Im Rahmen des diesjährigen Kongresses der European Society of Cardiology wurde unter anderem die aktualisierte Leitlinie zum Management des Vorhofflimmerns präsentiert. Die wesentlichen Neuerungen im Überblick
Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Herzrhythmusstörung und betrifft global ca. 60 Millionen Menschen. Jeder dritte bis fünfte Mensch ab dem 45 Lebensjahr erkrankt an VHF. In Anbetracht der demografischen Entwicklung mit zunehmender Alterung der westlichen Bevölkerung ist mit einem weiteren Anstieg der Erkrankungshäufigkeit zu rechnen.
Herzrhythmusstörungen, insbesondere VHF, sind nach der Herzinsuffizienz die zweithäufigste Ursache für Hospitalisierungen in Deutschland. Außerdem erleiden Patienten mit VHF doppelt so häufig einen Schlaganfall und sterben früher. Es ist somit von zentraler Bedeutung, patientenorientierte Behandlungspfade inklusive eines effizienten Screenings zur Früherkennung zu etablieren.
Auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) Ende August in London wurde nach vier Jahren eine aktualisierte Fassung der Leitlinien zum Management von VHF präsentiert.1 Es handelt sich um ein Dokument von ca. 100 Seiten, an dem 26 Autorinnen und Autoren aus Europa beteiligt waren. Der folgende Artikel soll die wesentlichen Botschaften und Neuerungen in Kurzfassung präsentieren.
Multidisziplinäre, patientenzentrierte Versorgung
Als große Überschrift über den 2024 ESC Leitlinien steht das Akronym AF-CARE. Es steht für
Komorbidität und Riskofaktorkontrolle
(Comorbidity),
Thrombembolieprophylaxe (Avoid Stroke),
Reduktion der Symptome (engl. Reduce Symptoms) durch Rhythmus- oder Frequenzkontrolle und
Evaluation der Therapiemaßnahmen in definierten Intervallen.
Kontrolle der Risikofaktoren – C
Es wird deutlich, dass in der aktuellen Version der Leitlinien die Begleiterkrankungen und Risikofaktoren des Patienten in den Fokus rücken. Hierbei wird eine konsequente Blutdruck- und Blutzuckerkontrolle (jeweils Klasse-I-Empfehlung) gefordert. Darüber hinaus soll eine optimierte Herzinsuffizienztherapie insbesondere unter Verwendung von SGL-T-2 Inhibitoren für jegliche Form der Herzinsuffizienz angestrebt werden (Klasse I). Der Patient selber wird ebenfalls in die Pflicht genommen mit dem Hinweis auf eine starke Reduktion des Alkoholkonsums <3 Drinks pro Woche (Klasse I), einer Gewichtsabnahme von mindestens 10 % bei einem BMI >27 (Klasse I) sowie tägliche sportliche Aktivität von mindestens 30 Minuten (Klasse I). Bei morbider Adipositas können ggf. bariatrische Maßnahmen erwogen werden (Klasse IIb). Schließlich ist das obstruktive Schlapnoesyndrom häufig mit dem Auftreten von VHF assoziiert, weshalb eine optimale Behandlung angestrebt werden sollte (Klasse IIb).
Antikoagulation – A
Der Schutz vor thrombembolischen Ereignissen ist und bleibt ein zentraler Bestandteil des Managements von Patienten mit VHF. Hierbei ist zu beachten, dass die individuelle Risikobewertung vereinfacht wurde, indem man das weibliche Geschlecht (Sex category – Sc) als Risikofaktor im Score gestrichen hat. Somit wurde der CHA2DS2-VASc-Score nun in den CHA2DS2-VA-Score umgewandelt. Parallel hierzu gilt, dass geschlechterunabhängig ab einem Score von 2 Punkten eine orale Antikoagulation empfohlen wird (Klasse I), ab einem Score von 1 Punkt eine orale Antikoagulation erwogen werden sollte (Klasse IIa). Bei der Risiko-Nutzen-Abwägung der oralen Antikoagulation im Hinblick auf das individuelle Blutungsrisiko soll auf Scores (z. B. HASBLED) verzichtet werden. Weiterhin gilt, dass eine zusätzliche Gabe von Aggregationshemmern maximal zwölf Monate durchgeführt werden sollte (z. B. nach akutem Koronarsyndrom).
