Das Krankheitsbild der Histaminintoleranz hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Neben einer wachsenden wissenschaftlichen Erkenntnislage ist das Thema auch für Laien von großem Interesse. Daher ist fundiertes Wissen über Histaminintoleranz in der medizinischen Praxis unerlässlich. Diese Übersicht fasst die relevanten pathophysiologischen Erkenntnisse, die Diagnostik und die aktuelle Therapie zusammen und bietet einen praxisorientierten Leitfaden.
Was ist Histamin?
Histamin ist ein biogenes Amin, das durch das Enzym Histidin-Decarboxylase aus der Aminosäure Histidin gebildet wird. Chemisch gehört Histamin zu den primären Aminen. Histamin wurde erstmals 1910 beschrieben. Im Körper wird Histamin in verschiedenen Zellen, wie basophilen Granulozyten, Mastzellen und enterochromaffinen Zellen des Magens, gebildet und gespeichert. Es hat eine zentrale Rolle in verschiedenen physiologischen Prozessen inne. Hierzu zählen die Magensäuresekretion, Entzündungsreaktionen, Muskelkontraktionen, Vasodilatation, Zytokinproduktion und allergische Reaktionen. Histamin wirkt über spezifische Rezeptoren (H1, H2, H3, H4), wobei für zwei dieser Rezeptoren medikamentöse Blocker verfügbar sind. Der Abbau von Histamin erfolgt hauptsächlich durch die Enzyme Diaminoxidase (DAO) und Histamin-N-Methyltransferase (HNMT), die in verschiedenen Geweben, insbesondere im Dünndarm und in der Leber, aktiv sind.
Histamin in der Nahrung
Histamin kommt in vielen Lebensmitteln vor, insbesondere in solchen, die bakteriell fermentiert werden oder unter unsachgemäßen Bedingungen gelagert werden. Zu den histaminreichen Lebensmitteln gehören vor allem Fisch, Fleisch, fermentierte Produkte und alkoholische Getränke wie Rotwein. Der Histamingehalt variiert stark je nach Frischegrad und Lagerung der Lebensmittel. So kann der Histamingehalt in Rotwein von 1,9 mg/kg bis 55 mg/kg und in Konservenfisch von 5,9 mg/kg bis 660 mg/kg reichen.
Definition der Histaminintoleranz
Die Histaminintoleranz beschreibt eine Störung, bei der der Körper aufgenommenes Histamin nicht ausreichend abbauen kann, was zu einer erhöhten Konzentration im Blut und dadurch zu verschiedenen Symptomen führt. Wenn wir von Histaminintoleranz sprechen, ist die Histaminvergiftung, die durch extrem hohe Histaminmengen (über 500 mg/kg) in kontaminierten Lebensmitteln ausgelöst wird, nicht gemeint, bei der es sich eher um ein singuläres akutes Ereignis handelt. Stattdessen führt die Histaminintoleranz über eine zu geringe Fähigkeit des Körpers, normale Mengen Histamin abzubauen, zu Symptomen.
Epidemiologie
In westlichen Ländern leiden fast 20 % der Menschen an Lebensmittelunverträglichkeiten. Konkrete Daten zur Prävalenz der Histaminintoleranz fehlen, unter anderem aufgrund der schwierigen Diagnosestellung.
Pathophysiologie
Die Histaminintoleranz entsteht durch ein Ungleichgewicht zwischen der aufgenommenen Menge Histamin und der Fähigkeit des Körpers, dieses Histamin ausreichend abzubauen. Die Histaminintoleranz wird als nicht-allergische Lebensmittelüberempfindlichkeit eingestuft, da bei dieser Erkrankung keine spezifische allergische Immunreaktion vorliegt. Wesentliche Teile der Pathophysiologie sind unklar, vermutlich spielt ein Mangel oder eine verminderte Aktivität der Histamin-abbauenden Enzyme wie des Enzyms Diaminoxidase (DAO) eine zentrale Rolle. Medikamente, bestimmte Nahrungsmittel, die Zusammensetzung der Darmflora, genetische Faktoren und viele weitere Faktoren können dabei den Histaminabbau zusätzlich beeinträchtigen.
