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Organerhalt beim Peniskarzinom – Rationale oder Risiko?

Über die Möglichkeiten eines Organerhalts bei einem Peniskarzinom sollte immer nachgedacht werden. (Symboldbil © adobestock – Evgeniy Kozlov)

Organerhalt beim Peniskarzinom – Rationale oder Risiko?

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6 MIN

Erschienen in: UroForum

Désirée Louise Dräger

Beim Peniskarzinom fehlt es in vielen klinischen Situationen an ausreichender Evidenz als Basis für Therapieentscheidungen. Je früher die Diagnose gestellt und behandelt wird, desto besser sind die Aussichten. Bei allen Überlegungen zur geeigneten Therapie steht die Lebensqualität des Patienten im Mittelpunkt. Der Organerhalt hat hohe Priorität.

Über die Möglichkeiten eines Organerhalts bei einem Peniskarzinom sollte immer nachgedacht werden. (Symboldbil © adobestock – Evgeniy Kozlov)
Über die Möglichkeiten eines Organerhalts bei einem Peniskarzinom sollte immer nachgedacht werden. (Symboldbil © adobestock – Evgeniy Kozlov)

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurden im Jahre 2019 in Deutschland ca. 989 Neuerkrankungen registriert. Der Altersgipfel beim Peniskarzinom liegt bei 55–65 Jahren; jedoch sind 20 % der Patienten < 40 Jahre alt und 7 % sogar < 30 Jahre. Sehr oft wird diese Neoplasie relativ spät diagnostiziert. Scham, Angst, Verleugnung und Schuld können zu einer verzögerten Diagnose führen. Nur 15–50 % aller Peniskarzinome werden innerhalb eines Jahres nach Beginn der ersten Symptome diagnostiziert. Gelegentlich wird die Diagnose auch iatrogen verzögert. Wenn die Behandlung aus Gründen der Angst vor den Konsequenzen der Therapie verzögert wird, verschlechtert sich bei weiterem Fortschreiten die Prognose [1–3].

Noch vor wenigen Jahrzehnten schien das Peniskarzinom eine vergleichsweise „einfache“ onkologische Erkrankung zu sein: Der Tumor war bei der klinischen Untersuchung sichtbar und eine partielle oder totale Penektomie war die primäre Therapie der Wahl für fast alle invasiven Karzinome. Die funktionelle Bedeutung des Organs und psychoonkologische Faktoren führten aber dazu, dass heute organerhaltenden Operationsverfahren der Vorzug gegeben wird. Eine aktuelle Studie konnte anhand von Tumorregisterdaten zeigen, dass sich in den letzten 20 Jahren das relative Überleben von europäischen und US-amerikanischen Patienten mit Peniskarzinom nicht verbessert [4].

Aufgrund der erheblichen psychoonkologischen Auswirkung der Therapie des Primärtumors findet sich in den Leitlinienempfehlungen (S3-Leitlinie, EAU-Guideline) eine klare Empfehlung zum anzustrebenden Organerhalt. Dies erscheint probat in den Tumorstadien pTcis–pT2, sodass es in der Lokaltherapie des Peniskarzinoms in den letzten Jahren zu einem deutlichen Wechsel in den Therapieempfehlungen gekommen ist. Die Werte für die Lebensqualität und des Allgemeinbefindens liegen deutlich unter denen aller anderen urologischen Tumorerkrankungen [1,5–7]. Diese Daten sind auf den verstümmelnden Eingriff der Primäroperation zurückzuführen und sollten ein deutliches Plädoyer für eine organerhaltende Therapie des Primärbefundes sein. Dem organerhaltenden Vorgehen scheint die Sorge vor einem möglichen Lokalrezidiv gegenüberzustehen, allerdings besteht bei konsequenter Nachsorge und konsequenter Therapie eines potenziellen Lokalrezidivs kein negativer Einfluss auf das onkologische Outcome [1]. Die Therapie des Primärbefundes sollte sich an dem Stadium sowie der lokalen Ausdehnung und Größe des zu operierenden Tumors orientieren.

. 1: Großflächiges pT1G2-Peniskarzinom am Penisschaft (präoperativ).
Abb. 1: Großflächiges pT1G2-Peniskarzinom am Penisschaft (präoperativ).

Frühe Tumorstadien

In den frühen Tumorstadien (pTcis, pTa, pT1a und pT1b, pT2) sollte ein Organerhalt angestrebt werden. Bei beginnend invasiven oder oberflächlichen Tumoren (pTa, pT1a) erscheint die Indikation zu einer organerhaltenden Therapie zwingend. Häufig können die Tumoren mittels Keilexzision bzw. Zirkumzision sicher entfernt werden. Anschließend erfolgt die plastische Wiederherstellung mittels resorbierbaren Nahtmaterials. Bei invasiven Karzinomen, welche auf die Glans penis begrenzt sind (pT1b und pT2), ist, in Abhängigkeit von der lokalen Ausdehnung, eine Glansteilresektion bzw. eine vollständige Glansektomie erforderlich. Bei kleineren Tumoren sollte eine partielle Glansektomie angestrebt werden, um hier die Sensorik im Bereich des äußeren Genitale Rechnung zu tragen, die nach vollständiger Glansektomie und Spalthauttransplantat deutlich geringer ist. Ist dies, aufgrund der lokalen Tumorausdehnung, nicht möglich, erfolgt die vollständige Glansektomie.

