Seit der Entdeckung des Penicillins konnten dank antibiotisch wirkender Substanzen viele Leben gerettet werden. So gesehen war die Entwicklung der Antibiotika ein Meilenstein in der Medizin. Leider wird dabei aber oft vergessen, dass Antibiotika auch negative Eigenschaften besitzen. Darauf möchte ich im Folgenden eingehen.
Antibiotika können nicht zwischen „gut“ und „böse“ unterscheiden
Eine Therapie sollte so gezielt erfolgen wie möglich. Je breiter das Wirkspektrum eines Antibiotikums ist, desto mehr werden Bakterien vernichtet, die mit der Infektion nichts zu tun haben. Die Folge sind Resistenzbildungen – die sensiblen Bakterien werden vernichtet, die resistenten können sich ungehindert vermehren – und Störungen in der Zusammensetzung des lokalen Mikrobioms mit nicht kalkulierbaren Folgen.
Antibiotika sollten möglichst gezielt eingesetzt werden
Beispiel: Eine eitrige Angina wird in der Regel ausgelöst durch Streptokokken A, die immer noch sensibel auf Penicillin sind. Die Therapie mit Penicillin ist so erfolgreich, dass sich der Patient bereits innerhalb von 24 Stunden deutlich besser fühlen muss. Bleibt diese Besserung aus, muss an der Diagnose gezweifelt werden. In diesem Fall kommt als wichtigste Alternative das Pfeiffer‘sche Drüsenfieber in Betracht.
Ein Antibiotikum mit einem Spektrum, das mehr als die Streptokokken umfasst, ist demzufolge eher schädlich als nützlich.
Antibiotika-Auswahl, eine Modeerscheinung?
Bei der Wahl der Antibiotika scheint eine Form von „Mode“ eine wichtige Rolle zu spielen und Folgen zu haben. So wurde etwa der häufige Einsatz der Tetracycline in den 1980er-Jahren abgelöst von den Makroliden, denen zuerst die Cephalosporine und zuletzt die Kombination von Amoxicillin mit Clavulansäure folgten. Selbst der Ablauf eines Patents besitzt Einfluss auf das Verordnungsverhalten.
Für diese plötzlichen Änderungen findet sich allgemein und speziell für den explosionsarti- gen Anstieg der Verordnungszahlen für Cefu- roxim keine Empfehlung in der Literatur. Der Anstieg der Verordnungen von Amoxicillin mit Clavulansäure allgemein ergibt ebenfalls kaum einen Sinn. Die Betalaktamasebildner nehmen zwar an Häufigkeit zu, spielen aber immer noch eine eher untergeordnete Rolle.
Störung gesunder Bakterien-Mensch-Symbiosen = Mikrobiom
Die Hautoberfläche und jede mit der Umgebung in Verbindung stehende Körperhöhle des Menschen ist mit Bakterien besiedelt. Die Zusammensetzung dieser physiologischen Keimbesiedlung, die wir als Mikrobiom bezeichnen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die Dimension des Mikrobioms wird deutlich, wenn wir bedenken, dass es sich dabei um gleich viele Bakterien handelt, wie unser Körper Zellen besitzt, und es die Hälfte des feuchten Stuhls ausmacht. Sein Gewicht beträgt etwa 0,5 kg unseres gesamten Körpergewichts.
Das gesunde Mikrobiom entwickelt sich in den ersten drei Lebensjahren. Der Startschuss zu einem gesunden Mikrobiom ist der natürliche Weg bei der Geburt. Von Nachteil ist es bereits, wenn Kinder per Sectio auf die Welt kommen. Bei diesen Menschen findet man häufiger Übergewicht und Asthma. Auch der Erfolg von Impfungen ist bei diesen Kindern schlechter als nach einer Geburt via naturale.
Die gesunde Zusammensetzung, das heißt eine möglichst große Diversität, steht für Gesund- heit; eine Dysbiose, die falsche Zusammensetzung, führt zu Krankheiten. Experten der Mikrobiomforschung wie Emeran Mayer von der Universität Kalifornien sind der Überzeugung, dass alle unsere chronischen Krankheiten auf eine Dysbiose des Mikrobioms zurückzuführen sind.
Das individuelle Mikrobiom ist in seiner Zusammensetzung stabil und lässt sich nur schwer verändern. Von der üblichen Kost abweichende Nahrung kann es vorübergehend verändern, die typische Zusammensetzung wird aber schnell wieder erreicht. Damit lassen sich beispielsweise die kurzzeitigen Stuhlveränderungen im fernen Urlaubsland und nach der Rückkehr erklären. Auch von einer Antibiotikatherapie erholt sich das Mikrobiom normalerweise schnell. Diese Stabilität bedeutet aber gleichzeitig, dass es sich auch therapeutisch nur schwer verändern lässt.
