Urologie » Urogenitale Tumoren » Urothelkarzinom und Harnblasenkarzinom

»

Update Systemtherapie Urothelkarzinom – Revolution in der Erstlinie

Abb. 2: Möglicher Algorithmus.

Update Systemtherapie Urothelkarzinom – Revolution in der Erstlinie

Fachartikel

Urologie

Urogenitale Tumoren

Urothelkarzinom und Harnblasenkarzinom

mgo medizin

mgo medizin

Autor

7 MIN

Erschienen in: UroForum

Frederik Wessels

Die Systemtherapie beim fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom wird eine Revolution erfahren. Die Kombination aus Enfortumab Vedotin und Pembrolizumab hat das Potenzial eine „One-fits-all“ Kombination in der Erstlinie zu werden. Die Komplexität der Therapieauswahl verschiebt sich hierdurch Richtung Zweitlinie und individueller Therapiesequenz. Auch die Rolle neuer Substanzen wie Erdafitinib und Sacituzumab Govitecan gilt es zu finden.

Die (Cis)platin-haltige Chemotherapie stellt seit Jahrzehnten den Standard der Erstlinien-Therapie beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom dar [1, 2]. Auch in der (Neo-)Adjuvanz ist sie die Therapie der ersten Wahl und fester Bestandteil aktueller Leitlinien. Pembrolizumab und Atezolizumab sind die etablierten die Immuncheckpointinhibitoren (ICI) in der Zweitlinie nach Platin-haltiger Chemotherapie [3, 4]. Eine Überlegenheit der Immuntherapie in der Erstlinie gegenüber der Chemotherapie konnte jedoch nicht nachgewiesen werden [5, 6], sodass sie nur als Erstlinien-Alternative bei Kontraindikationen für eine Cisplatin-haltige Chemotherapie eingesetzt werden. Die EMA beschränkt zudem die Zulassung für die Erstlinie auf Patienten mit positivem PD-L1-Status.

Mit Avelumab wurde 2021 erstmals eine Erhaltungstherapie nach Platin-haltiger Chemotherapie zugelassen, basierend auf der ­JAVELIN-Bladder-100-Studie [7]. Dies stellt den heutigen Therapiestandard für Platin-fitte Patienten in der Erstlinie dar, wenn unter Chemotherapie zumindest eine stable disease erreicht werden kann, bei Progress erfolgt die Umstellung auf die bereits genannte ICI.

In der Drittlinie hat sich mit Enfortumab-Vedotin (EV) im Jahr 2022 erstmals ein Antikörper-Drug-Konjugat in der etabliert. Enfortumab agiert als Antikörper gegen Nectin-4, welches regelhaft auf der Oberfläche von Urothelkarzinomzellen exprimiert wird. Vedotin, das Konjugat mit dem Zellgift Monomethyl Auristatin E, wird nach Bindung von Enfortumab an Nectin-4 internalisiert und freigesetzt. Der Mikrotubuli-Hemmstoff unterbricht den Zellzyklus und induziert somit den Zelluntergang. In der EV-301-Studie konnte durch EV nach Platin- und ICI-Vortherapie eine Verlängerung des Gesamtüberlebens (Hazard Ratio [HR] 0,70, 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,56–0,89) gegenüber der Standard-Drittlinien-Chemotherapie nachgewiesen werden [8]. Ein beispielhafter aktueller Therapiealgorithmus ist in ­▶ Abbildung 1 dargestellt.

hmus.
Abb. 1: Beispielhafter Therapiealgorithmus.

CheckMate 901

In der CheckMate-901-Studie wurden Patienten in der Erstlinie mit bis zu 6 Zyklen Gemcitabin / Cisplatin und Nivolumab 360 mg alle 3 Wochen sowie anschließender Erhaltungstherapie mit Nivolumab 480 mg alle 4 Wochen über 2 Jahre gegen die alleinige Cisplatin-haltige Chemotherapie untersucht [9]. Hier konnte eine Verlängerung des Gesamtüberlebens mit einer HR von 0,78 (95%-KI 0,63–0,96) gezeigt werden. Der positive Effekt konnte dabei weitestgehend unabhängig vom PD-L1-Status erzielt werden.

In Anbetracht der JAVELIN-Bladder-100-Studie bestätigen diese Ergebnisse das Konzept der ICI-Erhaltungstherapie, der zusätzliche Effekt von Nivolumab bereits zur Chemotherapie bleibt unklar. Anzumerken ist hier, dass in der CheckMate-901-Studie nur die Cisplatin-haltige Chemotherapie untersucht wurde, wohingegen in JAVELIN-100-Bladder-Studie auch ein positiver Effekt nach Carboplatin-haltiger Chemotherapie untersucht und nachgewiesen werden konnte.

