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Die Kunsttherapie als Mittel der Prävention und Reflexion. Ein Erfahrungsbericht

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9 MIN

Erschienen in: neuro aktuell

Antoaneta Slavova ist psychoanalytische Kunsttherapeutin mit langjähriger Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit Gewalterfahrungen. In diesem Bericht schreibt sie von der Kraft des künstlerischen Ausdrucks und der von ihr entwickelten bildAset-Methode, die Menschen dabei helfen kann, ihre Erfahrungen ganzheitlich und nachhaltig zu verarbeiten.

Probieren Sie Folgendes aus: Besuchen Sie ein Museum oder eine Galerie. Machen Sie aber bitte keine Führung. Gehen Sie zu einer Zeit, wenn nicht so viele Leute da sind und gehen Sie alleine. Falls Sie noch nie einen Museumsbesuch unternommen haben, ist es noch besser: Die Zeit ist jetzt gekommen.
Bitte nehmen Sie etwas Papier und Stift mit. Versuchen Sie, ein Bild, ein Objekt oder eine Skulptur etwas langsamer zu betrachten. Was sehen Sie? Versuchen Sie, das Bild nur durch Ihre Intuition wahrzunehmen. Versuchen Sie, es durch Farben und Symbole für sich zu deuten. Dabei schulen Sie Ihre Intuition. Und die ist ein wahrer Schatz! Wenn Sie dazu noch ein paar Impulse bekommen, eine Geschichte darüber zu verfassen, ist es perfekt. Nun malen Sie ein Antwort- bzw. Resonanzbild. Das, was Sie sehen und empfinden: Spontan und intuitiv. Es soll nur weniger als fünf Minuten dauern, ohne viel nachzudenken. Sie dürfen dabei sogar die Augen schließen. Machen Sie sich keine Gedanken über die Anderen im Saal. Trauen Sie sich! Spüren Sie!

Abb.2

Sie können zuhause weitermachen. Sie dürfen sich täglich weniger als fünf Minuten Zeit nehmen, eigentlich genau so viel Zeit wie für das Zähneputzen. Wir alle schaffen das!
Sie dürfen weitere Antwortbilder auf ihr schon im Museum entstandenes Bild malen. Seien Sie neugierig auf das, was entsteht. Also, spontan und intuitiv. Beim Malen ist Nachdenken kontraproduktiv.
Irgendwann dürfen Sie sich auch über das Bild bzw. den Künstler oder die Künstlerin informieren, wenn Sie möchten.
Auf spielerische Art und Weise können Sie präventiv etwas für Ihre emotionale und seelische Gesundheit schaffen. Gratuliere!

Mein Name ist Antoaneta Slavova. Ich bin eine psychoanalytische Kunsttherapeutin, leidenschaftlich dabei, meine Erfahrung und mein Wissen weiterzugeben.
Ich leide, wenn ich dabei bin, einen Weg zur Verbreitung der Kunsttherapie zu schaffen. Das Gute daran ist, dass ich mit der Zeit und der Erfahrung eine gesunde Selbstreflexion entwickelt habe, um die Grenzen zu erkennen: Wann Leid, Angst und Schmerz uns dazu bringen, Mut und Kraft zu erwecken, um weiter in unseren Veränderungsprozess zu gehen und wann es schon pathologisch wird.

Antoaneta Slavova

Wie? Bevor ich dazu komme, erzähle ich Ihnen noch etwas über die Kunsttherapie und wie sie mich täglich als Therapeutin und Frau begleitet.
Seit 2007 arbeite ich mit Frauen und Mädchen, die extreme Gewalt erlebt haben. Bis zum Jahr 2019 war meine Arbeit noch intensiver, da ich die Frauenberatungsstelle geleitet habe. Das hat eine prägende Wirkung.