Wir wissen inzwischen, dass ein nachhaltig gestörtes Mikrobiom neben einer Steigerung der Infekthäufigkeit auch die Entwicklung von chronischen Krankheiten fördert. So ist bekannt, dass Erwachsene, die in der Kindheit häufiger Antibiotika erhalten haben, öfter an chronischen Darmentzündungen erkranken. Derselbe Mechanismus wird für die Entstehung einer chronischen Sinusitis und möglicherweise auch der COPD u. v. m. verantwortlich gemacht.
Umgekehrt kann sich ein funktionierendes Mikrobiom auch positiv auswirken. Ein Beispiel: Ein Patient war mit einem multiresistenten Keim belastet, der mit verschiedenen Antibiotika nicht beseitigt werden konnte. Nach einer Stuhltransplantation war der Keim innerhalb einer Woche verschwunden.
Die Mikrobiom-Forschung steht zwar noch am Anfang, bisherige Erkenntnisse sollten uns aber mahnend darauf aufmerksam machen, die gesunde Zusammensetzung nicht zu gefährden, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist. Dazu zählt vor allem auch die Zurückhaltung bei übertriebenem Einsatz von Antibiotika.
Primäre oder sekundäre Resistenz
Mikroorganismen wie Pilze mussten sich schon immer gegen Angriffe von Bakterien wehren. Dazu haben sie Antibiotika produziert. Umgekehrt mussten Bakterien diese Waffen unscharf machen. Sie mussten Resistenzen bilden. Neben einer primären natürlichen, intrinsischen Resistenz – Antibiotika haben ein bestimmtes Wirkspektrum – gibt es eine sekundäre, erworbene durch Übertragung. Diese Resistenz kann auch speziesübergreifend übertragen werden. Daraus folgt: Jeder Einsatz eines Antibiotikums erhöht den Selektionsdruck auf die Bakterien! Die empfindlichen Bakterien werden vernichtet, die resistenten bleiben übrig und bekommen Gelegenheit zur intensiven Vermehrung. Die zu häufige Verordnung einer Substanz aus einer Antibiotikumklasse fördert die Resistenzbildung.
Auf korrekte Dosierung und Therapie- dauer achten!
Im täglichen Einsatz existieren eine Reihe von Möglichkeiten, die eine Resistenzentwicklung provozieren (Tab. 1). Eine Unterdosierung eines Antibiotikums muss vermieden werden, weil sie die Bakterien nicht abtötet. Damit wird die Bildung von Resistenzen provoziert.
Beispiele:
Die Dosierung von Amoxicillin, mit oder ohne Clavulansäure, richtet sich vor allem nach dem Körpergewicht (bis 75 kg KG 750 mg, darüber 1.000 mg). Immer wieder wird die notwendige dreimalige Gabe pro Tag mit dem Argument der höheren Einzeldosis von 1.000 mg auf eine zweimalige Gabe reduziert. Dabei wird jedoch auf jeden Fall die MHK 90 unterschritten und die Bildung von Resistenzen provoziert.
Tavanic® und auch Azithromycin sind in der einmaligen Gabe pro Tag unterdosiert.
Der übermäßige Gebrauch von Tetracyclinen in den 1980er-Jahren hatte zu erheblichen Resistenzen geführt, so dass deren Verwendung wegen der Gefahr von Therapieversagen nicht mehr zu empfehlen war. Die darauf folgende Zurückhaltung hat auch zum Rückgang der Resistenzen geführt, so dass der Einsatz mittlerweile wieder empfohlen wird.
| Arzt | Patient |
| Freier Verkauf | Freier Verkauf |
| Zu häufiger/falscher Einsatz (Helfer-Syndrom/Unsicherheit?) | Erwartungshaltung |
| Zu häufige Verordnung einer Substanzklasse | Häufige Einnahme reduziert |
| Falsches Antibiotikum | Dosis reduziert |
| Falsche Dosis | Eigenmächtiger Abbruch |
| Falsche Therapiedauer: zu kurz (?)/ zu lang | Eigenmächtige Therapie mit Restvorrat zurückliegender Therapie |
| Zu schneller Wechsel | |
| Irrationale Prophylaxe |
Die korrekte Dauer der Gabe ist zu beachten. Eine zu kurze, vor allem aber eine „gut gemeinte“ zu lange Therapiedauer wirken sich negativ auf die Resistenzbildung aus.
