Vom 23. bis 26. April 2025 hat sich die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) bei ihrer Jahrestagung in Mannheim einen modernen Anstrich verliehen: Im Zentrum stand die Präzisionsmedizin, die ohne Künstliche Intelligenz (KI) nicht mehr auskommen wird. Eine Auswahl
KI: Drohendes Unheil sehen und hören
Die Anwendungsmöglichkeiten von KI sind bereits enorm und können sich noch deutlich verbessern. Viele Tools sind noch in der Erprobung, wie beispielsweise die Erkennung einer drohenden Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz (HF) mithilfe einer Spracherkennung. Offensichtlich sprechen Menschen mit einem Risiko für eine Dekompensation anders als Gesunde. Sie machen mehr Pausen beim Sprechen. Die Stimme verändert sich, beispielsweise aufgrund von Wassereinlagerungen in den Stimmbändern. KI ist in der Lage, solche feinen Veränderungen zu hören und Behandlern entsprechende Hinweise zu geben.
Auf das „Aussehen“ hat es eine KI abgesehen, die Risiken für eine ischämische Herzerkrankungen oder einen Herzinfarkt erkennen soll: Sie achtet auf eine vorzeitige frontoparietale Glatze, die Ohrläppchenfalte (Frank’s sign) und Xanthelasmen in einem Alter, in dem sie noch nicht vorkommen sollten.
In den USA wird KI trainiert, um mehr aus dem EKG herauszulesen, so Prof. Tienush Rassaf, Essen. Aber KI ist auch in der Datenerhebung, Informationsverarbeitung und Patientenschulung die Zukunft. Viele Studien werden in naher Zukunft mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit herantreten.
Von Frauen- und Männerherzen
Ebenfalls ein modernes Thema ist die Geschlechtersensible Medizin. In der Kardiologie zeigt sie sich deutlich bei der HF: Männer leiden häufiger an einer Linksherzinsuffizienz als Frauen. Sie sind zu 75 % davon betroffen. Die Ejektionsfraktion ist reduziert (HFrEF). Frauen zeigen hingegen öfter eine Rechtsherzschwäche (HFpEF) als Männer. Auch die Symptome unterschieden sich. Männer haben seltener Ödeme und psychovegetative Symptome. Frauen äußern Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen hingegen sehr viel öfter. Ätiologisch kommen bei Frauen die Hypertonie, Diabetes, Adipositas und Autoimmunerkrankungen häufiger vor. Sie leiden eher an einer diastolischen Dysfunktion, Männer bevorzugt an einer systolischen. Bei Frauen überwiegen die koronare mikrovaskuläre Dysfunktion und epitheliale Inflammation. Diese Effekte sind auf das 17b-Östradiol zurückzuführen, erläuterte Prof. Ute Seeland, Magdeburg. Sie empfahl, bei Frauen die Stoffwechselzustände in den unterschiedlichen Lebensphasen zu berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau allein sei nicht ausreichend. Die geschlechtersensible Medizin ist auch für die Kardiologie ein Zukunftsthema, so viel wurde deutlich.
Kurze Schlaglichter – DGK-Highlights
Über interessante Forschungsprojekte sprach Prof. Sabine Steffens, München, in der Highlights-Sitzung – dem krönenden Abschluss der Jahrestagung. Sie hatte die Aufgabe, aus über 100 Abstracts zur experimentellen Kardiologie spannende Projekte herauszufiltern. Ihr Blick fiel auf den endothelialen Transkriptionsfaktor SOX9. Seine Hemmung könnte ein therapeutischer Ansatz zur Unterdrückung der Fibrose sein. Die Inflammation und das Immunsystem spielten in vielen Arbeiten eine Rolle. So scheint es auch Zusammenhänge zwischen dem Immunsystem des Darms und dem Herz zu geben. Entzündungen spielen eine kausale Rolle bei HF mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF). Viele Studien sind noch am Anfang, könnten aber zur Identifizierung neuer Regulationsmechanismen beitragen und der Arzneimittelentwicklung neue Impulse verleihen.
Prof. Stefan Frantz, Würzburg, wertete die Einreichungen zur Herzinsuffizienz aus. Er hob den Zusammenhang zwischen Zahnstatus und HF hervor. Es haben nicht nur deutlich mehr Menschen mit HF einen schlechteren Zahnstatus als Gesunde. Die HF hat auch einen negativen Einfluss auf den Zahnstatus.
Spannend war auch die Clusterung von verschiedenen Merkmalen wie der Proteomic und Lipidomic bei HF. Es konnten verschiedene Cluster gebildet werden, die acht unterschiedlichen Phänotypen zugeordnet werden konnten. Die Phänotypen haben eine unterschiedliche Prognose – ein Versuch, die Patientinnen und Patienten noch weiter zu charakterisieren, um sie einer Präzisionsbehandlung zuzuführen.
