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Die junge Generation in der Roboterchirurgie: Ausbildung in Deutschland

Abb. 2: Eine gute Möglichkeit beim Proctoring ist das gemeinsame Arbeiten an einer Dual-Konsole.

Die junge Generation in der Roboterchirurgie: Ausbildung in Deutschland

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mgo medizin

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9 MIN

Erschienen in: UroForum

Miriam Hegemann, Christian Wagner

Trotz der Tatsache, dass Roboter-assistierte Eingriffe in der Urologie – allen voran die radikale Prostatektomie – inzwischen Behandlungsstandard sind, bleiben offene Fragen bezüglich der Aus- und Weiterbildung. Insbesondere da die Tätigkeiten am Operationstisch und in der Bedienkonsole komplett unterschiedlich sind, ist die Transition vom Tisch zur Konsole alles andere als trivial.

Ausbildung bedeutet Mehrarbeit und zwar in aller Regel im normalen Operationsbetrieb. Optimalerweise sollte Ausbildung nicht zu schlechteren operativen Ergebnissen führen. Auch kann es sich keine Klinik leisten, dass durch einen Lehreingriff die OP-Zeit leidet. Denn allem voran wird diese benötigt, um einen sicheren Einsatz von Assistenzärzten während robotischer Eingriffe zur ermöglichen [1]. Wie sinnhaft eine robotische Ausbildung bereits innerhalb der Facharzt-Weiterbildung ist, steht auf einem anderen Blatt!

Eine Umfrage der GeSRU (German Residents in Urology-Academics) aus dem Jahr 2016 hatte gezeigt: Rund ein Viertel der Assistenten im ersten Weiterbildungsjahr hatte bereits Erfahrung in der Tisch/Table-Side-Assistenz. Diese Assistenzen zielten – nach eigener Einschätzung – jedoch bei 75 % der Kollegen nicht darauf ab, selbst Konsolenoperateur zu werden. Somit gehört die Tisch-Assistenz in zahlreichen Kliniken zum natürlichen Arbeitskanon angehender Urologen; diese ist aber meistens eine „Sackgasse“…

Dass die Assistenz ein elementarer Bestandteil eines erfolgreichen Robotik-Programms ist, spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass aktuell spezielle Curricula erarbeitet werden, die die Erlernung der Table-Side-Assistenz strukturieren. Auch übernehmen Physician Assistants (PAs) oder Chirurgisch Technische Assistenten (CTAs) zunehmend diese Aufgabe [2]. Dies ist eine Entwicklung, die die Ausbildung für angehende Roboterchirurgen gleichsam verkomplizieren wie vereinfachen kann: Verkomplizieren, weil die Tisch-Assistenz durch nicht-ärztliches Personal bedeutet, dass angehende Roboterchirurgen weniger Assistenz- und Observationserfahrung vorweisen, vereinfachen, weil eine versierte Assistenz z. B. durch PA oder CTA, den unerfahrenen Konsolenchirurg optimal unterstützen kann.

Angebot an robotischer Ausbildung deckt Bedarf nicht

Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Roboter-assistiere Urologie e. V. (DGRU) gemeinsam mit dem Arbeitskreises für Laparoskopie und roboterassistierte Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) oder die europäische Schwester ERUS (EAU Robotic Urology Section) haben Programme zur Erlernung der robotischen radikalen Prostatektomie (RARP) entwickelt und trainieren seit mehr als 10 Jahren [3] den Nachwuchs der Roboterchirurgen. Natürlich ist die Nachfrage an robotischer Ausbildung mit diesen Programmen nicht gedeckt. Aktuell können 10–12 Trainees pro Jahr im gemeinsamen Programm von DGRU und DGU ausgebildet werden. Hierbei ist nicht nur die Kapazität der Teilnehmer vor dem Hintergrund der Kosten begrenzt, auch bedarf es voller Unterstützung der Heimatklinik. Neben einer Mindestanzahl von Eingriffen, müssen die in Ausbildung befindlichen Kollegen freigestellt bzw. entsprechende Ausbildungseingriffe oder deren Module in den OP-Plan integriert werden. Insbesondere Letzteres scheint in der Realität schwer umzusetzen, da es natürlich das Wohlwollen von Mitkollegen, Diensthabenden in Anästhesie und OP-Personal voraussetzt.