Der Trend geht in Richtung kürzerer Therapiedauer, wobei die gebesserten Symptome und auch die Normalisierung einer erhöhten Temperatur die Begrenzung signalisieren. Dahinter steht die Überlegung, dass jeder eingesparte Tag ohne Verlust von Wirkung mit weniger Gefahr von Nebenwirkungen und Resistenzbildung verbunden ist. Wer seinen Patienten aus Sicherheit eine längere Einnahme empfiehlt, zwingt die Erreger zur Resistenzbildung. Nur resistente Erreger haben eine Chance zu überleben. Und je länger dieser Druck besteht, desto größer die Gefahr von Resistenzen.
Nebenwirkungen und Gefahren
Grundsätzlich darf festgehalten werden, dass Antibiotika zu den gut verträglichen Medikamenten zählen. Die Gefahr von Nebenwirkungen liegt auf Placeboniveau. Dennoch müssen einzelne Nebenwirkungen bedacht werden (Tab. 2). Gut bekannt und gefürchtet sind:
- Scheidenpilzinfektion – gestörtes lokales Mikrobiom – als Folge einer Antibiotikatherapie
- Leberschaden, etwa nach Gabe von Clavulan- säure
- allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock
- Herzrhythmusstörungen unter Makroliden oder Chinolonen
- Photoreaktion (Lyell-Syndrom) selten, aber mit einer Mortalität von 25–70 % gefährlich
| Nebenwirkungen (gezielte Befragung von Patienten) | Gefahren |
| Übelkeit 6% | Allergische Reaktion |
| Diarrhoe 5% | Pilzinfektion |
| Schwindel 2% | Leberschädigung |
| Erbrechen 2% | Herzrythmusstörungen |
| Bauchschmerzen 2% | Krampfanfälle |
| Kopfschmerzen 2% | Psychosen |
| Dyspepsie 1% | Photoreaktion |
| = vergleichbar mit Placebo | Problemkeime |
Eine Allergie auf ein Antibiotikum wird oft bei allgemeiner Unverträglichkeit angenommen und selten gesichert. Die Angabe des Patienten aber zu negieren, kann fatale Folgen haben: Einem Patienten wurde im Krankenhaus trotz seiner Beteuerung einer Penicillinallergie Amoxicillin injiziert. Den anaphylaktischen Schock hat er nur wegen der schnellen Notfallversorgung überleben können.
Antibiotikatherapie, Durchfall und Problemkeime
Ein bis zwei von 100 Patienten entwickeln nach einer Therapie mit einem Antibiotikum einen Durchfall. In der Regel erholen sie sich aber schnell und spontan nach Beendigung der Therapie. Leider nicht ganz so selten werden aber ernste Infektionen ausgelöst. Der bekannteste Problemkeim dürfte Clostridium difficile sein. Entgegen allgemeiner Vorstellung treten diese Infektionen (CDI) nicht nur im Krankenhaus, sondern auch im ambulanten Bereich auf. 2007 kam es in der Region Trier gehäuft zu Infektionen mit einem besonders aggressiven Typ von C. difficile, dem Ribotyp-027. Drei von vier Patienten mussten kolektomiert werden, zwei der Patienten verstarben.
Mit Antibiotika, besser noch einer Stuhltransplantation, kann man dieser Infektion oft Herr werden. Problematisch ist allerdings die Rezidivhäufigkeit. Nach der ersten CDI erleiden 25 % der Betroffenen innerhalb von acht Wochen ein Rezidiv, 40 % nach der zweiten und 60 % nach der dritten Episode.
Entscheidungshilfen für eine zurückhaltende Therapie mit Antibiotika
Anamnese und klinischer Befund
In vielen Fällen ist eine Unterscheidung zwischen viralem und bakteriellem Infekt leicht und auch recht sicher möglich (Tab. 3).
