Seit der letzten Aktualisierung der Osteoporose-Leitlinie führten nicht nur die Zulassung der osteoanabolen Substanz Romosozumab, sondern auch zahlreiche Publikationen zu den Risikofaktoren und der spezifischen Therapie der Osteoporose zu wichtigen neuen Empfehlungen. Nachdem Alter einer der stärksten Risikofaktoren für osteoporotische Frakturen ist, betrifft dies ältere Patientinnen und Patienten im Besonderen.
Das oberste Ziel bei der Behandlung der Osteoporose ist, eine Fraktur oder Folgefraktur und die damit oftmals verbundene Funktionseinschränkung, Morbidität und Mortalität zu verhindern.
Neues Frakturrisikomodell
Ist das Frakturrisiko eines Patienten ermittelt, kann in Abhängigkeit davon eine Therapie eingeleitet werden. Deshalb ist das Kernstück der aktuellen Leitlinienversion des Dachverbandes Osteologie (DVO) die Weiterentwicklung des Frakturrisikomodells, um das Bewusstsein für das Frakturrisiko zu erhöhen. Der neue DVO- Risikorechner berücksichtigt 33 Frakturrisikofaktoren.2 Das Frakturrisiko auf zehn Jahre zu schätzen, schien angesichts der häufig eingeschränkten Lebenserwartung der von Osteoporose betroffenen alten und hochaltrigen Patientinnen und Patienten als nicht angemessen. Um der reduzierten Lebenserwartung geriatrischer Patientinnen und Patienten Rechnung zu tragen, bezieht das neue Frakturrisikomodell unter anderem seine Berechnung auf einen Dreijahreszeitraum.
Osteoporosebasisdiagnostik
Wie bei jeder anderen Krankheit verfolgt die Behandlungsstrategie der Osteoporose die Abfolge Anamnese, Diagnostik und Therapie. Durch die Anamnese können bereits die meisten Risikofaktoren erfasst werden. Diese sind in der aktualisierten Leitlinie quantifiziert, was dem Behandler eine bessere Einschätzung ermöglicht, ob die Diagnostikschwelle erreicht ist. So ist jedem Risikofaktor (RF) eine Zahl zugeordnet, die den Faktor angibt, um den das Grundrisiko erhöht wird. Im Alter zwischen 50 und 70 Jahren sollte deshalb bei Vorliegen einer relevanten Risikofaktorenkonstellation eine Osteoporosebasisdiagnostik erfolgen. Bei geriatrischen Patientinnen und Patienten wird eine Diagnostik meist allein aufgrund des Alters angezeigt sein. Gemäß der neuen Version der Leitlinie sollte für beide Geschlechter ab dem 70. Lebensjahr eine Osteoporosebasisdiagnostik vorgenommen werden. Diese besteht aus einem Basislabor (Klärung von sekundären Osteoporoseursachen und etwaigen Kontraindikationen für eine Therapie), einer Knochendichtemessung und ggf. einer Bildgebung der Wirbelsäule (zum Ausschluss oder dem Nachweis von Wirbelkörperfrakturen).
Bestimmung des absoluten Frakturrisikos und Ableitung der Therapieempfehlung
Anhand der erhobenen Daten aus der Basisdiagnostik wird anschließend das absolute Frakturrisiko für proximale Femur- und Wirbelkörperfrakturen berechnet. Im Falle eines sehr hohen Frakturrisikos (≥ 10 %/3 Jahre) soll eine osteoanabole Therapie eingeleitet werden. Bei einem Frakturrisiko von 5–10 % soll eine antiresorptive Osteoporosetherapie initiiert werden.
