Die HE ist eine funktionelle und damit potenziell reversible Störung des Zentralnervensystems als Folge einer chronischen Lebererkrankung. Die ersten Anzeichen sind oft unspezifisch. In den frühen Stadien treten subtile Veränderungen im logischen Denken, in der Persönlichkeit und im Verhalten auf. Wichtig ist eine frühzeitige Diagnose und Therapie der HE sowie der zugrunde liegenden chronischen Lebererkrankung.
Diagnostik
Als Schweregradeinteilung der HE hat sich die „Semiquantitative Stadieneinteilung des mentalen Status“ (West-Haven-Kriterien) mit den Graden 1–4 bewährt.1
Grad 1: leichte mentale Verlangsamung, Euphorie oder Angst, verminderte Aufmerksamkeit, verminderte Additions-Rechenleistung, Reizbarkeit, gestörte Feinmotorik. (ICD-10: K72.71!)
Grad 2: Lethargie oder Apathie, minimale zeitliche und örtliche Desorientierung, leichte Persönlichkeitsstörung, verminderte Subtraktions- Rechenleistung. (ICD-10: K72.72!)
Grad 3: Somnolenz, noch Reaktion auf verbale Reize, Desorientiertheit. (ICD-10: K72.73!)
Grad 4: Koma, keine Reaktion auf verbale Reize. (ICD-10: K72.74!)
Eine frühzeitige Diagnose einer HE ist entscheidend für den therapeutischen Erfolg. Bereits die Identifikation einer minimalen hepatischen Enzephalopathie (MHE) als Unterform der HE (Prävalenz 22–74 %) unter Patienten mit Leberfunktionsstörungen sollte deshalb das Ziel diagnostischer Maßnahmen sein. Sie imponiert im Frühstadium ohne offensichtliche neurologische Symptome, aber mit kognitiven Defiziten in psychometrischen Tests. Beeinträchtigt sind dabei die Bereiche Aufmerksamkeit, visuell-räumliche Wahrnehmung, Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, insbesondere im psychomotorischen Bereich, Feinmotorik und Kurzzeitgedächtnis. 2 Als erste Stufe der Diagnostik einer HE bietet sich der in der Praxis schnell und einfach durchzuführende sogenannte Animal Naming Test an. Dabei muss der Patient innerhalb einer Minute so viele Tiernamen aufzählen, wie ihm einfallen.3 Bei der Labordiagnostik sollte berücksichtigt werden, dass bei Lebererkrankungen die Werte von Enzymen und Bilirubin steigen, während die von Albumin, Cholinesterase (ChE) und Thromboplastinzeit (TPZ, Quickwert) sinken. Eine Bestimmung des Ammoniakspiegels kann für den ambulanten Bereich aufgrund der aufwändigen und fehleranfälligen Bestimmung nicht empfohlen werden.
Therapie
Die HE ist durch Behandlung oft reversibel. Bei Menschen mit zugrunde liegenden chronischen Lebererkrankungen ist die Wahrscheinlichkeit jedoch höher, dass sie wiederholt an Enzephalopathie- Episoden leiden und eine fortlaufende Behandlung benötigen. Für eine vollständige Genesung ist es wichtig, auch die Ursache der Lebererkrankung zu behandeln. Wenn noch keine episodische HE vorgekommen ist, sollte die Aufklärung des Patienten über potenzielle Gefahren der HE im Vordergrund stehen. Eine Änderung des Lebensstils ist empfehlenswert. Spielt bei dem Patienten anamnestisch der Alkoholkonsum eine Rolle, muss die sofortige und absolute Karenz betont werden. Wenn einmal eine episodische HE dokumentiert wurde, sollten neben den oben genannten Maßnahmen prophylaktisch spezifische medikamentöse Therapieverfahren eingesetzt werden. Die medikamentöse Therapie der HE stützt sich im Wesentlichen auf drei Wirkstoffe: Lactulose, Rifaximin und LOLA (L-Ornithin-L-Aspartat; Hepa-Merz®). Am häufigsten wird Lactulose verordnet. LOLA ist im Therapieregime von entscheidender Bedeutung. Denn es senkt als einzige der zur Verfügung stehenden Substanzen den pathologisch erhöhten Blutammoniakspiegel signifikant mittels eines dualen Wirkprinzips: Der Harnstoffzyklus wird durch Bereitstellung von L-Ornithin-L-Aspartat aktiviert. Gleichzeitig wird die Glutaminsynthese in Leber, Hirn und Muskulatur gefördert – und damit die systemische Entgiftung von Ammoniak vorangetrieben.4 In mehreren randomisierten, kontrollierten Studien an Patienten mit Leberzirrhose konnte sowohl in der Akutbehandlung als auch in der Rezidivprophylaxe nachgewiesen werden, dass L-Ornithin-L-Aspartat (LOLA) wirksam ist und mit signifikanten Verbesserungen des psychometrischen hepatischen Enzephalopathie- Scores, des Ammoniakspiegels und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität einhergeht.5,6
Fallbericht
Der 52-jährige Patient ist regionaler Leiter einer Versicherung. Aus der Vorgeschichte ist bekannt, dass er den zunehmenden Leistungsdruck in dieser Funktion durch erhöhten Alkoholgenuss kompensiert. Erhöhte Leberwerte sind dokumentiert. Bei der jetzigen Vorstellung klagt der Patient über zunehmende Konzentrationsstörungen. In Kenntnis der anamnestischen Vorbelastung wird neben einer möglichen Gesundheitsvorsorgeuntersuchung mit Hepatitisscreening ein Liniennachfahrtest und der Animal Naming Test zur Detektion einer frühen hepatischen Enzephalopathie durchgeführt. Mit dem Patienten wird eine sonographische Untersuchung des Abdomens und ein Blutentnahmetermin vereinbart.