Die Kombination stellt somit eine Alternative gegenüber Cisplatin-haltiger Chemo- mit anschließender Avelumab-Erhaltungstherapie dar. Die Zulassung für diese Indikation ist jedoch aktuell noch nicht gegeben.

EV-302 / KEYNOTE-A39

Stehende Ovationen, wie Tom Powles sie für die Präsentation der Daten von EV-302 auf dem ESMO 2023 erhielt, sind selten auf entsprechenden Kongressen zu finden. Die mutmaßliche Ablösung der Chemotherapie als Erstlinien-Therapie entsprach einem solchen besonderen Moment.

Die EV-302 untersuchte die Kombination aus EV und Pembrolizumab (EV-Pembro) gegen die Platin-haltige Chemotherapie mit Avelumab-Erhaltungstherapie [10]. Es konnte einen Überlebensvorteil mit einer HR von 0,47 (95%-KI 0,38–0,58) bei einem medianen Gesamtüberleben von 31,5 vs. 16,1 Monaten nachgewiesen werden. Als Regime bei der Chemotherapie waren sowohl Cisplatin- wie auch die Carboplatin-haltige Kombination zugelassen. Der positive Effekt von EV-Pembro konnte gegenüber beiden Regimen nachgewiesen werden. Ebenso zeigte sich der Effekt unabhängig sowohl vom PD-L1 Status wie auch von der Primärlokalisation des Tumors.

Einschränkend muss festgehalten werden, dass die Vollpublikation der Studie noch aussteht. Dennoch erscheinen die Daten so eindeutig und robust, dass EV-Pembro bereits jetzt – nach Kostenübernahmeantrag – zum Einsatz kommt. Die Zulassung wird in diesem Jahr erwartet.

Bei den Nebenwirkungen führend ist die periphere Neuropathie, die die Hälfte aller Patienten betrifft, allerdings selten in schwererer Ausprägung. Eine Behandlung ist aber bekanntermaßen schwierig, die Schädigung kann überdies dauerhaft sein. Auf die häufigen kutanen Nebenwirkungen wie Juckreiz und Hautausschlag ist ein besonderes Augenmerk zu legen. Insbesondere eine Hautreaktion kann von höherem Schweregrad sein und sich selten in potenziell lebensgefährlichen Krankheitsbildern wie dem Stevens-Johnson-Syndrom oder der toxisch epidermalen Nekrolyse äußern. Leichte Veränderungen können klassischerweise mit topischen Steroiden sowie Antihistaminika behandelt werden. Bei schweren Hautveränderungen ist eine dermatologische Mitbeurteilung unabdingbar, insbesondere bei bullösen Hautveränderungen oder bei bestehendem Verdacht auf ein SJS oder TEN. Weitere spezifische Nebenwirkungen sind gastrointestinale Nebenwirkungen (Durchfall, Übelkeit, Appetitminderung), Hyperglykämien sowie Alopezie.

TROPHY-U-01

Mit Sacituzumab Govitecan (SG) zeigt sich ein weiteres vielversprechendes Antikörper-Drug-Konjugat beim Urothelkarzinom. SG bindet an Trop-2, welches ähnlich wie Nectin-4 eine sehr hohe Expression beim Urothelkarzinom zeigt. Gekoppelt als aktiver Metabolit ist der Topoisomerase 1 Inhibitor Irinotecan. In der TROPHY-U-01 Studie, eine Multikohortenstudie, wurde aktuell in Kohorte 3 untersucht, ob die Kombination aus SG und Pembrolizumab ein Therapieansprechen nach Platin-haltiger Chemotherapie bieten kann [11]. Die Ansprechrate von 41 % und ein medianes Gesamtüberleben von 12,7 Monaten stellen sehr vielversprechende Ergebnisse dar. Als häufigste Nebenwirkungen waren Neutropenie, Leukopenie und gastrointestinale Nebenwirkungen zu beobachten.

Eine Zulassung wurde durch die FDA bereits in der Drittlinie als Monotherapie auf Basis der Kohorte 1 erteilt. Eine Zulassung in Europa für das Urothelkarzinom ist aktuell noch ausstehend.

THOR

Ein interessanter, durch die FDA bereits zugelassener, Therapieansatz bietet der FGFR-Tyrosinkinaseinhibitor Erdafitinib. Dieser wurde in der THOR-Studie getestet bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom und nachgewiesener FGFR3/2alt-Mutation oder Fusion [12]. Patienten mussten im Progress unter mindestens einer Therapielinie, die einen ICI beinhaltete, gewesen sein. Als Vergleichsgruppe wurde eine Chemotherapie nach Investigator-Wahl festgelegt.

