An der Studie, die in enger Kooperation mit der Klinik für Neurologie der Charité entstand, nahmen 179 Frauen zwischen 30 und 60 Jahren teil. Da Frauen ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen haben, legten die Forschenden den Fokus ihrer Forschungsarbeit auf diese Hochrisikogruppe. „Zunächst haben wir klinische Interviews durchgeführt, um das Ausmaß stressreicher und hochbelastender Erfahrungen in der Kindheit – noch vor Einsetzen der Pubertät – zu erfassen“, sagt Lara Fleck, Doktorandin am Institut für Medizinische Psychologie der Charité und Erstautorin der Arbeit. „Außerdem haben wir Blutproben der Studienteilnehmerinnen mithilfe von Hochpräzisionstechnologien auf Biomarker untersucht, die spezifische Entzündungsprozesse und das Absterben von Nervenzellen anzeigen.“
Mithilfe statistischer Modelle haben die Forschenden die erhobenen Daten ausgewertet. Sozioökonomische Faktoren sowie das Vorliegen psychischer Probleme wie etwa Depressionen, die beim Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle spielen können, haben die Forschenden herausgerechnet, sodass die zu untersuchenden Zusammenhänge nicht beeinflusst oder verfälscht wurden.
Frühe Stresserfahrungen begünstigen verstärkte Hirnalterung
Die Ergebnisse waren auf allen drei Untersuchungsebenen eindeutig: Frauen, die in ihrer Kindheit in hohem Maße Stress oder Trauma erlebten, wiesen im Blut vermehrt Biomarker für Entzündungen und Neurodegeneration auf, hatten ein geringeres Hirnvolumen und mehr kognitive Probleme. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen frühen psychosozialen oder sozio-emotionalen Stresserfahrungen und verstärkter Hirnalterung bei Frauen. Frühe belastende Lebenserfahrungen scheinen also tatsächlich das Risiko für die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen zu erhöhen“, schließt Prof. Heim. „In weiterführenden Untersuchungen müssen nun die dahinterstehenden Mechanismen aufgeklärt werden, damit künftig die Pfade der Krankheitsentstehung mit geeigneten Therapien frühzeitig und gezielt unterbrochen werden können.“
„Insbesondere vor dem Hintergrund, dass neurodegenerative Erkrankungen wie zum Beispiel die Alzheimer-Erkrankung deutlich zunehmen, müssen wir besser verstehen lernen, welche Risikofaktoren beim Entstehen eine Rolle spielen“, sagt Prof. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie der Charité. „Unsere Erkenntnisse werfen Licht auf bislang unerkannte, aber umso wichtigere Zusammenhänge.“
Doch nicht jede oder jeder Betroffene wird nach kindlichem Trauma eine Demenz entwickeln. Viele Menschen besitzen ein hohes Maß an Resilienz, also Widerstandskraft, mit der sie schwere Lebenskrisen überstehen, ohne größeren Schaden zu nehmen. Wie Resilienz nach frühen belastenden Erfahrungen in der Kindheit gezielt gefördert werden kann, ist eine wichtige Frage für weiterführende Studien, so die Forschenden.
Dass Frauen deutlich häufiger an Demenz erkranken als Männer, ist einer der Gründe, warum die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der aktuellen Studie zunächst nur Frauen in den Fokus nahmen. In künftigen Untersuchungen will das Team um Prof. Heim untersuchen, ob bei Männern ähnliche Zusammenhänge zu beobachten sind. „Die jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisse beziehen sich zwar ausschließlich auf Frauen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sie lassen aber nicht den Schluss zu, dass Frauen mit frühen belastenden Lebenserfahrungen stärker gefährdet wären als Männer.“
Ansprechpartnerin: Prof. Christine Heim, Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie
Quelle: Pressemitteilung der Charité Universitätsmedizin Berlin
Originalstudie: Fleck L et al. Early-Life Adversity Predicts Markers of Aging-Related Neuroinflammation, Neurodegeneration, and Cognitive Impairment in Women. Annals of Neurology 2025
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