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Herausforderungen zur Behandlung von Adipositas: Welchen Einfluss 
nimmt das Gehirn?

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Herausforderungen zur Behandlung von Adipositas: Welchen Einfluss 
nimmt das Gehirn?

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Erschienen in: Der Allgemeinarzt

Adipositas ist ein ernst zu nehmendes gesundheitliches Problem, sowohl für Betroffene als auch 
für die Gesellschaft. Die Anzahl der stark Übergewichtigen nimmt ständig zu, dementsprechend auch die Behandlungskosten. Mittlerweile ist jeder Vierte in Deutschland betroffen, darunter 
auch ­Kinder. ­Anlässlich des diesjährigen DGE in Baden-Baden wurden unter anderem aktuelle ­Forschungsdaten zu einer gestörten Körper-Hirn-Interaktion bei den Betroffenen vorgestellt. Es ging aber auch um die im Internet gehypte Cortisol-Angst.

Dr. med. Ruth Hanßen, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie an der Uniklinik Köln, erklärt: „Adipositas ist nicht unbedingt die Schuld des Einzelnen, es ist eine anerkannte chronische Erkrankung mit vielen Ursachen.“ Natürlich stehe am Anfang der Erkrankung eine zu hohe Kalorienzufuhr, die den Energieverbrauch deutlich übersteigt. „Dadurch lagert sich Fett ein und neben der Gewichtszunahme gesellen sich dann auch Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen oder Herz-Kreislauferkrankungen dazu.“ Hanßen weiter: „Industriell angefertigte Lebensmittel mit viel Fett und Zucker, die in den Medien positiv beworben werden, sind Teil des derzeitigen Adipositas-Problems.“ So werden Verbraucher nicht ausreichend über die gesundheitlichen Folgen zum Konsum gewichtsfördernder Lebensmittel informiert. Wenn dann erst einmal Adipositas besteht, muss der Expertin zufolge die Behandlung lebenslang erfolgen.
Adipositas wird durch den Body Mass Index (BMI) definiert. Dieser wird aus dem Gewicht einer Patientin oder eines Patienten geteilt durch die Körpergröße im Quadrat ermittelt. Eine Frau von 1,65 m Körpergröße mit einem Körper­gewicht von 80 kg hat dementsprechend einen BMI von 31,25, damit ist sie im Bereich von Adipositas Grad I.

80 kg ÷ (1,60 x 1,60 m2) = 31,25

Falsche Sättigungssignale – Fehlsteuerung im Gehirn

„Bei Adipositas kommt es neben der Gewichtszunahme auch zu Stoffwechselveränderungen wie einer Insulinresistenz. In der Folge kann das Gehirn Signale, die der Körper aussendet, oft nicht mehr richtig interpretieren.“ Der Expertin zufolge sendet das Gehirn dann trotz ausreichender Sättigung weiterhin Hungersignale. Diese Fehlkommunikation zwischen Gehirn und Körper habe Auswirkungen auf das Belohnungssystem und das Verhalten.

Hanßen dazu: „Bei Menschen mit Adipositas ist das Belohnungssystem des Gehirns, vor allem die dopaminergen, mesolimbischen Bahnen, verändert. Das äußert sich darin, dass Betroffene ihre Bereitschaft, sich für eine Belohnung anzustrengen, weniger gut an ihre aktuellen Bedürfnisse anpassen können.“ So werden hochkalorische Lebensmittel nicht mehr durch Sport und Bewegung erarbeitet, die gönnen sich die Betroffenen auch so. Das liege auch an ernährungsbedingten (hochkalorisch, fett- und zuckerreich) Faktoren, die zu Antriebslosigkeit und Leistungsabfall führen können.

Hanßen betonte, dass es noch weitere Beeinträchtigungen der Signale, die vom Gehirn gesteuert werden, gebe, beispielsweise in Bezug auf kognitive und emotionale Prozesse. So sei beispielsweise die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, reduziert. Adipösen fällt es schwer, neue Assoziationen zu lernen, die nichts mit Essen zu tun haben. Ein Beispiel dafür ist: „Wenn ich frustriert bin, muss ich nicht an den Kühlschrank, Kino tut mir auch gut.“

Was leisten GLP-1-Analoga?

GLP-1-Analoga wie Semaglutid oder Liraglutid werden als „Abnehmspritzen“ derzeit sehr propagiert. Doch wie funktionieren sie und greifen sie bei allen Patientinnen und Patienten?

„Diese Analoga wirken sowohl peripher als auch zentral im Gehirn und tragen dazu bei, das Essverhalten zu regulieren und die Motivation für eine gesündere Lebensweise zu steuern“, so Hanßen. „Sie fördern ein besseres Sättigungsgefühl und helfen Betroffenen, ihre Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Allerdings gibt es auch Nebenwirkungen und Nonresponder.“ Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Obstipation zählen beispielsweise zu den häufigen Nebenwirkungen, was die Patientinnen und Patienten wissen sollten. Warum manche Patientinnen und Patienten auf GLP-1-Analoga nicht ansprechen, dazu gebe es noch keine ausreichenden Studiendaten.