Der chirurgische Verschluss des linken Vorhofohres im Rahmen herzchirurgischer Operationen hat eine deutliche Aufwertung erfahren und wird mit einer Klasse I Empfehlung abgebildet. Hierbei gilt es zu beachten, dass es sich um eine Maßnahme zusätzlich zur fortgesetzten oralen Antikoagulation handelt. Demgegenüber wird der interventionelle Vorhofohrverschluss weiterhin mit einer Klasse-IIb-Empfehlung für Patienten mit stattgehabten Blutungen aufgeführt.
An dieser Stelle wird kritisch angemerkt, dass die Autoren der Leitlinie die Ergebnisse zahlreicher Registerstudien mit mehreren Zehntausenden Patienten nicht berücksichtigen, insbesondere die geringe Rate an schweren peri-interventionellen Komplikationen. Dies führt dazu, dass in einer zentralen Abbildung zum Management schwerer Blutungen unter NOAK-Therapie der interventionelle Vorhofohrverschluss keinerlei Erwähnung findet. Im Hinblick auf zukünftige Versionen der VHF-Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass die Resultate zahlreicher prospektiv randomisierter Studien an insgesamt mehr als 6.000 Patienten in den kommenden Jahren erwartet werden, die den Vorhofohrverschluss im direkten Vergleich mit einer NOAK-Therapie evaluieren.
Reduktion von Symptomen – R
In den neuen ESC-Leitlinien werden weiterhin Frequenz- und Rhythmuskontrolle als mögliche Therapieoptionen genannt. Im Hinblick auf die Rhythmus-erhaltende Therapie hat die Katheterablation als primäre Therapie (engl. first-line) eine deutliche Aufwertung erhalten und wird nun für Patienten mit symptomatischem paroxysmalem VHF mit einer Klasse I A empfohlen. Derselbe Empfehlungsgrad für die Katheterablation gilt weiterhin auch für Patienten, die trotz antiarrhythmischer Therapie symptomatisches VHF haben und für Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter LV-Funktion, deren reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion wahrscheinlich durch das VHF bedingt ist. Auch bei Patienten mit persistierendem VHF kann im Falle des Patientenwunsches eine Erstlinientherapie per Katheterablation durchgeführt werden.
Aus Sicht der Autoren dieses Artikels muss dennoch kritisch hinterfragt werden, warum die Rhythmuskontrolle per se nicht eine noch
deutlichere Aufwertung erfahren hat. Schließlich hatten die Ergebnisse der EAST AF NET 4-Studie einen eindeutigen Vorteil der frühen Rhythmuskontrolle gegenüber der Frequenzkontrolle
im Hinblick auf Schlaganfall, kardiovaskulären Tod und Rehospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder akutem Koronarsyndrom
gezeigt.2
Evaluation der Therapie – E
VHF ist eine chronische Erkrankung, bei der es im Laufe der Jahre zu Veränderungen der klinischen Situation (z. B. Entwicklung einer Herzinsuffizienz) kommen kann, die Therapieänderungen oder -ergänzungen erfordern. Daher wird empfohlen, eine regelmäßige Statuserhebung vorzunehmen und alle Aspekte der VHF-Therapie kritisch zu beleuchten. Hervorgehoben werden dabei der Vorzüge eines multidisziplinären Ansatzes unter Einbeziehung des Kardiologen, der Allgemeinmediziner, Gesundheitspfleger und Apotheker. Hierdurch kann u.a. auf eine optimale Therapieadhärenz hingewirkt oder das Management von Risikofaktoren begleitet werden. Erwähnt wird auch die Möglichkeit des Einsatzes von E-Health, also einer digitalen Erfassung von Gesundheitsdaten wie es z. B. auch die Telemedizin erlaubt. Die Ergebnisse randomisierter Studien, die unterschiedliche Herangehensweisen untersucht haben, sind nicht zu eindeutigen Ergebnissen gekommen. Therapieadhärenz bleibt somit eine der großen Herausforderungen im Management von VHF-Patienten.
