Wie lässt sich dieser Unterschied im internationalen Vergleich erklären? „Deutschland ist im Hinblick auf die Schlaganfallversorgung Vorreiter. Bereits 1995 wurde eine Zertifizierung von Stroke Units eingeführt, welche die Strukturvoraussetzungen, aber auch die Qualitätskriterien für die Schlaganfallbehandlung definiert. Die Zertifizierungskriterien werden regelmäßig aktualisiert, so dass alle Betroffenen nach höchstem Standard behandelt werden. Die Therapiealgorithmen orientieren sich an objektivierbaren medizinischen Kriterien; Faktoren wie Geschlecht oder Ethnie spielen keine Rolle“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Derzeit gibt es ein Netz von fast 350 neurologischen Stroke Units in Deutschland – und fast überall können Patientinnen und Patienten binnen 30 Minuten in eine solche, auf Schlaganfälle spezialisierte Klinik eingeliefert werden.
Ende Februar 2025 wurde in „Neurological Research and Practice“, dem internationalen Open-Access-Journal der DGN, eine Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 2017 bis 2022 publiziert [1]. Untersucht wurde nicht nur, wie häufig die Behandlung auf einer Stroke Unit erfolgte, sondern auch die Raten von intravenöser Thrombolyse und mechanischer Thrombektomie, die Sterblichkeit im Krankenhaus und die Prävalenz von Vorhofflimmern.In der Studie wurden Daten von mehr als 1,3 Millionen Schlaganfallpatientinnen und -patienten ausgewertet; 47 % der Betroffenen waren weiblich. Die Patientinnen waren älter und deutlich häufiger ≥ 80 Jahre alt (50,3 % gegenüber 29,4 %). Die Thrombolyse-Raten waren bei beiden Geschlechtern vergleichbar (16,3 %), bei den Frauen jedoch etwas höher, wenn man sie um das Alter bereinigte. Die Thrombektomie-Raten (8,2 % gegenüber 6,3 %) waren bei Frauen in allen Altersgruppen durchweg höher. Bei weiblichen Patienten war die Sterblichkeitsrate innerhalb des Krankenhauses höher (9,1 % gegenüber 6,2 %). Die Aufnahme auf Stroke Units (73,6 % gegenüber 76,0 %) war etwas seltener, die Einweisungsraten auf eine Intensivstation hingegen ähnlich (10,6 % gegenüber 10,5 %). Vorhofflimmern, ein Surrogat für (schwerere) Schlaganfälle, wurde bei Frauen häufiger nachgewiesen (32,6 % gegenüber 25,4 %).
Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass Frauen in Deutschland einen ebenso guten Zugang zu Thrombektomie und Thrombolyse haben wie Männer. Die sogar höheren Thrombektomie-Raten erklären sie damit, dass Frauen offensichtlich häufiger schwere kardioembolische Schlaganfälle mit Verschlüssen großer Hirngefäße erlitten. Darauf deute die höhere Inzidenz von Vorhofflimmern bei Frauen hin. Die höhere Krankenhaussterblichkeit von Frauen ist nach Ansicht des Autorenteams auf die Art und Schwere der Schlaganfälle zurückzuführen. Frauen wurden weniger häufig in Stroke Units behandelt und häufiger direkt in Frührehabilitationszentren eingeliefert, was im Zusammenhang mit der Erkrankungsschwere und dem höheren Alter der Patientinnen stehen dürfte.
Der DGN-Generalsekretär zieht folgendes Fazit aus der aktuellen Erhebung: „Die aktuelle Studie belegt, dass es in Deutschland keine Benachteiligung von Frauen gibt, wenn es um den Zugang zur akuten Schlaganfalltherapie geht. Allerdings müssen wir das höhere Risiko von embolischen Großgefäßverschlüssen bei Vorhofflimmern bei Frauen adressieren.“
Denn der Schlaganfall-Risikofaktor Vorhofflimmern tritt bei Frauen [6] häufiger als bei Männern auf. Entscheidend für eine effektive Schlaganfallprophylaxe sei daher die frühzeitige Diagnose der absoluten Arrhythmie bei Vorhofflimmern, welche bei Frauen aber oft später erfolgt als bei Männern [7]. Da Betroffene selbst diese Herzrhythmusstörung meist nicht bemerken, seien mit zunehmendem Lebensalter regelmäßige EKG-Kontrollen in der Hausarztpraxis wichtig. Denn: Wenn Vorhofflimmern festgestellt wird, lässt sich durch eine Blutverdünnung mit Antikoagulanzien die Gerinnselbildung im Herzen und damit das Auftreten von embolischen Schlaganfällen effektiv verhindern.
Zur Originalstudie kommen Sie hier.
Zitierte Literatur:
[1] Ungerer MN, Bartig D, Tunkl C, Richter D, Katsanos A, Krogias C, Hacke W, Gumbinger C. No disadvantages for women in acute stroke care in Germany: an analysis of access to stroke treatment services in Germany from 2017 to 2022. Neurol Res Pract. 2025 Feb 20;7(1):8. doi: 10.1186/s42466-025-00365-4. PMID: 39972395; PMCID: PMC11840989.
[2] Prendes CF, Rantner B, Hamwi T, Stana J, Feigin VL, Stavroulakis K, Tsilimparis N; GBD Collaborators Study Group. Burden of Stroke in Europe: An Analysis of the Global Burden of Disease Study Findings From 2010 to 2019. Stroke. 2024 Feb;55(2):432-442. doi: 10.1161/STROKEAHA.122.042022. Epub 2024 Jan 22. PMID: 38252754.
[3] Reeves MJ, Bushnell CD, Howard G, Gargano JW, Duncan PW, Lynch G, Khatiwoda A, Lisabeth L. Sex differences in stroke: epidemiology, clinical presentation, medical care, and outcomes. Lancet Neurol. 2008 Oct;7(10):915-26. doi: 10.1016/S1474-4422(08)70193-5. Epub 2008 Aug 21. PMID: 18722812; PMCID: PMC2665267.
[4] Mainz J, Andersen G, Valentin JB, Gude MF, Johnsen SP. Disentangling Sex Differences in Use of Reperfusion Therapy in Patients With Acute Ischemic Stroke. Stroke. 2020 Aug;51(8):2332-2338. doi: 10.1161/STROKEAHA.119.028589. Epub 2020 Jul 9. PMID: 32640943.
[5] Bonkhoff AK, Karch A, Weber R, Wellmann J, Berger K. Female Stroke: Sex Differences in Acute Treatment and Early Outcomes of Acute Ischemic Stroke. Stroke. 2021 Jan;52(2):406-415. doi: 10.1161/STROKEAHA.120.032850. Epub 2021 Jan 25. PMID: 33493053.
[6] Siddiqi HK, Vinayagamoorthy M, Gencer B, Ng C, Pester J, Cook NR, Lee IM, Buring J, Manson JE, Albert CM. Sex Differences in Atrial Fibrillation Risk: The VITAL Rhythm Study. JAMA Cardiol. 2022 Oct 1;7(10):1027-1035. doi: 10.1001/jamacardio.2022.2825. Erratum in: JAMA Cardiol. 2022 Oct 1;7(10):1082. doi: 10.1001/jamacardio.2022.3720. PMID: 36044209; PMCID: PMC9434484.
[7] Wilson RE, Rush KL, Reid RC, Laberge CG. Gender and the Symptom Experience before an Atrial Fibrillation Diagnosis. West J Nurs Res. 2021 Dec;43(12):1093-1104. doi: 10.1177/0193945921999448. Epub 2021 Mar 12. PMID: 33709830; PMCID: PMC8559171.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
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