Taillenumfang mehr beachten
Adipositas ist eine Erkrankung, die dem Herz zur Last werden kann. Bislang wurde als Maß für Adipositas der Body-Mass-Index (BMI) bestimmt. Dies sollte sich ändern, erläuterte Prof. Stefan Lorkowski, Jena. Fett ist nicht gleich Fett, stellte er klar, und unterschied weißes, braunes und beiges Fettgewebe sowie viszerales bzw. ektopes Fett von subkutanem. Gefordert sei zukünftig ein schlanker Bauch. Es kommt also auf die Taille an. So fließt beim Body Roundness Index (BRI) der Taillenumfang in die Berechnung ein. Leider fehlen diesem Index noch die Kategorien zur Einstufung, obwohl es gute Korrelationen zu kardiometabolischen Erkrankungen gibt. Bedeutsam ist auch die Betrachtung der Körperfettkomposition. Eine hohe Zufuhr ungesättigter Fettsäuren, beispielsweise Omega-3-Fettsäuren, kann die Körperfettzusammensetzung positiv beeinflussen und zu einer Reduktion inflammatorischer Mediatoren führen.
Bewegungsanreize liegen im öffentlichen Interesse
Sport bringt wenig für die Gewichtsreduktion, kann aber das Herz schützen. So könnte der Vortrag von Dr. Susanne Berrisch-Rahmel, Düsseldorf, zusammengefasst werden. Sie zeigte auf, dass Bewegung im Vergleich zu medikamentösen Mitteln wie den GLP-1-Rezeptor-Agonisten keine vergleichbare Gewichtsreduktion bringen kann. Dennoch ist Sport kardiovaskulär protektiv. Fit sein schützt unabhängig vom BMI vor kardiovaskulären Risiken. Unfitte schlanke Menschen tragen ein vergleichbar hohes Risiko für kardiovaskulären Tod wie übergewichtige unfitte Personen.
Bei einer durchschnittlichen Sitz-Zeit von 9,2 Stunden täglich bei Erwachsenen gilt es daher, mehr für Bewegung und Fitness zu tun, konstatierte Prof. Rainer Hambrecht, Bremen. Dies liegt im öffentlichen Interesse. Er stellte das „Bremer Modell“ vor. Für „ungeübte“ Erwachsene wird im Rahmen dieses Modells das Konzept „Bremen läuft 10“ angeboten. Über zehn Wochen nähern sich Interessierte dem Ziel, am Ende zehn Kilometer zu gehen oder zu Joggen. Ein Testimonial wird dabei von den Bremer Medien begleitet. Mehr Bewusstsein für Herz und Kreislauf – das ist das Motto des Bremer Modells.
Mehr Selbstverantwortung beim Blutdruck
Jede vierte Frau und jeder dritte Mann leidet in Deutschland an einem arteriellen Bluthochdruck. Weniger als die Hälfte der Betroffenen erreichen unter Therapie Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg. Dieses Dilemma soll mit der aktuellen ESC-Leitlinie gelöst werden. Sie sieht vor, dass Patienten ihren Blutdruck zu Hause besser kontrollieren. Die Eigenmessung im häuslichen Umfeld kann helfen, die „Weißkittelhypertonie“ zu umgehen. Außerdem lassen sich im häuslichen Umfeld die Vorgaben der Blutdruckmessung besser umsetzen. Gemessen werden soll je 2x vor- und nachmittags, an 3 bis 7 Tagen in der Woche. Daraus wird dann ein Mittelwert gebildet. Neu an den aktuellen ESC-Leitlinien von 2024 ist, dass es nun einen nicht-erhöhten (< 120/70 mmHg), einen erhöhten (120/70 bis 139/89 mmgHg bzw. bei Heimmessung bis 134/89 mmHg) und eine Hypertonie (ab 140/90 mmHg) gibt, so Dr. Andreas Kleemann, Ratingen.
Therapie bei Bluthochdruck vereinfachen
In Bezug auf die Therapie des Bluthochdrucks sollte eine niedrig dosierte Kombinationstherapie Vorrang vor einer hochdosierten Monotherapie haben. Um die Adhärenz zu steigern, ist möglichst eine Einzeltablette mit zwei oder drei Wirkstoffen auszuwählen. Die Adhärenz kann gesteigert werden, wenn Patienten gut begleitet werden. Wenn die Blutdruckwerte mit Verordnung nicht sinken, ist eine gute Anbindung der Patienten wichtig. Es hilft zu erfragen, wo die Hinderungsgründe für die Beibehaltung der Therapie liegen. Manchmal sind es einfache Dinge, die verändert werden können, wie der Einnahmezeitpunkt der Tablette. Solche Gespräche kosten etwas Zeit. Sie können aber viel Effekt haben. Den Blutdruck spüren Patienten oft nicht, die Nebenwirkungen schon, erläuterte Prof. Ulrich Kintscher, Berlin, das Dilemma.
Quelle: Herzmedizin, Ausgabe 3/2025
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