Ophthalmologie » Sonstiges

»

Regenerative Medizin in der Augenheilkunde: In der Klinik angekommen

Regenerative Medizin in der Augenheilkunde: In der Klinik angekommen

Praxiswissen

Ophthalmologie

Sonstiges

mgo medizin

mgo medizin

Autor

6 MIN

Erschienen in: CONCEPT Ophthalmologie

Nach zwei Jahren Pandemie findet der DOG-Kongress vom 29.09.–02.10.2022 wieder in Präsenz in Berlin statt. Auf der Vorab-Pressekonferenz wurden die Schwerpunktthemen des Kongresses vorgestellt: ökologische Nachhaltigkeit und regenerative Medizin. Über deren Fortschritte bei Zelltherapien, Wachstumsfaktoren und Gewebekonstrukten für Augenoberfläche und Hornhaut berichtete Kongresspräsident und Kornea-Experte Prof. Dr. Gerd Geerling.

Ziel der regenerativen Medizin ist es, Krankheiten, insbesondere degenerative, also oft altersbedingte Zustände, mithilfe von Wachstumsfaktoren, körpereigenen oder auch fremden (allogenen) Stammzellen, zellfreien, zellbesiedelten oder rezellularisierten Kunstgeweben zu behandeln, erläuterte Geerling, Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Düsseldorf. Dabei können die Zellen auch aufwendig gentherapeutisch behandelt werden, um etwa Erbgutdefekte dauerhaft zu heilen. Beispiele hierfür sind der Einsatz von im Labor hergestellter, gentherapeutisch behandelter künstlicher Haut oder die Anfang des Jahres erste, wenn auch nur relativ kurz „erfolgreiche“ Xenotransplantation eines zehnfach genetisch modifizierten Schweineherzens am Menschen. In der Augenheilkunde gibt es bereits mehrere zugelassene biotechnologisch hergestellte Produkte, die in Deutschland und Europa bei Erkrankungen der Augenlider, der Bindehaut, der Hornhaut oder auch der Netzhaut als Augentropfen oder auch als Transplantate zum Einsatz kommen.

Erkrankungen der Hornhaut

Verschiedene Erkrankungen können die Strukturen der Hornhaut nachhaltig schädigen und zu einem schweren Schaden bis hin zur hornhautbedingten Erblindung führen. Beispiele sind Herpes-Infektion, Diabetes oder zentralnervöse neurodegenerative Erkrankungen, die zur neurotrophen Keratopathie führen, oder schwere Verletzungen und Entzündungserkrankungen (Sjögren-Syndrom, Stevens-Johnson-Syndrom, okuläres Pemphigoid u.a.), die zu einer Limbusinsuffizienz führen. Eine herabgesetzte Hornhautempfindsamkeit, Unruhe oder Defekt (Erosion) des Epithels und das Einwachsen von Gefäßen in die sonst gefäßfreie Hornhaut sind die entsprechenden klinischen Zeichen der Erkrankung. Einfache Benetzungsmittel, Tropfen aus Eigenblut, Kontaktlinsen, aber auch schützende Lidoperationen können den Befund stabilisieren. Eine Visusrehabilitation, zum Beispiel in Form einer Hornhauttransplantation, ist aber in der Regel zum Scheitern verurteilt, da die Augenoberflächenerkrankung rezidiviert. Ein weiteres Anwendungsgebiet für bioartifizielles Gewebe stellt der Keratokonus dar, der insbesondere jüngere Menschen betrifft. Dabei kommt es über in der Regel mehrere Jahre zu einer progredienten Ausdünnung des Hornhautstromas, die durch eine unregelmäßige Hornhautverkrümmung zu einem zunehmenden Sehverlust führt.

Bereits heute werden neurotrophe Wachstumsfaktoren, azelluläre Gewebematrizes oder Stammzellen einzeln oder in Kombination zur Regeneration des Auges eingesetzt.

Wachstumsfaktoren

Seit einigen Jahren gibt es ein in Europa zugelassenes Präparat auf der Basis eines rekombinanten humanen Nervenwachstumsfaktors (rhNGF). Es enthält eine deutlich höhere Konzentration an NGF (20 μg/ml) als Eigenserum (468 pg/ml). In den Zulassungsstudien heilten Defekte des Hornhautepithels unter diesem Medikament signifikant häufiger ab als unter der Anwendung eines Tränenersatzmittels. Nach achtwöchiger Therapie konnte bei 72 Prozent der Patienten ein kompletter Epithelschluss erreicht werden (Kontrollen nur 33 Prozent). Das Präparat kann aktuell nur aus dem europäischen Ausland für einen hohen fünfstelligen Betrag bezogen werden. Allerdings gibt es laufende Phase-III-Studien zu neuen neuromimetischen Molekülen, die die Behandlungsmöglichkeiten für die neurotrophe Keratopathie erweitern werden.

Dezellularisierte oder azelluläre bioartifizielle Gewebe

Porcines Gewebe steht in großen Mengen als Abfallprodukt zur Verfügung und kann nach genehmigten Verfahren zellfrei gemacht werden. Damit werden die Angriffspunkte einer Abstoßungsreaktion aus dem Gewebe entfernt, so dass es im Empfängerauge entzündungsfrei einheilen kann. Mittels Mikrokeratom kann eine solche zellfreie Schweinehornhaut zu einem Stroma-Ersatz zurechtgeschnitten und laserunterstützt in eine Tasche der menschlichen Hornhaut implantiert werden. Dadurch kann die Ausdünnung eines Keratokonus korrigiert und der Astigmatismus regularisiert werden. Ein entsprechendes Implantat ist bereits nach seiner Zulassung in Deutschland im Einsatz.

