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Hypospadie 2024 – Essentials für die Urologische Praxis

Hypospadie

Hypospadie 2024 – Essentials für die Urologische Praxis

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7 MIN

Erschienen in: UroForum

Aus UroForum, Heft 01/2024

Wolfgang H. Rösch

Die interdisziplinäre S2k-Leitlinie zur operativen Behandlung der Hypospadie und das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung erfordern ein Umdenken bei der Indikationsstellung und im Management dieser kongenitalen Anomalie. Die drei wichtigsten Kernaussagen sollten alle in der Klinik und Praxis tätigen Urologen kennen.

Obwohl die interdisziplinäre S2k-­Leitlinie zur operativen Behandlung der distalen, mittleren und proximalen Hypospadie [1] als auch das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung [2] bereits im Jahre 2021 veröffentlicht wurden, scheinen sowohl die daraus resultierenden Empfehlungen als auch die verbindlichen Gesetzesvorgaben immer noch wenig bekannt zu sein. Dabei resultieren daraus Konsequenzen, die gerade für die Beratung in der urologischen Praxis durchaus von Relevanz sind, um Verunsicherungen der Eltern durch widersprüchliche Empfehlungen zwischen Klinik und Praxis zu vermeiden.

Ein zentrales Anliegen der im Oktober 2021 veröffentlichten S2k-­Leitlinie zur Behandlung der Hypospadie (AWMF-Register Nr. 006–026) [1] war der interdisziplinäre Konsens der Empfehlungen unter Einbeziehung aller am Management der Hypospadie beteiligten Fachdisziplinen. Unter der Federführung von Prof. Dr. Kröpfl und der DGU waren letztendlich zehn weitere Fachgesellschaften an der Erstellung dieser wichtigen Leitlinie beteiligt. Neben praxisnahen Empfehlungen und Statements zum operativen Vorgehen sind die beiden Statements zur OP-Indikation sowie zu der zentralen Bedeutung der Penisschaft-Verkrümmung bzw.- Aufrichtung besonders hervorzuheben.

Grundsätzlich sollten betroffene Jungs möglichst früh, also zwischen dem ersten und dritten Lebensmonat, in einer entsprechend versierten Klinik zur Beurteilung vorgestellt werden, denn nicht selten sind die Eltern durch die postnatal gestellte Diagnose verunsichert. Im Rahmen der frühzeitigen Untersuchung können die Eltern aufgeklärt werden, ob, wie und wann ein Eingriff erfolgen sollte. Bei dieser Gelegenheit sollte eine assoziierte symptomatische Meatusstenose ausgeschlossen werden, die nur sehr selten vorhanden ist. Bei glandulärer Hypospadie kann es die einzig therapeutisch notwendige Maßnahme sein. Für eine sogenannte vorbereitende Meatotomie als separater Eingriff vor einer geplanten Urethralplastik gibt es dagegen keine Indikation. Sie soll deshalb auch nicht mehr durchgeführt werden (LL-Empfehlung, Konsensusstärke: 100 % [1]).

OP-Indikation bei distaler Hypospadie

Die glandulären und koronaren Hypospadieformen ohne Verkrümmung oder Torsion des Penisschaftes stellen nur noch eine relative Operationsindikation dar [1, 3]. Hier sollte genau abgewogen werden, ob die Funktion eindeutig beeinträchtigt sein wird oder nicht. Falls zunächst keine OP-Indikation besteht, ist eine Wiedervorstellung im Vorschulalter zum erneuten klinischen Ausschluss einer Penisschaftverkrümmung sinnvoll. Es ist bekannt, dass bei späterer Beurteilung des Operationsergebnisses durch den Patienten – aber auch bei weiblichen Probanden, die im Rahmen von Studien befragt wurden – die Meatusposition als weniger wichtig empfunden wird [4].

Konsequente Penisschaftaufrichtung langfristig entscheidend

Persistierende Verkrümmungen des Penis nach einer Hypospadie-Operation sind häufiger als angenommen und können zu gravierenden Problemen im Erwachsenenalter führen. Pippi Salle resümierte in seiner Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2016: Recurrence of ventral curvature seemed to be a significant and underreported complication” [5]. Da auch glanduläre und distale Hypospadien betroffen sein können und der Verkrümmung eine wesentliche funktionelle Bedeutung im Erwachsenenalter zukommt, ist die intraoperative artifizielle Erektion heute bei allen Formen der Hypospadie obligat (▶ Abb. 1)[1]. Während in früheren Jahren nur ventrale Verkrümmungen von mehr als 30° als korrekturbedürftig galten, gelten heute Verkrümmungen bereits ab 20° als relevant und damit behandlungsbedürftig, da im Laufe des Wachstums mit einer weiteren Zunahme der Verkrümmung gerechnet werden muss [1]. Zur Korrektur empfiehlt sich, abhängig vom Ausprägungsgrad, ein stufenweises Vorgehen. Das Ablösen der Penisschafthaut („penile degloving“) mit konsequenter Resektion der ventralseitigen Verklebungen zwischen der Buck- und der Dartos-Faszie führt bei etwa 70 % der distalen und mittleren Hypospadien zu einem kompletten Aufrichtungseffekt [5].

Distale Hypospadie
Abb. 1: Erhebliche Penisschaftverkrümmung bei distaler Hypospadie, deren Ausprägung erst durch die artifizielle Erektion erkennbar wird.

