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Update zur systemischen Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms – ASCO 2023

Update zur systemischen Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms – ASCO 2023

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8 MIN

Erschienen in: UroForum

Quelle und Bildquelle: © Aus Uroforum, Heft 06/2023

Manfred Johannsen, Robert Schönfelder, Jörg Klier, Rolf Eichenauer, Frank König, Jörg Schröder, Elke Hempel, Christian Doehn

Zur Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Onkologie (ASCO), die vom 2. bis 6. Juni 2023 in Chicago (USA) stattfand, wurden neue Daten zum metastasierten Nierenzellkarzinom (mNZK) präsentiert. Von besonderem Interesse sind die Daten der Phase-III-Studien in der Erstlinientherapie mit Nachbeobachtungszeiten von 3, 4 bzw. 5-Jahren. Des Weiteren wurden neue Kombinationen aus Checkpoint-Inhibitoren (CPI) und Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) in der Zweitlinientherapie vorgestellt. Dieser Artikel gibt einen aktuellen Überblick über die neuesten Daten aus Phase-III-Studien zur systemischen Therapie des mNZK.

Erstlinientherapie des mNZK

▶ Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Wirksamkeitsparameter der 4 zugelassenen und in internationalen Leitlinien empfohlenen Kombinationstherapien (Immun-Immunkombination Nivolumab + Ipilimumab, CPI-TKI-Kombinationen), bei denen der Vergleichsarm jeweils aus Sunitinib bestand [1–4]. Während die CHECKMATE 214-Studie (Nivolumab + Ipilimumab versus Sunitinib) Patienten in der intermediären und schlechten Prognosegruppe nach den Kriterien des International Metastatic Renal-Cell Carcinoma Database Consortium (IMDC) [5] einschloss und auch nur für die intermediäre und schlechte Prognosegruppe zugelassen ist, erhielten die TKI-CPI-Kombinationen eine Zulassung in allen Prognosegruppen. Für die Kombinationsstudien liegen mittlerweile Nachbeobachtungszeiten von 3 Jahren (Cabozantinib + Nivolumab), 4 Jahren (Lenvatinib + Pembrolizumab) bzw. 5 Jahren vor (Nivolumab +Ipilimumab, Axitinib + Pembrolizumab). Die COSMIC-313-Studie, die als erste Phase-III-Studie zur Erstlinientherapie des mNZK eine Kombination als Vergleichsarm aufwies (Dreifach-Kombination Cabozantinib plus Nivolumab plus Ipilimumab versus Nivolumab plus Ipilimumab), wurde bereits beim ASCO-GU in Februar diesen Jahres vorgestellt. Diese Studie schloss Patienten mit intermediärer und schlechter Prognosegruppe nach IMDC ein [6]. In der COSMIC-313-Studie erzielte die Dreifachkombination mit Cabozantinib gegenüber dem Prüfarm Nivolumab plus Ipilimumab ein signifikant längeres PFS und war damit bezüglich des primären Studienendpunktes positiv. Der Vorteil im PFS bestand nur in der intermediären, nicht jedoch in der schlechten Prognosegruppe und betrug dort 17,9 vs. 11,3 Monate (HR 0,68). Der nur marginale Vorteil in der Ansprechrate (43 vs. 36 %) sowie vor allem der Umstand, dass die Rate an komplettem Ansprechen in beiden Armen mit 3,0 % gleich niedrig war, hat zur Folge, dass bei noch ausstehender Analyse des OS dieser Dreifachkombination, die auch mit einer höheren Toxizität einhergeht, noch keine Bedeutung als zukünftiger Therapiestandard beigemessen wird. Die folgende Analyse beschränkt sich daher auf die 4 in ▶ Tabelle 1, S. 22, aufgeführten Kombinationsstudien.

Tab. 1: Überblick der Phase-III-Kombinationsstudien zur Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms mit langer Nachbeobachtungszeit. Ipi / Nivo = Ipilimumab + Nivolumab; Axi / Pembro = Axitinib + Pembrolizumab; Cabo / Nivo = Cabozantinib + Nivolumab; Len / Pembro = Lenvatinib + Pembrolizumab; n = Anzahl; FU = Follow-up (Nachbeobachtungszeit); mPFS = medianes progressfreies Überleben; mOS = medianes Gesamtüberleben; ORR = Gesamtansprechrate; CR = Komplettremission; mDOR = mediane Überlebenszeit; PD = Progression; NR = noch nicht erreicht; N/A = keine Angabe; HR = Hazard Ratio (modif. nach [12, 13]).

Ansprechrate
Das Gesamtansprechen besteht aus dem kompletten Ansprechen (complete remission, CR) und dem partiellen Ansprechen (partial response, PR) und stellte seit der Einführung der TKI einen wichtigen Parameter dar. Die CPI-basierten Kombinationen erreichen hohe Ansprechraten von 39 % (Nivolumab + Ipilimumab) bzw. 60 % (Axitinib + Pembrolizumab), 56 % (Cabozantinib + Nivolumab) sowie 71 % (Lenvatinib + Pembrolizumab, ▶ Tab. 1, S. 22) [1–4]. Unter Sunitinib-Monotherapie wurden in den Vergleichsarmen niedrigere Ansprechraten zwischen 27 und 40 % berichtet. Auch die Rate an Komplettremissionen war bei den Therapiekombinationen mit 10–12 % bzw. sogar 17,2 % (Lenvatinib + Pembrolizumab) deutlich höher im Vergleich zu 4,2 % unter Sunitinib (▶ Tab. 1, S. 22).