Abb. 1: Mit Simulationsprogrammen kann man in zahlreichen Übungen die Arbeitsweise in der Konsole trainieren. Zu sehen ist eine Dry-Lab-Übung.
Abb. 1: Mit Simulationsprogrammen kann man in zahlreichen Übungen die Arbeitsweise in der Konsole trainieren. Zu sehen ist eine Dry-Lab-Übung.

Aufbau von Lehrprogrammen

Abb. 2: Eine gute Möglichkeit beim Proctoring ist das gemeinsame Arbeiten an einer Dual-Konsole.
Abb. 2: Eine gute Möglichkeit beim Proctoring ist das gemeinsame Arbeiten an einer Dual-Konsole.

Alle robotischen Lehrprogramme haben einen ähnlichen Aufbau: Zu den Lerneinheiten gehören die Aneignung theoretischen Wissens zum operativen Eingriff und die Technik des OP-Roboters, welche z. B. auch als On-Demand Selbst-Schulung stattfinden können. Dann folgen Simulationstraining (virtueller Simulator, aber auch Übungen an künstlichen und biologischen Geweben, sog. „Dry-lab“ und „Wet-lab“) (▶ Abb. 1), anschließend folgen bzw. begleiten Case-Observations (Fall-Beobachtungen) und zuletzt das Proctoring, also das Operieren von Patienten unter Aufsicht und Anleitung eines erfahrenen Konsolenchirurgen (▶ Abb. 2).

Simulationssysteme

Im Bereich der Simulation gibt es unterschiedliche Systeme, die entweder mit einer Konsole des daVinci-Systems (als „Backpack“, wie ein Rucksack) oder als Stand-Alone, d. h. unabhängig von der Operationskonsole betrieben werden (▶ Abb. 3). Hierbei bieten beide Varianten Vor- und Nachteile: Der Backpack ermöglicht das Arbeitsumfeld 1:1 wie in der Bedien-Konsole im OP. Allerdings lässt sich das Training – sofern keine separate Trainingskonsole zur Verfügung steht – nur außerhalb der regulären OP-Zeiten durchführen. Stand-Alone-Systeme sind in aller Regel teurer und stehen daher oft nur in spezialisierten Trainingszentren zur Verfügung. Ein regelmäßiges Üben lässt sich so nur schwer in einen Arbeitsalltag integrieren.

Abb. 3: Eine Konsole außerhalb des Operationssaales ermöglicht ein authentisches Training abseits des operativen Tagesgeschäfts.
Abb. 3: Eine Konsole außerhalb des Operationssaales ermöglicht ein authentisches Training abseits des operativen Tagesgeschäfts.

Grundsätzlich bieten die virtuellen Simulatoren viele Trainingsmöglichkeiten von einfachen Drag-und Drop-Übungen, über das Erlernen von einzelnen Präparationsschritten und speziellen Nahttechniken, bis hin zu tatsächlichen Simulationen einzelner OP-Schritte. Dabei wird in den Übungen nicht nur die benötigte Zeit gemessen, sondern auch besondere Sicherheitsaspekte des robotischen Operierens gemessen, z. B. wann und wie lange sich robotische Instrumente außerhalb des Sichtfeldes befinden (out-of-view) oder kritische Kräfte (exzessive instrument force) ausgeübt werden (▶ Abb. 4). Darüber hinaus können weitere Parameter wie bimanuelle Geschicklichkeit, Tiefenverständnis sowie die Ergonomie der Bewegungen erfasst werden.