Screening auf VHF
Die Früherkennung von VHF hat einen hohen individuellen, aber auch sozioökonomischen Nutzen, da insbesondere Schlaganfälle vermieden werden können. Der technologische Fortschritt hat zahlreiche Technologien hervorgebracht, mit denen vom Laien sowohl singuläre EKGs, Dauer-EKGs als auch nicht-EKG-basierte Erhebungen des Herzrhythmus (z. B. Smartphone-basierte Photoplethysmographie) erfasst werden können. Es ist anzunehmen, dass zukünftig Applikationen unter Verwendung von künstlicher Intelligenz die Sensitivität und vor allem die Spezifität stark verbessern werden. Aktuell darf die Diagnose VHF aber erst dann gestellt werden, wenn ein Arzt die Dokumentation der Episode durch den Laien beurteilt und befundet hat.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlen noch eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass bestimmte Therapiemaßnahmen wie z. B. die Einleitung einer Antikoagulation bei Patienten mit derart erfassten VHF-Episoden Morbidität und Mortalität beeinflussen. Es wird daher empfohlen, statt eines generellen VHF-Screenings in Abhängigkeit von der klinischen Situation zielgerichtet und mit unterschiedlichen Strategien vorzugehen. Bei Patienten mit nach einem Schlaganfall unklarer Genese sollte ein verlängertes Screening erfolgen, z.B. mithilfe eines implantierbaren Ereignisrekorders (Klasse I); bei alten Patienten >65 Jahre mit Risikofaktoren für ein thrombembolisches Ereignis wird eher ein nicht kontinuierliches Erfassen des Herzrhythmus (u.a. auch eigenständiges Pulsmessen) in gewissen Zeitabständen empfohlen (Klasse I).
Aggregat-detektiertes (device detected) VHF
In diesem Zusammenhang sollte auch noch einmal das subklinische bzw. Aggregat-detektierte (engl. device detected) VHF erwähnt werden. Zwei große randomisierte Studien (NOAH AFNET 6 und ARTESIA) hatten den Nutzen einer oralen Antikoagulation bei Patienten mit VHF-Episoden im Aggregatespeicher (ehemals Atrial High Rate Episode -AHRE) untersucht.3,4 Während die
NOAH-Studie vorzeitig gestoppt wurde, da unter Edoxaban-Therapie im Vergleich zu Placebo vermehrt Blutungen auftraten und kein signifikanter Nutzen nachgewiesen werden konnte, konnte in der ARTESIA-Studie ein Nutzen im Sinne einer Reduktion thrombembolischer Ereignisse durch eine Apixaban-Therapie im Vergleich zu ASS belegt werden, allerdings bei ebenfalls erhöhten Blutungskomplikationen.
Zusammenfassend wird empfohlen, die Einleitung einer oralen Antikoagulation auf bestimmte Subgruppen von Patienten mit hohem Schlaganfallrisiko ohne Risikofaktoren für eine Blutung zu beschränken.
Zusammenfassung
Die aktualisierte ESC-Leitlinie 2024 zum Management von Patienten mit VHF stellt eine multidisziplinäre Herangehensweise in das Zentrum und betont die Notwendigkeit zur Behandlung von VHF begünstigenden Risikofaktoren. Zusammengefasst wird das Konzept durch das Akronym AF-CARE.
Die wesentliche praktische Neuerung besteht in der Vereinfachung des Risiko-Scores zur Beurteilung der Notwendigkeit zur oralen Antikoagulation.
Im therapeutischen Bereich wurde die Katheterablation erstmals als Erstlinientherapie für Patienten mit symptomatischem paroxysmalem VHF abgebildet.
Autor: Prof. Dr. med. Boris Schmidt
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