Das soziale Netzwerk TikTok erreicht laut eigenen Angaben etwa ein Viertel der Deutschen mindestens einmal im Monat [1]. Dabei sagen 87% der Nutzerinnen und Nutzer, von denen über die Hälfte minderjährig sind [2], dass sie durch TikTok neue Dinge lernen [3]. Häufig besprochene Themen auf der Plattform sind Freizeitinhalte wie kreative Projekte, Reiseberichte, Beautyprodukte und Buchempfehlungen – doch immer häufiger wird die App auch genutzt, um medizinische Informationen zu teilen. Eine neue Studie zeigt nun am Beispiel von ADHS, dass diese Informationen häufig fehlerhaft sind – und insbesondere Fehlinformationen eine große Reichweite erzielen [4].
Die Beiträge über ADHS, die in der Studie untersucht wurden, erreichten auf TikTok ein Millionenpublikum: In unter einer Minute wurde darin vermeintlich zu der Störung „aufgeklärt“. Inhalte wie diese tragen dazu bei, dass sich mehr und mehr Menschen auf eigene Faust eine Diagnose zuschreiben, ohne diese professionell abklären zu lassen [5, 6]. Typischerweise werden dabei normale Symptome als pathologisch überinterpretiert [5].
Untersucht wurden 98 TikTok-Videos zum Thema ADHS. Alle Videos wurden zunächst zwei klinischen Psychologen vorgestellt, die diese bewerten sollten. Ihnen fiel insbesondere auf, dass in über 60% der Videos Symptome als ADHS-typisch vorgestellt wurden, die in Wahrheit neurotypische, menschliche Erfahrungen abbilden. Etwa die Hälfte der dargestellten Symptome waren in Wahrheit sogar typisch für Menschen ohne ADHS, rund 18% deuteten auf eine andere Störung hin. Häufig wurde die persönliche Erfahrung thematisiert, die aber nur in etwa der Hälfte der Fälle mit empirisch belegten Empfehlungen übereinstimmte.
Im Anschluss wurden ausgewählte Videos 850 zufälligen Personen gezeigt, von denen einige eine offizielle ADHS-Diagnose, einige eine Selbstdiagnose und einige keine Diagnose hatten. Interessant war dabei, dass die Bewertung der Videos zwischen den Gruppen sehr unterschiedlich ausfiel: Je schlechter die klinischen Psychologen ein Video bewertet hatten, desto besser kam es insbesondere bei Menschen mit Selbstdiagnose an und wurde von diesen geteilt und weiterempfohlen.
Etwa die Hälfte der TikTok-Nutzerinnen und Nutzer sagt, dass ein großer Teil des Nutzungserlebnisses das Community-Gefühl sei: Die Verbundenheit mit Menschen, die ähnliche Werte und Interessen vertreten [3]. Das Nutzen der App simuliert dadurch eine Gruppenzugehörigkeit. Die Diskussion medizinischer Störungsbilder in solchen Communitys bietet daher Menschen aus stigmatisierten Gruppen eine Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen zu verbinden, ohne Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung zu haben. Allerdings zeigt die Forschung, dass sich Fehlinformationen auf diese Weise schnell verbreiten können und es Menschen schwerfällt, zwischen Selbsterfahrungen und klinisch geprüften Informationen zu unterscheiden. Insbesondere Personen, die sich bereits mit einer Diagnose identifizieren, ohne diese je professionell abgeklärt zu haben, scheinen dieser Täuschung häufig zu unterliegen [4].
Julina Pletziger
Zitierte Literatur:
1 20,9 Millionen Menschen in Deutschland und 2,1 Millionen in Österreich nutzen TikTok jeden Monat. TikTok Newsroom 2023
2 Heidel A. TikTok Statistiken 2025: Zahlen aus Deutschland und Weltweit. Doofinder 2025, https://www.doofinder.com/de/blog/tiktok-statistiken
3 Degrave C, Deckers D, Burssens B et al. Unlocking Culture in Europe: An assessment of TikTok’s cultural impact in the EU. Ipsos 2022 https://sf16-va.tiktokcdn.com/obj/eden-va2/hgvkshieh7lssli/Unlocking_Culture_in_EU_TikTok_Ipsos.pdf
4 Karasavva V, Miller C, Groves N et al. A double-edged hashtag: Evaluation of #ADHD-related TikTok content and its associations with perceptions of ADHD. PLoS ONE 2025; 20(3): e0319335
5 Kothambikar A. Sensibilisierung für psychische Gesundheit durch soziale Medien. In: Vermittlerrolle der sozialen Medien für das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen. 2023; 161–215
6 González Juárez S. Selbstdiagnose in der psychischen Gesundheit, eine wachsende Realität. Gedankenwelt 2022
Bilderquelle: © Natalia