Aktuelle Trainingsprogramme

Nicht erst mit der Einführung der roboter-assistierten Chirurgie wurde der Ruf nach einer strukturierten operativen Ausbildung laut. Weiterhin stellt sich, vor dem Hintergrund der Komplexität des Eingriffs und der damit verbundenen Lernkurve, die Frage nach der idealen Trainingsmethode oder dem besten Trainee [4]. In den vorhandenen Ausbildungsprogrammen wird der operative Eingriff, so wie seinerzeit für die laparoskopische Prostatektomie beschrieben, modular erlernt [5]. So lässt sich die radikale Prostatektomie in 12 Schritte (1. Zugang, 2. Portplacement, 3. Bladder-Drop, 4. Präparation der endopelvinen Faszie, 5. Versorgung des dorsalen Venenplexus, 6. Blasenhals, 7. Präparation von Ductus und Samenblasen, 8. dorsale Präparation, 9. Nerverhalt, 10. apikale Dissektion, 11. Lymphadenektomie, 12. Anastomose) unterteilen. Diese OP-Schritte lassen sich wiederum in fünf unterschiedliche Schwierigkeitslevel einteilen [3, 5].

Abb  4: In den Simulationen werden unterschiedliche Fertigkeiten beim Operieren aufgezeichnet, die auch wichtige Sicherheitsaspekte des robotischen Operierens einschließen. Zu sehen ist die die Auswertung einer Übung am an einem Backpack-System.
Abb  4: In den Simulationen werden unterschiedliche Fertigkeiten beim Operieren aufgezeichnet, die auch wichtige Sicherheitsaspekte des robotischen Operierens einschließen. Zu sehen ist die die Auswertung einer Übung am an einem Backpack-System.

Man beginnt mit den vermeintlich leichtesten Teilen des Eingriffs und übt diese OP-Sequenz bis man sie sicher beherrscht. Dann geht man zum nächsten Schritt über. Diese Art des Lernens setzt ein einheitliches operatives Vorgehen voraus – idealerweise bei den Trainern im Curriculum und in der Heimatklinik. Abschluss des strukturierten Trainingsprogrammes bildet eine vollständig selbstdurchgeführte RARP, die aufgenommen, verblindet gesichtet und bewertet wird. Erfüllt dieser Eingriff die gesetzten Mindestanforderungen des Curriculums, erhält der Trainee sein Zertifikat.

Aktuell muss ein Trainee des Deutschen Robotischen Urologie Curriculums aus einer Klinik kommen, die mind. 100 RARPs/Jahr und zwei Roboterchirurgen am Zentrum beschäftigen, die je > 250 Eingriffe aufweisen. Wie man zu diesen Zahlen kommt, lässt sich verstehen, wenn man auf die recht gut untersuchte Lernkurve der RARP blickt. Die ersten 75–100 Eingriffe gehören ohne Frage zur intensiven Trainingsphase [6] – vor allem, wenn man von Anfängern ohne Vorerfahrungen aus der offenen oder konventionell-laparoskopischen Chirurgie ausgeht. Wenngleich sich keine konkrete Fallzahl benennen lässt, nachdem die Lernkurve abgeschlossen ist [7], gibt es Arbeiten, die beschreiben, dass anerkannte Qualitätskriterien wie z. B. positive Schnittränder oder die Kontinenzrate nach diesem OP-Volumen relativ stabil sind. Die OP-Zeit, intraoperativer Blutverlust, aber auch die Ausführung des Nerverhalts profitieren von einer höheren Eingriffszahl (> 300 Fälle) [6]. So wird in aller Regel von einem „erfahrenen Roboterchirurgen“ gesprochen, wenn dieses OP-Volumen absolviert wurde [8].

Mentoring ist auch nach dem Trainingsprogramm wichtig

Damit ist klar, dass ein strukturiertes Trainingsprogramm, welches auf drei bzw. sechs Monate ausgelegt ist, nur eine fundierte Basis für eine robotische Ausbildung sein kann. Case Observations oder Proctoring, v. a. bei komplexeren Schritten wie dem Nerverhalt (Level V) oder schwierigen klinischen Situationen (z. B. fortgeschrittenen Tumoren, Z.n. subvesikaler Desobstruktion oder großer Prostata, Z.n. ausgedehnten abdominellen Vor-Operationen, ausgeprägter Adipositas, Z.n. Bestrahlung oder Trauma des kleinen Beckens) ist auch weit über das Ausbildungsprogramm hinaus nötig. Dabei bildet ein erfolgreiches Mentoring die Brücke zwischen Curriculum und sicherer Durchführung des Eingriffs [9].

