Quelle und Bildquellen: © Aus UroForum, Heft 09/2023
Christian Leiber-Caspers
Aufgrund mangelnder Alternativen stellt auch im Jahr 2023 die Vasektomie nach der Kondom-Nutzung das zweithäufigste Verhütungsverfahren für Männer in Deutschland dar. Trotz dieser Tatsache und wahrscheinlich mehr als 50.000 solcher Eingriffe pro Jahr gab es zuletzt weder in Deutschland noch in Europa eine gültige Leitlinie zum Thema „Vasektomie“ [1]. Daher kommt dem Kapitel 6.12 „Vasektomie – Sterilisation bei Männern oder Mann-zu-Frau-Transmenschen“ in der neuen AWMF S2k Leitlinie „Nicht-hormonelle Empfängnisverhütung“ eine große Bedeutung zu.
Wissenschaftliche Evidenz
Leitlinien sind keine Richtlinien, d. h. die hierin getroffenen Aussagen sind Empfehlungen auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die nicht zwangsläufig so umgesetzt werden müssen. Trotzdem kommt ihnen, insbesondere bei eventuellen medico-legalen Auseinandersetzungen eine große Bedeutung zu. Sucht man nach wissenschaftlicher Evidenz zum Thema „Vasektomie“ so ergibt eine aktuelle Medline-Suche unter dem Stichwort „vasectomy“ 5.190 Artikel. Es existieren zwei relevante englisch-sprachige Leitlinien, wobei die Leitlinie der amerikanischen Urologenvereinigung (AUA) [2] aus dem Jahr 2012 stammt und zuletzt in geringem Umfang im Jahr 2015 aktualisiert wurde. Neuer ist die Leitlinie zur Vasektomie der kanadischen Urologen-Assoziation (CUA) [3].
Verhütungssicherheit der Sterilisation beim Mann