Die Kunsttherapie kann stabilisierend wirken und dann mit der Zeit tiefer in uns die Dunkelheit erkunden.
Durch das gemalte Bild bleiben das Gesagte, der Schmerz und das Leiden des Menschen auf dem Blatt Papier. Das ist ein Stück Ablösung für die Menschen, mit denen ich arbeite, und auch für mich selbst. Die Wirkung entfaltet sich gleichzeitig. Die Kunsttherapie verfügt über die Fähigkeit, uns etwas als Therapeuten und Therapeutinnen zurückzugeben.
Selbstverständlich nur, wenn man sich damit beschäftigt. Besonders als Therapeut und Therapeutin, denn die Selbstreflexion unserer Lebensgeschichte überträgt sich unbewusst im Setting.
Ich liebe es, die Menschheit und natürlich auch mich selbst zu beobachten. Wenn wir als Therapeutinnen und Therapeuten einen guten Beobachtungssinn haben, ist die Auffassung eines Menschen, dem wir gegenüberstehen, leichter zu verstehen.
Viele Frauen, die ich in den letzten Jahren begleitet habe, leiden unter den Folgen von Gewalt: Trauma, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen. Es erfordert viel Geduld und Zeit, um den neuen Weg zu finden und die vielen wertvollen Ressourcen in einem Menschen wiederzuerwecken. Die Frauen haben die Freiheit, die entstehenden Bilder gleich zu verändern. Durch das Malen von Resonanzbildern, das Zerkleinern des Bildes sowie die Erstellung von Collagen. Das ist ein Beispiel, wie man das Gefühl sofort ändern kann. Nicht nur das Gesagte bleibt bestehen. Manchmal ist es unmöglich, darüber zu sprechen. Das Unbewusste zeigt uns bereits eine Menge auf Papier. Großartig!

Für mich ist Kunsttherapie nicht nur ein wertvolles therapeutisches Verfahren, sondern auch ein Werkzeug, um das Visuelle zu erschaffen, was die Sprache nicht kann. Denn die Sprache ist begrenzt. Das Bild nicht.
Über die Jahre habe ich mich mit dem Phänomen Übertragung und Gegenübertragung in einem therapeutischen Setting befasst und vor allem, was uns die Kunsttherapie dazu sagen bzw. zeigen kann. Inzwischen nenne ich es Übertragungsgeschehen. Seit 2017 entwickele ich die bildASet-Methode.

Die bildASet-Methode
Wie habe ich angefangen, Übertragung zu verstehen und damit kunsttherapeutisch zu arbeiten? Durch die Verhaltenswissenschaft und die Ethnopsychoanalyse, meine Identität als Frau mit Migrationsgeschichte und durch die Reflexion meiner eigenen Lebensgeschichte. Später, nachdem ich mit meinen Bildern zu arbeiten begonnen habe, las ich die Schriften der Autoren Alfred Lorenzer, Aloys Leber, Hans-Georg Trescher und Texte über die psychoanalytische Pädagogik. Diese Autoren haben die Sprache als wichtige Bedeutung für Übertragungen verwendet. Ich tue das mit der Kunst, unbewusst, durch die Entstehung der inneren Bilder auf Papier.
Als ich eines Tages die Bilder aus meiner Einzel- und Gruppenselbsterfahrung während der Ausbildung zur Kunsttherapeutin betrachtete, fragte ich mich: Wie wäre es, wenn ich meine eigenen Bilder im kunsttherapeutischen Kontext mit Klient*innen einsetzen könnte? Wie sieht die Übertragung aus?
Seit der Psychoanalyse sind die Begriffe Übertragung und Gegenübertragung bekannt und werden von verschiedenen psychodynamischen Institutionen kontrovers diskutiert. Die bildASet-Methode beruht auf der Grundlage der Ethnopsychoanalyse und ihrer Erklärung von Übertragung. Die Kultur und die gesellschaftlichen Ereignisse können die Entwicklung beeinflussen. Der Mensch ist ein Spiegelbild seiner Umgebung.

Im therapeutischen Kontext spielt die Beziehungsarbeit eine zentrale Rolle, vor allem die Reflexion über die eigene Lebensgeschichte, die sich unbewusst darin manifestiert.
Bisher versuchte man, die Übertragung sprachlich und schriftlich zu erklären, entweder durch Fallbeispiele aus therapeutischen Sitzungen oder durch Beobachtung in der Ethnopsychoanalyse. Das therapeutische Verfahren Kunsttherapie, das nonverbal und gestalterisch vorgeht, könnte zeigen, dass dieses Phänomen durch das Bild deutlich zu sehen ist.