Leptin-vermittelte Regulationsmechanismen

Prof. Dr. med. Jens C. Brüning, Kongresspräsident des diesjährigen DGE in Baden-Baden, Direktor der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin an der Uniklinik Köln, ging auf die Wirkmechanismen des Sättigungshormons Leptin ein, das auch durch GLP-1-Analoga aktiviert werden kann.

Dem Experten zufolge empfängt das Gehirn ständig Signale aus der Peripherie des Körpers, beispielsweise in Bezug auf Nahrungsaufnahme, Bewegung, aber auch auf den Zucker- und Fettstoffwechsel, sodass die Energieverfügbarkeit im Körper angepasst werden kann. „Ein wichtiges Signal, das für die Kommunikation peripherer Organe mit dem Gehirn verantwortlich ist, ist das Hormon Leptin, welches vom Fettgewebe in Abhängigkeit von der Fettspeicherung freigesetzt wird und über das Gehirn die Nahrungsaufnahme unterdrückt“, so Brüning. Diese Regulationsmechanismen finden im Hypothalamus statt. Allerdings wisse man Brüning zufolge immer noch nicht, welche spezifischen Zelltypen im Hypothalamus diese Wirkung vermitteln.

Wirkmechanismus der GLP-1-Analoga

Ursprünglich wurden die auch als Inkretimimetika bezeichneten Wirkstoffe als Antidiabetikum bei Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt. Mittlerweile sind sie auch bei Adipositas zugelassen, allerdings in anderer Dosierung.

Bei Adipositas liegt der Benefit darin, dass sie den Appetit reduzieren, die Magenentleerung verlangsamen, die Insulinfreisetzung verbessern und dadurch eine Gewichtsabnahme und eine mögliche Komorbidität mit Typ-2-Diabetes verbessern. Wichtig sei bei jeder Patientin und jedem Patienten ein Switch auf gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung unter der Therapie.

Cortisol – wir brauchen das Stresshormon

Privatdozentin Dr. med. Dr. jur. Birgit Harbeck, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ging auf die Rolle von Cortisol als lebenswichtiges Hormon ein.

Das Internet habe der Expertin zufolge in den letzten Monaten wiederholt den Begriff des sogenannten „Cortisol Face“ geprägt, bei dem Influencer vor einem Überschuss des körpereigenen Stresshormons Cortisol warnen und damit ein rundlicheres Gesicht erklären. Harbeck ging auf die Fehlkommunikation im Internet ein. So solle ein geringer Cortisolwert auch gegen Haarausfall oder vorzeitige Hautalterung helfen. Die Botschaft der Influencer ziele darauf hinaus, wie man den Cortisolspiegel senken und das rundliche Gesicht loswerden könne.

Dieser Trend sei gefährlich, weil er völlig verkennt, dass es sich bei Cortisol um ein lebensnotwendiges Hormon handelt, das den Körper überhaupt erst leistungsfähig macht und bei allen Menschen in einer tageszeitlichen Rhythmik und bedarfsgerecht gebildet wird. Harbeck zufolge sei die alltägliche Stressbelastung naturgemäß mit normalen Schwankungen des Cortisolspiegels verbunden, die nicht mit den typischen Folgen einer krankhaften Mehrsekretion von Cortisol im Sinne eines Cushing-Syndroms einhergehen. Das bedeute: „Nicht jedes rundlichere Gesicht ist auf einen erhöhten Cortisolspiegel oder das Cushing-Syndrom zurückzuführen.“

Auch der Begriff „Cortisol-Entgiftung“, was zur Bekämpfung von Müdigkeit über Bauchfett bis hin zu Konzentrationsstörungen eingesetzt wird, sei in diesem Zusammenhang häufiger in den sozialen Medien zu lesen. Empfehlungen wie Bewegung und Sport, Entspannung und Schlaf sowie eine gesunde Ernährung fördern grundsätzlich einen gesunden Lebensstil und seien zu begrüßen. Eine „Entgiftung“ von diesem überlebenswichtigen Hormon ist der Expertin zufolge auf natürlichem Wege nicht möglich und vor allem nicht geboten oder gar erwünscht. Harbeck warnte vor kommerziellen Hormontests für zu Hause, die auch für Speichelcortisol über das Internet beziehbar seien. Diese Tests seien ungenau und irreführend.

Bericht: Elke Engels

Quelle: Online-Pressekonferenz anlässlich des 68. Deutschen ­Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für ­Endokrinologie e.V. (DGE) a, 11.03.2025 in Baden-Baden

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