Da die Risikorechner-App zwar programmiert, aber noch nicht als Medizinprodukt zertifiziert ist, steht sie zur klinischen Anwendung derzeit nicht zur Verfügung. Daher wird zunächst die in der Leitlinie abgedruckte Papierversion des DVO-Risikorechners zur Einschätzung des absoluten Frakturrisikos und zur Ableitung der nötigen Therapie angewandt. Die Tabelle zeigt exemplarisch die 10 %-Frakturrisikoschwellen für die Empfehlung zur osteoanabolen Therapie bei Frauen. Dabei ist es prinzipiell möglich, auch ohne vorliegenden T-Score aus der DXA- Knochendichtemessung das Frakturrisiko zu ermitteln. Die roten Felder kennzeichnen ein Frakturrisiko von ≥ 10 %/3 Jahre am Gesamtfemur in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und TScore. Die Zahlen in den grauen Feldern beziffern den Faktor, der notwendig ist, um die 10 %/3 Jahre-Risikoschwelle zu erreichen. Dieser Faktor muss mit dem oben genannten Risikofaktor (RF) abgeglichen werden. Liegen mehrere Risikofaktoren vor, so wird aus den bei den stärksten aus unterschiedlichen Gruppen ein Produkt (PRF) gebildet. Gemäß der Tabelle wird zum Beispiel für eine 80jährige Frau mit einem minimalen TScore am Gesamtfemur von 3,0 SD bereits ohne weitere Frakturrisikofaktoren eine osteoanabole Therapie empfohlen. Bei einer 80jährigen Frau mit einem minimalen TScore am Gesamtfemur von 2,5 ist ein Risikofaktor (RF) bzw. das Produkt aus zwei Risikofaktoren (PRF) von 1,3 nötig, um die osteoanabole Schwelle zu erreichen. Dies wäre beispielsweise bei einem Sturz im letzten Jahr (RF = 1,6) gegeben. Sollte das nicht der Fall sein, muss das gleiche Vorgehen mit Hilfe der Tabelle für die 5 %Frakturrisikoschwellen (hier nicht gezeigt) erfolgen, um möglicherweise eine Empfehlung für eine antiresorptive Therapie zu erhalten.
Die Abbildung beschreibt das Vorgehen zur Bestimmung des Frakturrisikos und der daraus abzuleitenden Therapie. Mit niedrigerem Empfehlungsgrad B ist sogar bei einem Frakturrisiko von 3–5 %/3 Jahre eine Therapie empfohlen. Aufgrund der Risikokonstellation werden jedoch nur wenige Patientinnen und Patienten der Geriatrie in diese Kategorie fallen, weshalb die Abbildung dieses Vorgehen nicht zeigt.

Für Patientinnen und Patienten, die die Kriterien der generellen Indikation für eine Osteoporosetherapie erfüllen (eine höhergradige oder multiple Wirbelkörperfrakturen, proximale Femurfraktur oder hochdosierte Glukokortikoidtherapie), muss anhand der Tabellen für die Frakturrisikoschwellen nur entschieden werden, ob eine osteoanabole oder eine antiresorptive Therapie infrage kommt.
Osteoanabole Therapie
Die Notwendigkeit, differenziertere Schwellen für die Therapie zu etablieren, ergab sich aus aktuellen Studien. Diese zeigten die Überlegenheit der osteoanabolen Substanzen Romosozumab und Teriparatid gegenüber oralen Bisphosphonaten bezüglich der fraktursenkenden Wirkung.3,6 Deshalb soll bei Patienten und Patientinnen mit besonders hohem Frakturrisiko (≥ 10 %/3 Jahre) der Einsatz dieser Substanzen primär geprüft werden. Besonders bei Romosozumab ist zu beachten, dass eine Zulassung nur für die postmenopausale Frau mit manifester Osteoporose besteht. Die Applikation er folgt subkutan mittels zweier Autoinjektoren monatlich für die Dauer von zwölf Monaten. Neben der Hypokalzämie ist eine sicher nicht seltene Kontraindikation für die Anwendung von Romosozumab in der Gruppe der hochaltrigen Frauen der Myokardinfarkt oder Apoplex in der Krankengeschichte. Teriparatid wird täglich subkutan über maximal 24 Monate angewendet. Wesentliche Kontraindikationen sind die Hyperkalzämie, eine unklare Erhöhung der alkalischen Phosphatase, Bestrahlungen des Skeletts und maligne Skeletterkrankungen. Beide Substanzen sind nur für einen bestimmten Therapiezeitraum zugelassen und zeigen nach Absetzen einen signifikanten Abfall der Knochendichte und eine entsprechende Zunahme des Frakturrisikos.4,5 Daher soll nach Beendigung einer Romosozumab oder Teriparatidtherapie am Ende des jeweiligen Therapieintervalls (Romosozumab 1 Monat, Teriparatid 1 Tag) der vorangegangenen Therapie eine antiresorptive Anschlusstherapie erfolgen. Das Gleiche gilt bezüglich einer Anschlusstherapie mit Denosumab. Nach Absetzen von Denosumab kommt es zum Wiederanstieg des Risikos für vertebrale Frakturen auf das Niveau der Placebogruppe sowie zu einem erhöhten Risiko für multiple Wirbelkörperfrakturen.1 Dieser als Reboundphänomen bezeichnete Effekt von Denosumab macht es erforderlich, dass sechs Monate nach der letzten Gabe von Denosumab eine Bisphosphonattherapie erfolgen soll.7
Autoren:
Prof. Dr. med. Michael Drey
Prof. Dr. med. Ralf Schmidmaier
Medizinische Klinik IV
Schwerpunkt Geriatrie
LMU Klinikum, LMU München
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