Besteht nach erneuter artifizieller Erektion weiterhin eine Verkrümmung bis etwa 30°, kann mittels eines Plikationsverfahrens nach Yachia oder Baskin eine Penisbegradigung ohne wesentliche Verkürzung des Penis durchgeführt werden [1]. Bei einer Verkrümmung von mehr als 30° sind diese beiden Verfahren aber langfristig nicht ausreichend. In diesen Fällen sollte zunächst eine komplette Mobilisation der Urethralrinne und bei Vorliegen einer zu kurzen Harnröhrenplatte („short urethra“, ▶ Abb. 2) diese durchtrennt werden. Trotz meist deutlichem Aufrichtungseffekt durch diese Maßnahme ist häufig zusätzlich eine ventrale Corporoplastik mittels Inzisionen der Tunica albuginea oder Einsetzen der Tunica vaginalis oder von dorsal entnommenen Ovalen aus der Tunica albuginea notwendig, um den Penis zu begradigen, ohne dadurch eine Verkürzung des Penisschaftes zu erzeugen (LL-Empfehlung, Konsensusstärke 100 % [1]).

Neue Gesetzeslage hat erhebliche Konsequenzen

Ganz erhebliche logistische, aber auch rechtliche Konsequenzen bringt das 2021 in Kraft getretene „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ [2] mit sich, denn laut Gesetzgeber zählen zu diesen Varianten seither auch die penoskrotalen, skrotalen und perinealen Hypospadien. Während die Leitlinie eine Handlungsempfehlung für den klinischen Alltag darstellt, entspricht dieses Gesetz einer Richtlinie mit unmittelbar rechtsverbindlichem Charakter, sowohl für die Behandelnden als auch für die Eltern. In der Praxis bedeutet das, dass für jeden Patienten mit einer penoskrotalen oder weiter proximal gelegenen Hypospadie, unabhängig von Begleitanomalien (Leistenhernie, Hodenhochstand, penoskrotale Transposition etc.), ausnahmslos ein interdisziplinäres Gutachten (gesetzlich vorgegeben: Humangenetik, Pädiatrische Endokrinologie, Kinderpsychologie/-psychiatrie, Ethik und Kinderurologie/-chirurgie) erstellt werden muss. Diese, den Eingriff befürwortende Stellungnahme von allen Beteiligten müssen die Eltern bei dem für sie zuständigen Familiengericht einreichen. Erst nach Vorliegen der Genehmigung von Seiten des Familiengerichts darf eine operative Hypospadie-Korrektur erfolgen.

Während die Notwendigkeit einer humangenetischen und kinderendokrinologischen Abklärung bei Vorliegen einer proximalen Hypospadie heute außer Frage steht, bleibt die Notwendigkeit einer familiengerichtlichen Zustimmung zu einem Eingriff in Fachkreisen weiter umstritten. Nicht nur für die Behandelnden, sondern auch für die Eltern ist der Mehraufwand erheblich. In jedem Fall sollten die Eltern schon so früh wie möglich in der kinderärztlichen oder urologischen Praxis auf diesen Sachverhalt hingewiesen werden, um Verunsicherungen und Zweifeln bei der Erstvorstellung im kinderurologischen Zentrum vorzubeugen. Zudem ist die Erstellung des interdisziplinären Gutachtens zeitaufwändig und sollte deshalb idealerweise schon im frühen Säuglingsalter in die Wege geleitet werden, damit der geplante Eingriff dann tatsächlich auch in dem empfohlenen Alter für die Operation zwischen dem 11. und 18. Lebensmonat durchgeführt werden kann [1].

Ausgeprägte Pennisschaftverkrümmung
Abb. 2: Ausgeprägte Pennisschaftverkrümmung bei „short urethra“. Die erhebliche Verkrümmung als auch die verkürzende Harnröhre sind auch ohne Schwellkörperpunktion gut zu erkennen.

Langfristige Betreuung auch bei Erwachsenen erwünscht

Die langfristig erfolgreiche Korrektur einer Hypospadie ist von vielen Faktoren abhängig. Neben der korrekten Indikationsstellung erfordert die Wahl der adäquaten OP-Technik und deren sachgerechten Durchführung sehr viel Erfahrung. Trotzdem sind Komplikationen wie Rezidiv-Verkrümmung, Harnröhrendivertikel, -stenose, etc. gerade bei den proximalen Formen häufig und können auch erst nach Jahren auftreten bzw. relevant werden. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass in nahezu allen Nachuntersuchungen Betroffener im Erwachsenenalter der Wunsch von den Patienten nach besserer Nachsorge über das Kindes- und Jugendalter hinaus geäußert wird [6, 7]. Das ist eine Aufgabe, der wir in Klinik und Praxis künftig mehr Aufmerksamkeit schenken sollten, um allen Patientinnen und Patienten mit ehemals kongenitalen Anomalien der Urogenitalorgane eine lebenslange angemessene Betreuung anbieten zu können.

Wolfgang Rösch

Bildquelle: © Shmel – stock.adobe.com

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Wolfgang Rösch
Klinik für Kinderurologie in Kooperation mit der Univ. Regensburg Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg – Klinik St. Hedwig
Steinmetzstraße 1–3
93049 Regensburg
Wolfgang.roesch@barmherzige-­regensburg.de

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