Es gibt einige deutsche Begriffe, die sind nur mit Verlust in ihrer Bedeutung zu übersetzen wie Kindergarten oder Schadenfreude. Ein weiterer ist wesentlicher Bestandteil und Kern medizinischer Versorgung: die Hausärztin, der Hausarzt.
Robert N. Braun – Landarzt und Berufstheoretiker der Allgemeinmedizin – schrieb vor über 40 Jahren: „Der Allgemeinarzt hat überlebt, weil ein enormer Bedarf an einem raschen medizinischen Rat besteht, der durch die anderen ärztlichen Sparten nirgendwo auch nur annähernd gedeckt werden konnte.“
Die zeitlose Bedeutung
der Allgemeinmedizin
Besser lässt sich die hausärztliche Tätigkeit nimmermehr beschreiben – damals wie heute. Fast zeitgleich betonte der Allgemeinarzt Eckart Sturm in seinem Buch „Renaissance des Hausarztes“: „Der Hausarzt ist nicht für Krankheiten, sondern für den kranken Menschen zuständig!“ Und sah die Arbeit von Hausärztinnen und Hausärzten „[…] im Niemandsland zwischen der fast unbegrenzten Nachfrage der Patienten nach gesundheitlichen Leistungen und den begrenzten ökonomischen Mitteln des Versicherungssystems“.
Auch die Primärärztliche Tätigkeit umschrieb Sturm: „Der Hausarzt kann die Funktionen der Erstversorgung besser ausüben als andere Ärzte, weil er bereits Vorkenntnisse über den Patienten und seine Lebenssituation besitzt. Dadurch kann er den Stellenwert der Krankheit im Leben eines Menschen richtig beurteilen und eine entsprechende Erstentscheidung fällen. Außerdem ist der Hausarzt dadurch in der Lage, sich auf die Denkweise sowie die verbalen und nonverbalen Ausdrucksformen des Patienten einzustellen und zu erfassen, was der Patient wirklich meint.“
Menschen im Mittelpunkt: Zwischen
Wissenschaft und Wirtschaftlichkeit
Klingt gut – es geht um Menschen in der Medizin. Um Wissenschaft. Aber zugleich, darüber wird sich jeder Ökonom freuen, auch um wirtschaftliches Arbeiten. Und doch ist die Primärversorgung in stetiger Gefahr ausgehöhlt zu werden. Es lohnt sich dabei der Blick über den großen Teich zu den Vereinigten Staaten mit einem Gesundheitssystem in massiven Umbrüchen. Der Gesundheitswissenschaftler Timothy Hoff sprach 2022 in seinem Buch „Searching For The Family Doctor“: „There is a fight going on for the soul of not only American health care but health care everywhere. Primary care is at the center of this struggle.“ Diese Auseinandersetzung findet auch hierzulande statt. Jeder möchte ein möglichst großes Stück vom Kuchen abhaben. Was jedoch passiert, wenn das Gesundheitssystem zur reinen Ware wird, sehen wir nur zu gut an den Praxisketten in der Augenheilkunde oder Radiologie.
Primärversorgung:
niedrigschwellig und ganzheitlich
Dabei ist „Primary Care“ bzw. Primärversorgung sehr gut definiert. Sie erfolgt „niedrigschwellig, wohnort- und bedarfsnah“ durch Hausärztinnen und Hausärzte. Die Sekundärversorgung erfolgt gebietsärztliche bzw. stationär. Wesentlich ist dabei der Punkt, dass der Mensch im Ganzen versorgt wird und eben nicht nur einzelne Krankheitsbilder. Man stelle sich einmal vor, Kardiologen würden sich als Primärversorger bzw. erste Anlaufstelle sehen für einzelne Erkrankungen wie Bluthochdruck, oder „Herzstolpern“. Oder der Orthopäde für Knieschmerzen oder Fußübel. Tatsächlich habe ich noch immer wieder Patienten, die mir sagen: „Sie wundern sich bestimmt, warum ich bei Ihnen bin, aber ich habe Schulterschmerzen und mein Orthopäde hat erst nächste Woche einen Termin frei.“ Oder Patienten haben schon zuvor zwei Orthopäden kontaktiert, welche nicht weiterkommen und nun werde ich um Rat gefragt.
Fortschritte in der Allgemeinmedizin:
Kompetenz und Weiterbildung
Vermutlich ist noch nicht bei jedem Patienten angekommen, dass die Ausbildung in der Allgemeinmedizin, der hausärztlichen Praxis immer weiter voranschreitet. Ja, nicht nur der abwendbar gefährliche Verlauf ausgeschlossen, sondern viele Probleme abschließend in unserer Versorgung geklärt werden können. Überall im Land wird die Weiterbildung Allgemeinmedizin dank Kompetenzzentren weiterentwickelt und gestärkt. Und natürlich gehören zur hausärztlichen Versorgung auch all die Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin, die mit den Jahren auf hausärztlichem Sitz viel praktische Erfahrung gesammelt haben und genauso kämpfen für die Anliegen ihrer Patienten und einen guten Riecher haben für die medizinischen Probleme gerade alter Menschen – multimorbide und mit Polymedikation „beglückt“.
Politik und hausärztliche Versorgung:
Ein Balanceakt
Nun ist die Politik mal wieder dabei, die Bedingungen im Gesundheitswesen neu auszuhandeln und unsere Aufgabe ist es, ihr klar zu machen, woran sie dabei ist. Darum muss gekämpft werden, dafür müssen wir die Vertreterinnen und Vertreter der hausärztlichen Versorgung zumindest durch Mitgliedschaft oder besser aktiven Einsatz unterstützen – beispielsweise die DEGAM (für den wissenschaftlichen Part) und den Hausärzteverband (für den Praxisalltag). Letztlich gibt es neben dem KV-System noch die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) – anständig vergütet, leider bisweilen etwas umständlich im Alltag umzusetzen mit vielen Unterschieden je nach Bundesland, was dazu führt, dass es sich noch nicht in allen Praxen durchgesetzt hat.
Das muss besser werden. Doch soll die HZV nun gestärkt oder doch von politischer Seite eher ausgehöhlt werden? Folgt ein Primärsystem mit weniger Geld? Denn letztlich geht es wieder nur um den „schnöden Mammon“. Das, was kostengünstiger ist, wird von der Politik meist mehr geliebt. Es liegt an uns, den Wert der hausärztlichen Versorgung deutlich zu machen und dass dafür auch Geld nötig ist, um die dort Arbeitenden zu bezahlen, die Praxismiete und alles andere Drum und Dran.
Autor: Dr. med. Torben Brückner, Herausgeber von Der Allgemeinarzt
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