauen mit familiärer Belastung für Brustkrebs oder BRCA-Mutationsträgerinnen. Bei diesen Hochrisikopatientinnen ist die Entscheidung komplex, da einerseits das Brustkrebsrisiko leicht erhöht sein kann, andererseits aber gerade der Schutzeffekt gegen Ovarialkarzinome besonders relevant ist.
Fazit für die Praxis: Ausgewogene Risikokommunikation
Die aktuelle wissenschaftliche Evidenz zeigt ein differenziertes Bild des Einflusses hormoneller Kontrazeptiva auf das Krebsrisiko. Der signifikante und langanhaltende Schutzeffekt gegen Ovarial- und Endometriumkarzinome steht einem leicht erhöhten Risiko für Brustkrebs gegenüber, das nach Beendigung der Einnahme wieder abnimmt.
Für Frauen ohne hormonabhängige Malignome in der Anamnese besteht keine Kontraindikation für hormonelle Kontrazeptiva aufgrund eines erhöhten Krebsrisikos. Die Beratung sollte individualisiert erfolgen und neben dem Krebsrisiko auch andere Faktoren wie kardiovaskuläre Risiken, Thromboseneigung und persönliche Präferenzen berücksichtigen.
Quellenverzeichnis
1. Schmidmayr M, et al. Gynäkologische Endokrinologie. 2014;12:138–143.
2. Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer. The Lancet. 2008;371:303-314.
3. Collaborative Group on Epidemiological Studies on Endometrial Cancer. The Lancet Oncology. 2015;16:1061-1070.
4. Torres-de la Roche LA, et al. Cancers (Basel). 2023;15(23):5624.
5. Fitzpatrick D, et al. PLOS Medicine. 2023;20(3):e1004188.
6. Iversen L, et al. BMJ. 2018;362:k3609.
7. Beral V, et al. The Lancet. 1996;347:1713-1727.
Bildquelle:© KMPZZZ – stock.adobe.com