| allergische Rhinitis | virale Rhinitis | bakterielle Rhinitis | |
| Nasenatmung | behindert | behindert | behindert |
| Nasensymptome | Niesen, Juckreiz | wechselnd | |
| Naselaufen | ja | hochrot mit grauen Schlieren | oft gerötet und geschwollen |
| Nasenschleimhaut | blass bis livide | klar | trübe |
| Nasensekret | klar | Augenmuskelschmerzen | / |
| Augensymptome | Juckreiz, Tränen | in der Regel ja | in der Regel ja |
| Halsschmerzen | nein | gerötet | gerötet, belegt? |
| Rachenschleimhaut | normal | gerötet | gerötet, belegt? |
| Halslymphknoten | unauffällig | häufig schmerzhaft geschwollen | häufig schmerzhaft geschwollen |
| Fieber | nein | meistens | nicht immer |
| Krankheitsgefühl | nein | deutlich bis schwer | leicht bis deutlich |
| Kopf-, Glieder-, Muskelschmerzen | nein | deutlich bis schwer | nicht bis leicht |
| Auswurf | keiner bis wenig zäh/gelblich? | eher nicht | ja, klar bis verfärbt |
Äußerst wichtig ist die Unterscheidung zwischen einem Infekt und einer allergischen Reaktion. Jedes Frühjahr, aber auch im Herbst-/Winterhalbjahr sitzen unter den Infektpatienten auch Menschen, bei denen die Allergene zugeschlagen haben. Sie klagen oft über Husten und gelblich verfärbten Auswurf. Wegweisend kann die Anamnese sein. Neben der typischen Zeit (Frühblüher) und dem Beginn der Heizungsperiode (Hausstaubmilbe) ist der begleitende Auswurf normalerweise gering in der Menge, aber zäh wie Weingummi. Oft erhalten diese Patienten ein Antibiotikum. Bessern sich Husten und Auswurf nicht, wird in der Überzeugung vom Vorliegen einer Resistenz ein zweites Antibiotikum verordnet.
Es existieren eine Reihe von technischen Möglichkeiten, die uns im Zweifelsfall weiterhelfen können (Tab. 4). Die Notwendigkeit ergibt sich nach Erfahrung bei maximal 20 % der Infektpatienten. Das Problem ist, dass diese Hilfen bis auf eine Ausnahme (PCT) alle unspezifisch sind und vor allem für eine schnelle Entscheidung bis auf das CRP nicht hilfreich sein können.
| Dauer | Spezifisch | |
| BSG | 1-2 Std. | Nein |
| Leukozyten | Stunden | Nein |
| GBb | Stunden | Nein |
| CRP | Minuten | Nein |
| Procalcitonin | 1 Tag | Ja |
| Rö-Thorax | ? | Nein |
Seit den 1980er-Jahren steht uns der CRP-Test als quantitativer und semi-quantitativer Test zur Verfügung. Inzwischen können wir dank kleiner erschwinglicher Geräte den CRP-Wert quantitativ, schnell und kostengünstig ermitteln. Wie bei allen technischen Untersuchungen muss auch das Ergebnis des CRP-Tests unter Beachten der Klinik und mit Vorsicht interpretiert werden (Tab. 5).
| Aktueller CRP-Wert | Vorbefund | Bakterieller Infekt | Virusinfekt |
| normal | unbekannt | unwahrscheinlich | möglich |
| erhöht | unbekannt | möglich | unwahrscheinlich |
| erhöht | erhöht | nicht beurteilbar | nicht beurteilbar |
| erhöht | normal/kein anderer Entzündungsherd bekannt | wahrscheinlich | unwahrscheinlich |
- Als unspezifischer Test kann das CRP bei vielen Entzündungen erhöht sein.
- Nur ein bakterieller Infekt lässt den CRP- Wert ansteigen. Bei einem Virusinfekt ist er negativ/normal.
- Ein normaler CRP-Wert schließt folgerichtig einen bakteriellen Infekt aus.
- Die Höhe des CRP-Wertes ist vergleichbar mit einer BSG.
- Die Höhe macht eine Aussage über die Intensität der Entzündung, bestätigt aber nicht das Vorliegen eines bakteriellen Infektes.
Der CRP-Test erlaubt fünf wichtige Aussagen:
- Negativ = kein bakterieller Infekt
- Erhöht = bakterieller Infekt möglich
- Leicht erhöht = kein schwerer Infekt = kein Antibiotikum
- Stark erhöht = „schwerer“ Infekt?
- Sinkend = Besserung und bei Therapie mit einem Antibiotikum = korrekte Wahl
Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen, die eine Reduktion von Antibiotikaverordnungen mit Hilfe des CRP-Wertes belegen konnten.9,10 Beispiel: Bis vor wenigen Jahren galt die Gabe eines Antibiotikums bei Auftreten einer Exazerbation bei einer COPD als Standard. Inzwischen soll diese Therapie abhängig gemacht werden vom Schweregrad und der Sputumpurulenz. Auch hier lassen sich Antibiotika einsparen, wenn sich die Verordnung am CRP-Wert orientiert.9
Autor: Dr. med. Thomas Hausen
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