Es konnte ein verbessertes Gesamtüberleben durch Erdafitinib erreicht werden (HR 0,64; 95%-KI 0,47–0.88). In Europa wird die Zulassung für dieses Jahr erwartet. Hier gilt es zu beachten, dass eine FGFR-3-Alteration die Grundvoraussetzung für den Einsatz dieser Therapie darstellt und entsprechend eine Mutationsanalyse am Tumormaterial durchgeführt werden muss. An Nebenwirkungen sind neben den typischen TKI-Nebenwirkungen (gastrointestinale Beschwerden, Stomatitiden, Hand-Fuß-Syndrom) speziell die Hyperphosphatämie und Augenbeschwerden wie eine Retinopathie zu nennen.

Therapiesequenz der Zukunft

Aktuell spricht vieles dafür, dass sich EV-Pembro als neuer Erstlinien-Standard etablieren wird. Entgegen der Cisplatin-haltigen Chemotherapie ist EV-Pembro nahezu als „One-fits-all“ Therapie anzusehen, da deutlich weniger Patienten mit primärer Kontraindikation im Vergleich zu Cisplatin zu erwarten sind. Es wird interessant sein, wie sich die Leitlinien in den kommenden Updates bei diesem Thema positionieren. Aktuell findet sich EV-Pembro bereits in der just aktualisierten NCCN-Leitlinie wieder – hier jedoch „nur“ neben dem bisherigen Standard sowie der neu aufgenommenen Kombination aus Nivolumab und Gemcitabin / Cisplatin ohne eindeutige Empfehlung für eine der Therapien.

Sollte sich EV-Pembro als Erstlinie etablieren, wird folgerichtig auch die Zweitlinie neu definiert werden müssen. Ist dann die Platin-haltige Chemotherapie zu wählen, sollte bei FGFR-3-Alteration zuerst eine Therapie mit Erdafitinib erfolgen oder stellt SG ± Pembrolizumab eine Alternative dar? Neben der Platin-Fähigkeit werden auch die Verfügbarkeit der Mutationsanalyse und die jeweiligen Nebenwirkungsprofile eine Rolle spielen. Ein möglicher Algorithmus, der sicherlich im Verlauf noch angepasst werden muss, ist in ▶ Abbildung 2 skizziert.


Abb. 2: Möglicher Algorithmus.
Abb. 2: Möglicher Algorithmus.

Zukünftige Studien, die Leitlinien und die klinische Praxis werden dabei helfen, die offenen Fragen dieser Revolution der Systemtherapie des Urothelkarzinoms in Zukunft zu beantworten.

Literatur und Bildquelle unter www.uroforum.de

Korrespondenzadresse:

PD Dr. med. Frederik Wessels
Klinik für Urologie und Urochirurgie
Universitätsmedizin Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1–3
68167 Mannheim

Schlagworte zu diesem Beitrag

Ein Beitrag von

mgo medizin

mgo medizin

Autor

Autor des Beitrags

Weitere Beiträge zu diesem Thema

Chirurgen bei einer Operation im sterilen Operationssaal unter OP-Lichtern.

Heinzelbecker-Stöckle: Tandem soll Marburger UK retten

Uroskop

2025 ist ein Jahr mit Personalwechseln an den Spitzen der urologischen Universitätskliniken in Deutschland. Marburg, Heidelberg, Homburg- das sind nur einige Schauplätze personeller Wechsel in diesem Jahr. Am interessantesten ist sicher das Dreieck Marburg, Heidelberg, Homburg, das im Mittelpunkt des heutigen Uroskops steht.

Urologie

Beitrag lesen
Stethoskop auf einem Tisch vor einem Regierungsgebäude, Symbol für Gesundheitspolitik und medizinische Versorgung.

Krebsgesellschaft: Reform-Softening gefährdet Krebsversorgung

News

Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt vor Abstrichen bei der Qualität der Krebsbehandlung durch das geplante Krankenhausanpassungsgesetz (KHAG), das heute im Bundestag zur ersten Lesung steht. Bei zu vielen Ausnahmeregelungen für die Bundesländer bestehe die Gefahr, dass Krebspatienten  je nach Wohnort nach unterschiedlichen Standards behandelt würden.

Urologie

Berufspolitik

Beitrag lesen
Dres. Andreas Gassen (v.l.), Sibylle Steiner und Stephan Hofmeister weisen auf das KBV-Angebot einer erweiterten 116117-Struktur hin. (Foto: KBV)

KBV: Notfallreform bringt mehr Probleme als Lösungen

Berufspolitik

„Dieser Entwurf löst keine Probleme, sondern schafft eher noch neue“, lautet das kritische Fazit des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angesichts des Referentenentwurfs einer Notfallreform. Die ambulante Medizin könne die politisch zugedachte Rolle in keiner Weise erfüllen.

Urologie

Berufspolitik

Beitrag lesen