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Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber im Hausarztalltag: Tradiertes Ritual oder sinnvolle Entscheidungshilfe?

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Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber im Hausarztalltag: Tradiertes Ritual oder sinnvolle Entscheidungshilfe?

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Die Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber verbinden Jahrhunderte ­alte Erkenntnisse mit überraschender klinischer Relevanz. Schon im 16. Jahrhundert legten Forscher wie Cardano und Capivacci die Grundlagen, um ­zwischen Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeiten zu ­unterscheiden – eine Technik, die 
bis heute in der Hausarztpraxis ­Bestand hat.

Was auf den ersten Blick wie ein simples Ritual wirkt, entpuppt sich als präzises Werkzeug, das bei richtiger Anwendung eine schnelle und differenzierte Diagnose ermöglicht.

Historisches

Die Historie der Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber (SGV) reicht bis in das 16. Jahrhundert zurück. G. Cardano und H. Capivacci wiesen schon damals darauf hin, dass es für Schall eine Luft- und Knochenleitung geben müsse und deshalb ein Hörproblem der Außen- oder Mittelohrregion von einer innen liegenden Ursache unterschieden werden könne. Diese Überlegungen wurden 1684 von dem Anatomen G. C. Schelhammer erweitert. Noch vor Erfindung der Stimmgabel durch den englischen Musiker J. Shore experimentierte er bei seinen otologischen Studien mit einer einfachen Essgabel.

1827 konnte der deutsche Mediziner K. Th. Tourtual mittels einer Uhr zeigen, dass beim Verschluss beider Ohren der Knochenschall beidseitig gleich laut, beim Zuhalten eines Ohres hingegen nur in dem verschlossenen Organ hörbar ist. Dieses noch heute als „Lateralisation“ bezeichnete Symptom wurde später von Ernst Heinrich Weber aufgegriffen. Die klinisch-diagnostische Bewertung dieses Versuchs ist jedoch dem sächsischen Ohrenarzt E. Schmalz zuzuschreiben.

Der Rinne-Versuch geht auf den in Göttingen wirkenden Otologen Heinrich Adolf Rinne zurück. In seiner wegweisenden Arbeit zur Physiologie und Anatomie des Mittelohrs berichtete er über experimentelle Untersuchungen, die prinzipiell auch heute noch realisierbar sind. Eine klinische Anwendung hat Heinrich Adolf Rinne allerdings nicht weiter verfolgt. Erst die Otologen A. Lucae und F. Bezold machten den diagnostischen Einsatz der Stimmgabel nach 1880 bekannt.

Das Werkzeug für die Weber- und Rinneversuche

In der Praxis des Hausarztes werden für die SGV zweizinkige, U-förmige Stimmgabeln genutzt, die aus einem Materialstück (Stahl oder Aluminium) gefertigt sind und in einen Griffstiel auslaufen. Bei der Stimmgabel, einem Biegeschwinger, bewegen sich die angeschlagenen Zinken gegensinnig in Querrichtung. Die Lautstärke ist allerdings gering, weil die Zinkenflächen in Bewegungsrichtung schmal sind. Die Querschwingungen der Stimmgabel verursachen auch kleine Hubschwingungen des Fußes, die über die Fußplatte der Stimmgabel auf einen anregbaren Untergrund (z. B. Knochen) übertragen werden können.

In der Hausarztpraxis hat es sich bewährt, für die SGV bevorzugt Stimmgabeln aus Stahl und eher nicht aus Aluminium zu verwenden. Das ist audiometrisch begründbar: Die Differenz zwischen der Luft- und Knochenleitung (Air-Bone-Gap, ABG), die für die Identifizierung einer Schalleitungsschwerhörigkeit durch den Rinne-Test erforderlich ist, liegt zwischen 17,5 und 30 dB. Stahlstimmgabeln detektieren diese Differenz wesentlich sensibler als Aluminiumgabeln.

Zur Stimmgabelfrequenz

Die SGV werden im hausärztlichen Alltag am besten mit Stimmgabeln der Frequenz 440 Hz (traditionell in Deutschland) oder 512 Hz (meist im angelsächsischen Raum) durchgeführt. In diesen Frequenzbereichen klingt der Anschlagton nicht zu schnell ab, die Zahl der produzierten Obertöne ist bei korrektem Anschlag begrenzt, und der Vibrationsreiz ist im Vergleich mit Stimmgabeln der Nachbarfrequenzen klinisch unbedeutend.