Abb. 3


Abb. 4

Die bildASet-Methode ermöglicht es, die Übertragung visuell zu erfassen. Durch den Austausch von Bildern der Kunsttherapeutin oder des Kunsttherapeuten und der Antwortbilder der Klientinnen und Klienten entsteht ein Übertragungsgeschehen. Nicht nur das Gespräch als Vermittlung wird hier wichtig, sondern die unbewusste Kommunikation zwischen den gemalten Bildern von Therapeutin und Klientin. Die Bilder sind ein Speicher für Erfahrungen, Werte und Emotionen. Es sind Ressourcen. Diese werden unbewusst über den Austausch von Bildern der Therapeutin oder des Therapeuten und Antwortbildern übertragen. Die Kunsttherapeutin verwendet selbst gemalte Bilder als Kartenset (▶ Abb. 1 und 2). Der Klient oder die Klientin arbeitet mit den Bildern der Kunsttherapeutin oder -therapeuten. Er oder sie zieht eine Karte aus dem bildASet und malt darauf ein Antwortbild. Durch die Antwortbilder der Klientin oder des Klienten erzeugt sich eine Übertragung: Die Themen hinter den inneren Bildern wiederholen sich. Wie kann die Übertragung in der Therapie unterstützend wirken, wenn man sie bewusst einsetzt? Was macht das mit uns, wenn wir als (Kunst)Therapeuten oder Therapeutinnen mit unseren eigenen Bildern arbeiten? Was und wie viel zeige ich von mir? Die Methode ermöglicht sowohl den Therapeutinnen als auch den Klientinnen, sich selbst zu erfahren und zu reflektieren. Die bildASet-Methode ist als Präventionsmaßnahme zur Erhaltung der emotionalen und seelischen Gesundheit geeignet. Die Teilnehmerinnen malen bei mir durchschnittlich 10 Minuten lang ein Bild. Ich gebe noch einige Minuten Zeit, um Gefühle, Emotionen und Sätze zu schreiben, die gerade mit dem Bild in Verbindung stehen.

Rückmeldung einer Klientin: „Wenn ich ein Antwortbild male, dann male ich das, was ich gerne möchte und gerade spüre und nicht das, was ich muss. Das ist meine Empfindung. Bei einer definierten Malübung entsteht bei mir Druck. Ich muss genau das malen, wie die Übung es vorsieht, und dann male ich eher das, was ich schon kenne. Ich habe dann zu viel in meinem Kopf. Wenn ich jedoch ein Antwortbild male, stellt es eine Herausforderung für mich dar. Gleichzeitig erlebe ich ein Gefühl der Erleichterung und Sicherheit. Ich kann und darf mich frei ausdrücken. Das Malen eines Antwortbildes hat mich dazu bewogen, etwas zu probieren, was ich bisher noch nicht gemalt habe, zum Beispiel einen nackten weiblichen Körper. Die Geschichte hinter dem Bild der Therapeutin hat mich auf folgende Gedanken gebracht: Es tut mir gut zu wissen, dass wir alle eins sind. Wir sind uns in vielerlei Hinsicht ähnlich. Für mich ist das eine Erleichterung.“

Die eigenen Bilder der Klientinnen und Klienten werden abfotografiert und als ihr Kartenset entwickelt. Dieses nutzen sie, um weiterhin im Veränderungsprozess zu bleiben. Außerdem wecken sie spielerisch einen Teil des inneren Kindes auf und leben es aus. Das geschieht dann außerhalb des therapeutischen Settings. Erstens ermöglichen die Bildimpulse der Therapeutin eine schnellere und auch intensivere Bearbeitung von den bewussten und unbewussten Prozessen der Klientin oder des Klienten. Zweitens lässt sich mit Hilfe der bereits gestalteten Karten auf weitere Themen eingehen und diese durch den künstlerischen Ausdruck bearbeiten. Die Wahrnehmung und schöpferische Bearbeitung der eigenen Prozesse ist sowohl für die Psychohygiene als auch für die eigene Resilienz von Bedeutung.


Abb. 5

Im Allgemeinen kann die Kunsttherapie zur Vorbeugung von psychischen Erkrankungen beitragen. Die Selbsterfahrung von Psychotherapeut*innen und allen Menschen, die in sozialen Bereichen arbeiten, ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstreflexion und der Übertragung dieser auf die Therapie.

Korrespondenzadresse:
Antoaneta Slavova
Sozialpsychologin und Soziologin M.A.
Psychoanalytische Kunsttherapeutin
DFKGT, WFKT
Psychotherapeutin (HPP-Zulassung)
www.bildaset-institut.com

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