Die Sicherheit einer Verhütungsmethode wird üblicherweise mit dem von Raymond Pearl definierten PEARL-Index beschrieben. Hierbei gilt: Wenden 100 Frauen ein Jahr lang das gleiche Verhütungsmittel an und treten in diesem Zeitraum 3 ungewollte Schwangerschaften auf, so beträgt der Pearl-Index 3. Je niedriger also der Pearl-Index, desto höher die Verhütungssicherheit. Unterschiedliche Ergebnisse ergeben sich für die meisten Verhütungsverfahren bei Unterscheidung zwischen der optimalen Methodenanwendung (= perfect use) und dem typischen Gebrauch (= typical use). Mit einem Pearl-Index von 0,10–0,15 ist die Vasektomie eines der sichersten Verhütungsverfahren überhaupt, sicherer als die Sterilisation der Frau (Pearl-Index 0,5) und mindestens so sicher wie die Pille (Pearl-Index 0,1–0,9), die allgemein als Referenzvergleichswert gilt (▶ Tab. 1).
Voraussetzungen für die Durchführung einer Vasektomie
Eine abgeschlossene Familienplanung oder die dauerhafte sichere Entscheidung gegen eine eigene Vaterschaft sowie das Alter von 18 Jahren (§ 1631 c BGB) und die juristische Einwilligungsfähigkeit (§ 630 e BGB) sind zwingend notwendige Voraussetzungen für die Durchführung einer Sterilisations-Operation beim Mann. Der Eingriff ist immer elektiv und stellt keine medizinisch notwendige Maßnahme dar, so dass die Kosten hierfür vom Patienten getragen werden müssen. Relative Kontraindikationen für die Vasektomie sind eine bekannte Gerinnungsstörung, akute Infektionen im OP-Gebiet, anatomische Anomalien, ausgeprägte Vernarbungen im Skrotalbereich und ein schon vorbestehendes genitales Schmerzsyndrom. Ungefähr 6 % aller Männer stellen ihre Vasektomie im Verlauf wieder infrage. Risikofaktoren hierfür sind: schlechte Kommunikation mit dem Partner/der Partnerin, Konflikte während der Entscheidungsfindung, Dominanz eines Partners bei der Entscheidungsfindung und ein jüngeres Alter des Mannes [4, 5, 6].
Operationsmethoden bei der Vasektomie
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz für eine eindeutige Überlegenheit eines bestimmten Operationsverfahrens [1–3, 7, 8]. Der Zugang erfolgt in aller Regel skrotal entweder durch einen kleinen Schnitt direkt über dem jeweiligen Samenleiter oder in der Non-Skalpell-Technik (NSV). Neben der alleinigen Durchtrennung der Samenleiter kommen die Resektion eines Samenleiterabschnitts mit und ohne Umschlagen der offenen Enden, die Ligatur der Samenleiter mit einem nicht-resorbierbaren Faden, die intraluminale Kauterisierung und eine Gewebeinterposition oder eine Kombination aus den zuvor genannten Verfahren in Frage. Bezüglich der Komplikationsrate und der Operationsdauer scheint aber die Non-Skalpell-Vasektomie (NSV) Vorteile zu bieten [1, 2, 7, 8]. Bis auf wenige Ausnahmen kann die Vasektomie in der Regel in Lokalanästhesie als ambulanter Eingriff erfolgen. Da eine histopathologische Untersuchung der entfernten Anteile des Ductus deferens im Falle von juristischen Auseinandersetzungen nur von geringer Bedeutung ist, wird diese grundsätzlich nicht empfohlen [1, 2, 8].
Nachsorge nach der Vasektomie
Entscheidend für den Erfolg der Vasektomie ist die postoperative Azoospermie mit fehlendem Nachweis von Spermien im Ejakulat. Es gibt keine wissenschaftlich basierte Empfehlung, wann der optimale Zeitpunkt für die postoperative Spermiogramm-Untersuchung ist, auch wenn in vielen Studien ein Intervall von 12 Wochen verwendet wurde. Je größer der Abstand zur Operation, desto wahrscheinlicher wird aber der Nachweis der Azoospermie. Daher sollten die Kontrollen frühestens 8 Wochen nach der Vasektomie durchgeführt werden. Eine hohe postoperative Ejakulationsfrequenz erhöht die Wahrscheinlichkeit, keine Spermien mehr im Ejakulat nachweisen zu können. Hierauf kann man den Patienten hinweisen.
Die Durchführung des postoperativen Spermiogramms muss gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer (RiLiBÄK) [9] anhand des jeweils aktuellen „WHO-Laborhandbuch zur Untersuchung und Aufarbeitung des menschlichen Ejakulates“ [10] erfolgen. Dementsprechend soll die Untersuchung an frischem Ejakulat, welches 15 min bei 3.000 g zentrifugiert wurde, vorgenommen werden. Die Spermienkonzentration oder die Anzahl der Spermien pro Gesichtsfeld (x 400 Vergrößerung) ist dabei anzugeben. Wer in Deutschland Spermiogramm-Untersuchungen vornimmt, ist gemäß der RiLiBÄK verpflichtet regelmäßige interne und externe Qualitätskontrollen (Teilnahme an Ringversuchen) durchzuführen.
Risiken der Vasektomie
Die Sterilisation des Mannes erhöht nicht das Risiko für die Entstehung eines malignen Hodentumors [11, 12] oder spätere kardiovaskuläre Ereignisse/Erkrankungen [13, 14]. Obwohl es kein schlüssiges pathophysiologisches Konzept für die Hypothese gibt, deutet die neueste Metaanalyse unter Einbeziehung von 37 Studien mit insgesamt 16.931.805 Patienten an, dass es einen Zusammenhang zwischen einer Vasektomie und dem späteren Entstehen eines Prostatakarzinoms geben könnte [15]. Dies gilt aber nur für das Prostatakarzinom-Risiko allgemein. Bezüglich eines Zusammenhangs mit aggressiven, fortgeschrittenen oder gar tödlichen Prostatakarzinomen konnte keine Evidenz gefunden werden. Aufgrund aller bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen ist zu dieser Frage unverändert keine abschließende Beurteilung möglich [16–19].
Eine aktuelle Studie zeigt keinen Einfluss einer Vasektomie auf die Entwicklung von Symptomen des unteren Harntraktes (LUTS) in der Zukunft [20]. Bislang gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, dass sich nach einer Vasektomie bei Männern hormonelle Veränderungen einstellen [21, 22].
Komplikationen der Vasektomie
Grundsätzlich ist das Komplikationsrisiko für alle verschiedenen Techniken der Vasektomie gering [1–3, 23], wobei die Angaben in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Teil deutlich divergent sind (▶ Tab. 2). Die Non-Skalpell-Vasektomie (NSV) zeigt in einige Studien ein geringes Risiko [24]. Wie bei den meisten chirurgischen Verfahren spielt die Erfahrung des Operateurs eine entscheidende Rolle.

Fazit
Das Kapitel 6.12 „Vasektomie – Sterilisation bei Männern oder Mann-zu-Frau-Transmenschen“ in der neuen AWMF S2k Leitlinie „Nicht-hormonelle Empfängnisverhütung“ ist sicher für alle Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig Vasektomien durchführen, aufgrund seiner aktuellen wissenschaftlichen Evidenz ein „Segen“ bzw. eine sinnvolle Pflichtlektüre. Bei Beachtung der hier ausgesprochenen Empfehlungen sollten eine sachgerechte Operationsaufklärung und –durchführung sowie die notwendigen postoperativen Kontrollen mit bestmöglicher Ergebnisqualität für den Patienten möglich sein.

Korrespondenzadresse:
Dr. med. Christian Leiber-Caspers
Sektionsleiter Andrologie, Oberarzt
Klinik für Urologie, Kinderurologie, Urogynäkologie, Andrologie – Maria-Hilf-Krankenhaus Alexianer Krefeld GmbH
Dießemer Bruch 81, 47805 Krefeld
c.leiber-caspers@alexianer.de