Die Stimmgabel zum Tönen bringen

Für die Stimmgabelversuche muss die Stimmgabel nach einem präzisen Anschlag mit 40 bis 50 dB über der Knochenleitungsschwelle hörbar sein. Zum Anspielen wird die Stimmgabel an ihrem Hals ergriffen und mittig der Stimmgabelzungen angeschlagen. Die Stimmgabelzinken werden dabei hochkant gehalten, sodass letztendlich nur eine Stimmgabelzunge angeschlagen wird. Zur Verhinderung von Obertönen sollte die Stimmgabel nicht an einer harten Oberfläche, sondern am Knie oberhalb der Patella, am Ellenbogen oder einer käuflichen Anschlaghilfe angeschlagen werden.

Das „Warum“ und das „Wie“ der SGV

Die klinische Ohruntersuchung wird durch die SGV abgeschlossen, die jeder Hausarzt durchführen und interpretieren können sollte. Die SGV können ohne viel Aufwand bei der Seitenlokalisation eines erkrankten Ohres und/oder der Entscheidung helfen, ob eine Schalleitungs- (Mittelohr-) oder Schallwahrnehmungs- (Innenohr-)Störung vorliegt.

„Der Weber-Versuch“

Beim Weber-Versuch wird das Hörvermögen beider Ohren gegeneinander verglichen. Die angeschlagene Stimmgabel wird mit leichtem Druck auf Stirn, Scheitelmitte oder Nasenwurzel aufgesetzt. Zugleich wird der Patientenhinterkopf mit der freien Untersucherhand abgestützt. Die klingend aufgesetzte Stimmgabel sollte dann etwa vier Sekunden in dieser Position verbleiben und der Patient nach seinem Höreindruck befragt werden. Wird der Stimmgabelton bei seitengleichem Hörvermögen in der Kopfmitte („im ganzen Kopf“) gehört, wird der Befund „Weber median“ notiert. Der Versuch gilt als „lateralisiert“, wenn der Ton vom Patienten nur einseitig gehört wird. Der Grund hierfür kann entweder in einem Ausfall des kontralateralen Innenohres oder aber in einer noch weiter abzuklärenden Schalleitungsschwerhörigkeit des ipsilateralen Ohres liegen.

„Der Rinne-Versuch“

Die Schallwelle gelangt wegen der Verstärkung durch die Gehörknöchelchen per Luftleitung besser zur Schnecke als per Knochenleitung. Dies wird beim Rinne-Versuch genutzt, indem das Hörvermögen über Luftleitung mit dem über Knochenleitung in einem Ohr verglichen wird. Die häufigste Untersuchungsvariante besteht darin, dass der normal hörende Patient ebenso wie der Innenohrschwerhörige den Stimmgabelton vor der Ohrmuschel (Luftleitung) lauter und länger wahrnimmt als beim Aufsetzen der noch schwingenden und nicht erneut angeschlagenen Stimmgabel auf dem Mastoid (Knochenleitung): der Rinne-Test gilt dann als positiv.

Bei einer Schalleitungsschwerhörigkeit kehrt sich diese Situation durch die Luftleitungsverschlechterung und die scheinbare Verbesserung der Knochenleitung um: der Rinne-Versuch wird negativ. Eine weitere Variante des Rinne-Versuchs geht folgendermaßen: Die schwingende Stimmgabel wird zunächst auf dem Warzenfortsatz aufgesetzt. Sobald der Patient die Stimmgabel nicht mehr hört, wird sie, ohne erneut angeschlagen worden zu sein, vor das Ohr gehalten. Bei intakter Schallübertragung wird der Stimmgabelton wieder gehört: der Rinne-Versuch ist positiv, andernfalls negativ.

Zusammenfassung

Die Stimmgabelversuche nach Rinne und Weber (SGV) erscheinen vielen hausärztlichen Kollegen als tradiertes Ritual ohne klinischen Nährwert. Dem steht entgegen, dass noch im Sprechzimmer und im Kontext mit Anamnese und otoskopischem Befund eine zielführende Arbeitsdiagnose erhoben werden kann. Weil individuelle Ausführungen (Anschlagstärke und Klangdauer, Haltung oder Aufsetzdruck der Stimmgabel) zu Fehlinterpretationen führen können, ist es unerlässlich, die SGV regelmäßig häufig und repetitiv zu trainieren, um Routine und Expertise zu erlangen.

Bericht: Dr. med. Fritz Meyer

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