Abrechnung Erstkontakt im Quartal (siehe Tabelle 1). Hierbei bitte beachten:
- Die Beurteilung von Hirnleistungsstörungen mittels standardisierter Testverfahren ist im hausärztlichen Bereich Bestandteil der GOP 03360, die allerdings erst ab dem 70. Lebensjahr zum Ansatz gebracht werden kann. Die weitere, notwendige Diagnostik zur genauen Beurteilung einer Lebererkrankung erfolgt im Zweitkontakt.
Zweitkontakt im Quartal (Abrechnung siehe Tabelle 2)
Die Laborwerte zeigen keine Verbesserung zu den Vorbefunden. Die Leberwerte GOT, GPT, y-GT und GLDH sind unverändert erhöht, das Hepatitisscreening fällt negativ aus. Die sonographische Untersuchung der Leber lässt einen fortgeschrittenen bindegewebigen Umbau des Organs erkennen, was auf eine beginnende Leberzirrhose hindeutet. Dem Patienten wird in einem 20-minütigen Gespräch verdeutlicht, dass er sofort jeglichen Verzehr alkoholischer Getränke einstellen muss. Auch erfolgt ein Hinweis auf die mögliche Einschränkung der Fahrtüchtigkeit. Regelmäßige Verlaufskontrollen werden vereinbart. Der Patient erhält eine Verordnung von Hepa-Merz Granulat 6000 N3, in der Dosierung 3×6 g/d. Die Einnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. LOLA ist zulasten der GKV verordnungsund erstattungsfähig.7 Die zugrunde liegende Lebererkrankung und die HE (einschließlich des Schweregrads) müssen zusammen nach ICD-10 kodiert werden (binäre Kodierung mit ! bei der HE-Kodierung), z.B.: K 70.3 für alkoholische Zirrhose und K72-72! für die Hepatische Enzephalopathie Grad 2. (Grad 1– 4 oder 9 für nicht näher bezeichnet)

Alternativen an mögl. Kodierungen für eine chronische Lebererkrankung:
- K74.6: sonstige und nicht näher bezeichnete Zirrhose der Leber
- K75.8: sonstige nicht näher bezeichnete entzündliche Leberkrankheiten inkl. Nichtalkoholi- sche Steatohepatitis (NASH)
- K76.0: Fettleber, inkl. Nichtalkoholische Fettleber, exkl. NASH
- K70.0: Alkoholische Fettleber
- K70.3: Alkoholische Zirrhose
Autor: Dr. med. Gerd W. Zimmermann, Facharzt für Allgemeinmedizin, Hofheim am Taunus
Literatur
1. Wettstein M et al. Hepatische Enzephalopathie – Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr 2003; 128: 2654-2657.
2. Zhan T, Stremmel W. Diagnostik und Therapie der minimalen hepatischen Enzephalopathie. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(10): 180-7.
3. Labenz, C et al. Validation of the simplified Animal Naming Test as primary screening tool for the diagnosis of covert hepatic encephalopathy. European Journal of Internal Medicine 2019, 60, 96-100.
4. Kircheis G et al. Therapeutic efficacy of L-ornithine-L-aspartate infusions in patients with cirrhosis and hepatic encephalopathy. Hepatology. 1997 Jun;25(6): 1351-60.
5. Varakanahalli S et al. Secondary prophylaxis of hepatic encephalopathy in cirrhosis of liver. Eur J Gastroenterol Hepatol 2018;30:951-958.
6. Butterworth RF, McPhail MJW. L-Ornithine L-Aspartate (LOLA) for Hepatic Encephalopathy in Cirrhosis. Drugs. 2019 Feb;79(Suppl 1):31-37.
7. Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, Abschnitt F, Anlage I, Stand: 7. November 2023.
Mit freundlicher Unterstützung der Merz Therapeutics GmbH
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