Symptome
Die Symptome der Histaminintoleranz sind ausgesprochen vielfältig und variabel und betreffen neben dem Magen-Darm-Trakt im Prinzip den gesamten Körper. Symptome haben ein auffällig allergiformes Erscheinungsbild. Zu den am häufigsten berichteten Beschwerden gehören abdominelle Distension, Völlegefühl, Bauchschmerzen, Diarrhoe, Kopfschmerzen, verschiedenste Hautprobleme und Herzrasen. Diese Symptome variieren je nach Patient, nach betroffenem Organbereich und den beteiligten Histaminrezeptoren.
Diagnose
Die Diagnose der Histaminintoleranz ist aufgrund der variablen Symptome und des Fehlens spezifischer Biomarker ausgesprochen schwierig. Ein möglicher Verdacht auf Histaminintoleranz sollte durch eine detaillierte Anamnese, das Führen eines Ernährungs-Symptom-Tagebuchs, dem Ausschluss anderer Erkrankungen und gegebenenfalls durch einen Test mit einer histaminarmen Diät geprüft werden. Die Symptome sollten nach einer 6-wöchigen Diät substantiell gebessert und nach einer erneuten Histaminexposition wieder ausgelöst werden. Auf diese Weise kann, entsprechend der Leitlinie, die Diagnose gestellt werden. Vielfach angebotene Labortests zu Enzymfunktion, Histaminspiegeln in Blut, Stuhl oder Urin sind in diesem Zusammenhang nicht etabliert, führen zu Verwirrung und können den eigentlichen diagnostischen Test, die Auslassdiät mit Bestätigung, nicht ersetzen.
Therapie
Die Basistherapie der Histaminintoleranz besteht aus Aufklärung über das Krankheitsbild, gefolgt von einer Ernährungsberatung und einer histaminarmen Ernährung. Diese histaminarme Ernährung sollte zunächst strikt eingehalten werden und nach einer Konsolidierungsphase mithilfe einer Ernährungsberatung an die individuelle Situation schrittweise angepasst werden. Es ist wichtig, dass Patienten diese Diät im Verlauf eigenverantwortlich umsetzen und sich zumindest in der Anfangsphase und im Verlauf bei Bedarf an eine Ernährungsberatung wenden. Ohne Ernährungsberatung ist die komplexe Ernährungsumstellung, wie sie die Histaminintoleranz erfordert, nur schwer bis gar nicht umsetzbar. Der Fokus sollte hierbei auf den „erlaubten“ histaminarmen Lebensmitteln liegen. Medikamente wie H1- und H2-Rezeptorblocker sowie Mastzellstabilisatoren können bei nicht ausreichender Wirkung der Ernährungsumstellung ergänzend probatorisch eingesetzt werden. In einigen Fällen kann auch eine DAO-Enzymersatztherapie versucht werden, wobei die Wirksamkeit, abgesehen von den Symptomen Kopfschmerz und Urtikaria, nicht ausreichend belegt ist. Ergänzend zur Ernährungsumstellung können auch Nahrungsergänzungsmittel, die Histamin im Darm binden können, wie Heilerden oder Zeolithe, eingesetzt werden. Bei hoher Belastung, erkennbaren psychischen Komorbiditäten oder nicht ausreichendem Ansprechen auf die Therapiemaßnahmen sind Maßnahmen der Psychohygiene (Positiv-Tagebuch), entspannende Maßnahmen (autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Darmhypnose) und Vorstellung in der Psychosomatik empfohlen.
Zusammenfassung
Die Histaminintoleranz ist eine nicht-allergische Lebensmittelunverträglichkeit, bei der durch eine unzureichende Histaminabbaukapazität verschiedenste allergiforme Symptome auftreten. Die Lebensqualität der Betroffenen ist dabei stark eingeschränkt. Die Diagnose Histaminintoleranz erfolgt durch Ausschluss anderer Erkrankungen und durch Bestätigung mithilfe einer histaminarmen Diät. Weitere diagnostische Tests, insbesondere Labortests, sind nicht etabliert. Die Therapie besteht in erster Linie aus einer histaminarmen Ernährung und kann, sofern nicht ausreichend hilfreich, durch Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel erweitert werden.
Bericht: Prof. Dr. med. Martin Storr
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