Für die gleiche Anwendung haben schwedische „Gewebeingenieure“ ein weiteres zellfreies Ersatzgewebe für das Hornhautstroma auf der Basis für orthopädische Anwendungen zugelassener Kollagen-Lösungen entwickelt. Dieses Gewebe wird mittels chemischer und fotochemischer Behandlung zusätzlich verfestigt. Es wurde bereits bei 20 Patienten mit Keratokonus in Indien und im Irak implantiert. In allen Fällen wurde eine Stabilisierung der verdünnten Hornhaut und eine deutliche Sehverbesserung über zwei Jahre erzielt. Dies ist eine gute Nachricht, besonders für sich entwickelnde Länder mit einem weniger gut ausgebauten Netz an Hornhautbanken als Deutschland.

Bioartifizielle zellularisierte Gewebe (azelluläre Träger mit autologen Stammzellen)

Bei Verlust der limbalen Selbsterneuerung kann die Transplantation von kultivierten Limbusepithelzellen auf einem Träger zur Regeneration der Hornhautoberfläche eingesetzt werden. Die erforderlichen Zellen werden vom gesunden Partnerauge entnommen und im Labor auf Amnionmembran oder Fibringel expandiert. Seit der Einführung wurde das Verfahren mit Nachbeobachtungszeiträumen von bis zu zehn Jahren bei nahezu 600 Patienten eingesetzt. Trotz zahlreicher Unterschiede zwischen den Studien lag die Gesamterfolgsrate dieses Verfahrens (definiert als vollständig geschlossene, avaskuläre Hornhautoberfläche) bei etwa 70 Prozent. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass der klinische Erfolg vom Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl von Stammzellen im Transplantat abhängt. Es gibt Marker, die zur Qualitätskontrolle bei der Herstellung für klinisch zugelassene Stammzellprodukte verwendet werden. Trotz der hohen Behandlungskosten von mehr als 100.000 Euro empfiehlt auch z.B. das britische „National Institute for Health and Care Excellence“ (NICE) die Anwendung eines solchen zugelassenen Produktes.

Für Patienten mit einer Schädigung beider Augen müssen alternative Zellquellen genutzt werden. Hier werden bislang Stammzellen aus anderen Körperregionen, etwa Haarfollikel, Mundschleimhaut, mesenchymale Stromazellen oder induzierte pluripotente Stammzellen (ursprünglich z.B. Haut-Fibroblasten) in klinischen Anwendungen eingesetzt, sind aber noch nicht kommerziell erhältlich.

Im Rahmen der DOG-Tagung 2022 beleuchten zwei Keynote-Vorlesungen und mehrere Symposien das Thema. Prof. Robert McLaren, Oxford, der die weltweit erste Gentherapie an der menschlichen Netzhaut durchführte, und Prof. Paolo Rama, Mailand, der an der Etablierung der ersten kommerziell erhältlichen Stammzelltherapie und Behandlung von Hornhautoberflächenerkrankungen mittels Nervenwachstumsfaktor beteiligt war, werden sprechen. Beide sollen auch über ethisch relevante Fragen dieser Therapieansätze wie z.B.  die oft sehr hohen Kosten für die Solidargemeinschaft reden.

Literaturauswahl:

1.         Witt, J., Møller-Hansen, M., Borrelli, M., et al. Jenseits von Ästhetik – Regenerative Medizin bei schweren Erkrankungen der okulären Adnexe. Ophthalmologie (2022). https://doi.org/10.1007/s00347-022-01643-1

2.         Spaniol, K., Borrelli, M., Menzel-Severing, J., et al. Bindehautrekonstruktion – Status quo regenerativer Therapieformen jenseits des Limbus. Ophthalmologie (2022). https://doi.org/10.1007/s00347-022-01673-9

3.         Menzel-Severing, J., Spaniol, K., Groeber-Becker, F., et al. Regenerative Medizin für das Hornhautepithel. Ophthalmologie (2022). https://doi.org/10.1007/s00347-022-01674-8

Quelle: Vorab-Online-Pressekonferenz zur DOG 2022 am 22.09.2022

Bildquelle: © Anar Mammadov – stock.adobe.com

Schlagworte zu diesem Beitrag

Ein Beitrag von

mgo medizin

mgo medizin

Autor

Autor des Beitrags

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Team im OP bei Operation

Mikrochip-Implantat verbessert Sehvermögen bei AMD

News

Mit Hilfe eines implantierbaren Mikrochips konnte bei Patienten mit geographischer Atrophie – einer schweren Spätform der AMD – erstmals das zentrale Sehvermögen teilweise wiederhergestellt werden.

Ophthalmologie

Hinterer Augenabschnitt

Beitrag lesen
Logo Fielmann Akademie Schloss Plön

Internationale Expertenrunde zum Keratokonus

Kongressberichte

Das 67. Fielmann Akademie Kolloquium diskutierte gemeinsam mit der European Academy of Optometry and Optics (EAOO) den State-of-the-art der Keratokonus-Behandlung.

Ophthalmologie

Vorderer Augenabschnitt

Beitrag lesen
Sehtest am Gerät mit einer Optikerin und einer Kundin.

Augenoptiker-Verband ZVA fordert Reform der Sehhilfenversorgung

Berufspolitik

Der ZVA plädiert für eine transparente Lösung: Den gesetzlich Versicherten soll künftig eine auskömmliche Pauschale in Form eines Festzuschusses für die Anschaffung einer Sehhilfe gewährt werden.

Ophthalmologie

Sonstiges

Beitrag lesen