Die Kunst des Fadenzugs in der modernen Wundversorgung
Das Entfernen von Nähten, auch als Fadenzug bezeichnet, stellt einen entscheidenden Schritt im Wundheilungsprozess dar. Der richtige Zeitpunkt hierfür variiert erheblich je nach anatomischer Lokalisation, Wundcharakteristika und individuellen Patientenfaktoren. Während eine zu frühe Entfernung das Risiko einer Wunddehiszenz erhöht, kann ein zu spätes Entfernen zu unschönen Stichkanalnarben und Gewebereaktionen führen. Für medizinisches Fachpersonal ist daher ein fundiertes Verständnis der zugrundeliegenden physiologischen Prozesse und klinischen Entscheidungskriterien unerlässlich.
Biologische Grundlagen und Zeitliche Determinanten der Wundheilung
Die Wundheilung verläuft in mehreren überlappenden Phasen, beginnend mit der Entzündungsphase über die Proliferationsphase bis hin zur Remodellierungsphase. Während der ersten Tage nach einer Verletzung oder einem operativen Eingriff ist die Stabilität der Wunde primär von der Naht abhängig. Mit fortschreitender Heilung übernimmt das neugebildete Kollagen zunehmend die strukturelle Integrität. Der optimale Zeitpunkt für den Fadenzug liegt typischerweise am Übergang von der Proliferations- zur Remodellierungsphase, wenn das Gewebe bereits eine ausreichende Eigenstabilität erreicht hat, aber noch keine übermäßige Narbenbildung um das Nahtmaterial eingesetzt hat.
Regionale Unterschiede: Von Gesicht bis Fuß
Die anatomische Lokalisation spielt eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung des optimalen Zeitpunkts für den Fadenzug. Im Gesichts- und Halsbereich, wo eine exzellente Vaskularisierung und geringe mechanische Belastung vorherrschen, können Fäden bereits nach 2 bis 5 Tagen entfernt werden. Dies minimiert zudem das Risiko kosmetisch störender Stichkanalnarben in diesen ästhetisch sensiblen Regionen. Im Bereich von Brust, Armen und Beinen, die einer moderaten mechanischen Belastung ausgesetzt sind, empfiehlt sich ein Zeitfenster von 7 bis 10 Tagen. Bereiche mit erhöhter mechanischer Beanspruchung wie Kopf, Rücken, Hände und Füße erfordern hingegen eine längere Verweildauer der Fäden von 10 bis 14 Tagen. In besonders belasteten Regionen, etwa über Gelenken, kann eine Entfernung erst nach bis zu 21 Tagen indiziert sein.
Individuelle Patientenfaktoren und ihre klinische Relevanz
Neben der anatomischen Lokalisation beeinflussen zahlreiche patientenspezifische Faktoren den Heilungsverlauf und damit den optimalen Zeitpunkt für den Fadenzug. Das Alter des Patienten spielt eine wesentliche Rolle, da die Wundheilung mit zunehmendem Alter typischerweise langsamer verläuft. Verschiedene Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder Immunsuppression können den Heilungsprozess signifikant verzögern und erfordern eine entsprechende Anpassung des Zeitplans. Auch die Einnahme bestimmter Medikamente, insbesondere Kortikosteroide, Immunsuppressiva oder bestimmte Chemotherapeutika, sowie ein suboptimaler Ernährungszustand können die Wundheilung beeinträchtigen und sollten bei der klinischen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
Technische Aspekte und Komplikationsmanagement
Die korrekte Durchführung des Fadenzugs erfordert ein systematisches Vorgehen und geeignetes Instrumentarium. Nach sorgfältiger Wundinspektion und Desinfektion wird bei Einzelknopfnähten der Knoten mit einer Pinzette leicht angehoben, der Faden nahe der Hautoberfläche durchtrennt und in Richtung der Schnittseite herausgezogen, um eine Kontamination des Stichkanals zu vermeiden. Bei fortlaufenden Nähten werden zunächst alle Fadenschlingen durchtrennt, bevor die einzelnen Fadenteile entfernt werden. Komplikationen wie Wunddehiszenz bei zu frühem Fadenzug oder Stichkanalnarben und Fadengranulome bei zu spätem Fadenzug sollten frühzeitig erkannt und adäquat behandelt werden. In bestimmten Situationen können Alternativen wie resorbierbare Nahtmaterialien, Wundverschlussstreifen oder Gewebekleber erwogen werden, die einen klassischen Fadenzug überflüssig machen.
Die Nachsorge: Schlüssel zum optimalen Heilungsergebnis
Nach dem Fadenzug ist eine sorgfältige Nachsorge essenziell für ein optimales funktionelles und ästhetisches Ergebnis. Eine erneute Desinfektion der Wunde, gegebenenfalls die Applikation von Wundverschlussstreifen zur zusätzlichen Stabilisierung und eine adäquate Patientenaufklärung über die weitere Wundpflege sind wichtige Bestandteile des Behandlungskonzepts. Der Patient sollte über mögliche Anzeichen von Komplikationen wie zunehmende Rötung, Schwellung, Schmerzen oder Sekretaustritt informiert werden und wissen, wann eine erneute ärztliche Vorstellung erforderlich ist. Eine angemessene Narbenpflege mit Vermeidung von UV-Exposition und gegebenenfalls die Anwendung von Silikonprodukten können das langfristige kosmetische Ergebnis positiv beeinflussen.
Fazit für die klinische Praxis
Der Fadenzug ist ein integraler Bestandteil der Wundversorgung, dessen optimaler Zeitpunkt eine sorgfältige Abwägung verschiedener Faktoren erfordert. Eine differenzierte Betrachtung von anatomischer Lokalisation, Wundcharakteristika und patientenspezifischen Faktoren ermöglicht eine individualisierte Entscheidungsfindung. Die korrekte technische Durchführung und eine adäquate Nachsorge sind essenziell für einen komplikationslosen Heilungsverlauf und ein optimales funktionelles sowie ästhetisches Ergebnis. In der modernen Wundversorgung sollten zudem alternative Methoden wie resorbierbare Nahtmaterialien, Wundverschlussstreifen und Gewebekleber als ergänzende oder ersetzende Optionen in Betracht gezogen werden.
Quellenverzeichnis
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10. Suppl-guide.de. (2023). Tut Fäden Ziehen Weh.
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