Digitale Möglichkeiten erleichtern Training

Ein großer Vorteil der Roboter-assistierten Operationstechnik sind dabei die digitalen Möglichkeiten, welche Live-Übertragungen und OP-Aufzeichnungen deutlich erleichtern. Somit können Trainees über die Basis-Ausbildung hinaus Masterclasses, Video-Plattformen, Webinar-Reihen und natürlich Kongresse nutzen, um spezielle Aspekte des Eingriffs zu vertiefen. In den Validationsprozessen der unterschiedlichen Trainingsprogramme [3, 10] ließ sich zeigen, dass die primären Ziele für alle Teilnehmer, unabhängig von deren Vorkenntnissen und operativem Talent – mit stabilen Ergebnissen erreichbar waren.

Hoffnungsvolle Perspektiven und Verantwortung der Industrie

Wie wichtig konsentierte und validierte Ausbildungsprogramme sind, wird sich auch an der Entwicklung der roboter-assistierten Partiellen Nephrektomie (RAPN) und Radikalen Zystektomie (RARC) zeigen, deren Implementation grade erst beginnt. Das RARC-Programm der ERUS [10] macht aber Hoffnung, dass die Vorteile der Roboter-assistierten Chirurgie bald auch Patienten mit Urothelkarzinomen der Harnblase flächendeckender zur Verfügung stehen, wenn mehr ausgebildete Operateure diesen komplexen Eingriff minimal-invasiv beherrschen und somit die Lernkurven der neuen Generation Roboterchirurgen nicht auf dem Rücken unserer Patienten und der knappen personellen und zeitlichen Ressourcen erfolgen muss. Damit das umsetzbar ist, müssen nicht nur die Fachgesellschaften, sondern auch die Partner der Industrie in die Pflicht genommen werden – insbesondere vor dem Hintergrund der Einführung neuer robotischer Operationsplattformen!

Nicht zuletzt befindet sich die robotische Chirurgie und deren Erlernen mitten im Diskurs zwischen hoch-spezialisierter Zentrumsbildung und Ausbildung der Basis. Wenngleich die robotischen Eingriffe die OP-Pläne in vielen deutschen Kliniken dominieren, scheint klar, dass die Ausbildung zum Konsolen-Chirurgen nicht für jeden möglich und sinnvoll ist.

Fazit

Wie sieht sie also aus, die neue Generation Roboterchirurgen? Auf diese Frage gibt es keine richtige Antwort. Der mutmaßliche Vorteil der globaleren Verfügbarkeit von Lerninhalten und das Großwerden mit den digitalen Möglichkeiten, kann offensichtlich nicht alle Unwägbarkeiten der Lernkurve nivellieren. Sich mit der Operationskonsole, deren Möglichkeiten und potenziellen Risiken, genauso wie mit der Anatomie und dem Eingriff bereits vor dem Einsatz im OP vertraut zu machen, muss von jedem angehenden Robotik-Operateur erwartet werden – das ist mit Sicherheit nichts Neues.

Literatur und Bildquelle unter www.uroforum.de

Dr. med. Miriam Hegemann

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Miriam Hegemann, FEBU Oberärztin
med. Tumortherapie, Palliativmedizin 
Klinik für Urologie, Urologische Onkologie und Roboter-assistierte Chirurgie
PCG – Prostata Centrum Gronau
EBU Certified Training Centre
St. Antonius Hospital
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster
Tel.: +49 2562 915 2100 
Fax.: +49 2562 915 2105
miriam.hegemann@st-antonius-gronau.de

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