Im Sinne des kosmetischen Ergebnisses der Operation sollte in Absprache mit dem Patienten eine Spalthautplastik durchgeführt werden, um eine Neoglans zu erzeugen. Hierbei wird die Spalthaut im Bereich des Oberschenkels entnommen. Alternative Verfahren sind die Transplantation von Mundschleimhaut. Für beide operative Möglichkeiten finden sich in der Nachbetreuung exzellente kosmetische sowie auch onkologische Ergebnisse. Eine Reduktion der Sensibilität der Neoglans ist in 50–60 % zu erwarten [1, 6], die Erektionsfähigkeit kann negativ beeinflusst werden, bleibt jedoch in der Regel erhalten. Rekonstruktive Eingriffe bezwecken zwar den Erhalt der Sexual- und Miktionsfunktion, aber häufig divergieren die präoperativen Vorstellungen des Patienten und das postoperative Ergebnis, sodass ausführliche Aufklärungsgespräche (evtl. unter Verwendung mit Bildmaterial) erfolgen sollten.

Späte Tumorstadien

Für Patienten mit einem fortgeschrittenen Tumor (pT3 und pT4) ist zumeist eine Penisteilamputation oder eine totale Penektomie erforderlich. Aus kosmetisch-ästhetischen Gründen sollte besonders bei jüngeren Patienten auch über ein rekonstruktiven Eingriff diskutiert werden, da häufig allein das optische Erscheinungsbild des äußeren Genitale, unabhängig von der residualen Penislänge, für Patienten psychologisch bedeutsam ist. Voraussetzung für eine koordinierte Spontanmiktion erscheint ein Penisstumpf von 4 cm [1], sodass präoperativ die Aspekte der Ausleitung der Urethra mit dem Patienten zu besprechen sind. Bei einer postoperativen residualen Penislänge von < 4 cm sollte der betroffene Patient über die Anlage einer perinealen Urethrocutaneostomie („Boutoniere“) aufgeklärt werden. Die Aufrechterhaltung der Sexualfunktion ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Je ausgedehnter der resultierende Penislängenverlust, umso ausgeprägter sind die postoperativen psychischen Belastungen des Erkrankten [5–7]. Wie gravierend sich diese Beeinträchtigungen im Einzelfall darstellen, hängt von zahlreichen Komponenten ab. Gerade bei jungen Patienten mit intaktem präoperativem Sexualleben sind nach tiefer Penisteilamputation oder vollständiger Penektomie ausgeprägte Depressionen bis hin zur Suizidalität zu erwarten [5–7], sodass eine penile Rekonstruktion aus mikrochirurgisch transplantiertem Fernlappen eine Option darstellt. Das radiale Unterarmlappen-Penoid mit anschließender Prothesenversorgung gilt als bevorzugte Technik der penilen Rekonstruktion. Aktuell besteht kein Konsens, nach welchem Zeitraum nach Penisamputation eine penile Rekonstruktion vorgenommen werden sollte. Da nach fortgeschrittenen Tumoren die meisten Rezidive innerhalb von 2 Jahren auftreten [1], sollte diese Zeitspanne abgewartet werden.

Abb. 2: Intraoperativer Situs: vollständige Entfernung mit anschließender Spalthautdeckung.

Psychosoziale Belastung

Für betroffene Männer bedeutet die Behandlung einen Eingriff am zentralen körperlichen Merkmal der männlichen Identität. Oftmals besteht vor dem Eingriff keine Möglichkeit, über die subjektive Bedeutung des Eingriffs und seine Folgen ausreichend nachzudenken, sodass die Konfrontation mit dem veränderten Penis dann relativ plötzlich erfolgt. Dies kann zu erheblichen Irritationen führen, die einen Verarbeitungsprozess erfordern. Es können langanhaltende umfassende Körperbildstörungen entstehen, mit negativen Veränderungen der männlichen Identität sowie der Sexualität, mit Auswirkungen auf eine Partnerschaft.

Bis heute ist die Evaluation der psychosozialen Belastung von Männern mit Peniskrebs defizitär, auch aufgrund der Seltenheit der Tumorerkrankung. Es gilt jedoch als gesichert, dass betroffene Männer eine erhöhte und erhebliche psychische Belastung und folglich einen erhöhten Bedarf an psychosozialer Betreuung haben [5–7]. Diese krankheits- und behandlungsbedingte Stressbelastung stellt eine besondere Reaktion dar. Sie erfüllt nicht die Kriterien einer psychischen Störung [5–7]. Der emotionale Stress dieser Patienten muss erkannt, aber nicht pathologisiert werden. Angemessene psychosoziale Unterstützung sollte angeboten werden. Formen und Inhalte der individuellen mentalen Belastung werden additiv von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie z. B. der Lebensgeschichte, der Identitätsentwicklung, der vorhandenen Beziehungen und Familienkonstellation sowie der eigenen Ich-Stärke [5–7]. Inwieweit Patienten aus psychologischer Hinsicht langfristig von organerhaltender oder rekonstruktiven Eingriff profitieren, ist bislang nicht genau bekannt.

Literatur unter
www.uroforum.de

Korrespondenzadresse:

PD Dr. med. habil. Désirée Louise Dräger, M.A.
Klinik und Poliklinik für Urologie
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 6
18057 Rostock
desiree.draeger@med.uni-rostock.de

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