Vor einer Therapiewahl sollte auch die Rate an primären Progredienzen in die Betrachtung einbezogen werden, die sich vor allem zwischen der Immun-Immun-Kombination aus Nivolumab + Ipilimumab (18 %) und den TKI-CPI-Kombinationen deutlich unterscheidet (Axitinib + Pembrolizumab: 11 %; Cabozantinib + Nivolumab: 6 %; Lenvatinib + Pembrolizumab: 5 %).

Progressionsfreies Überleben
Beim progressionsfreien Überleben (progression-free survival, PFS) zeigt sich der deutlichste Unterschied zwischen einer reinen Immuntherapie (Nivolumab + Ipilimumab), bei der das PFS nach 5 Jahren mit 12,3 Monaten nicht höher ist als im Vergleichsarm (bei einem über den gesamten Verlauf jedoch signifikanten Vorteil in der HR), und den CPI-TKI-Kombinationen. Die Kombination aus Lenvatinib + Pembrolizumab zeigt mit 23,3 vs. 9,2 Monaten das höchste PFS (▶ Tab. 1, S. 22). Während die TKI mit ihrer Ansprechrate einen relativ raschen und breiten klinischen Benefit erzeugen, werden unter der Immuntherapie initial vergleichsweise mehr Patienten progredient. Der vorrangige Benefit der Immuntherapie liegt jedoch im langen Gesamtüberleben derjenigen Patienten, die auf die Therapie ansprechen, was sich wiederum eindrucksvoll im medianen OS zum Zeitpunkt von 5 Jahren manifestiert.

Gesamtüberleben – alle Prognosegruppen
Die CPI-basierten Kombinationen zeigten bislang alle einen signifikanten Vorteil im Gesamtüberleben (overall survival, OS; ▶ Tab. 1, S. 22). Die CheckMate 214-Studie und die KEYNOTE-426-Studien weisen die längsten Nachbeobachtungszeiten von 5 Jahren auf und zeigten ein medianes OS von 55,7 bzw. 47,2 Monaten gegenüber 38,4 bzw. 40,8 Monaten unter Sunitinib [1, 2]. Für die Kombination aus Cabozantinib + Nivolumab wurden die Daten mit 3 Jahren Nachbeobachtungszeit präsentiert und es konnte in der ITT-Population ein signifikanter Vorteil im OS von 49,5 Monaten vs. 35,5 unter Sunitinib demonstriert werden (HR 0,70) [3].

Bei der Betrachtung der finalen Analyse der CLEAR-Studie fällt auf, dass das mOS unter Lenvatinib + Pembrolizumab mit 53,7 vs. 54,3 Monaten paradoxerweise etwas niedriger als im Sunitinib-Arm zu sein scheint (HR 0,79, 95%-KI: 0,63–0,99) [4]. Dies liegt darin begründet, dass sich die Kurven einmalig und kurz genau in dem Punkt schneiden, an dem die 50 % Wahrscheinlichkeit zum Versterben aus der Kaplan-Meier-Kurve berechnet wird, während die Überlebenskurve unter Lenvatinib + Pembrolizumab sowohl vor als auch nach diesem Zeitpunkt der Sunitinib-Kurve überlegen ist (▶ Abb. 1). Zudem sind im Lenvatinib + Pembrolizumab-Arm weniger OS Ereignisse eingetreten (149 vs. 159). Die HR, die hingegen den gesamten Beobachtungszeitraum betrachtet, zeigt mit 0,79 einen signifikanten Überlebensvorteil für Lenvatinib + Pembrolizumab. Die adjustierte Analyse des mOS, die u. a. für Unterschiede in den nachfolgenden Therapielinien korrigiert, ergab eine deutlichere Auftrennung der Überlebenskurven zugunsten von Lenvatinib + Pembrolizumab (▶ Abb. 2). Im Verum-Arm hatten in der Tat weniger Patienten Folgetherapien erhalten als im Sunitinib-Arm (51,0 vs. 68,9 %), insbesondere deutlich weniger CPI (15,8 vs. 54,6 %).

Abb. 1: Finale Analyse des medianen Gesamtüberlebens in der Erstlinientherapie mit Lenvatinib plus Pembrolizumab; modif. nach [4].
Abb. 2: Finale Analyse des medianen Gesamtüberlebens in der Erstlinientherapie mit Lenvatinib plus Pembrolizumab, adjustiert für Folgetherapien; modif. nach [4].

Gesamtüberleben – gute Prognosegruppe
Etwas ernüchternd ist, wie sich in den letzten Jahren schon angedeutet hatte, die Beurteilung der Ergebnisse bei Patienten in der guten Prognosegruppe, wo in den aktuellen Analysen keine der TKI-CPI-Kombinationen – ungeachtet der bestehenden Zulassung – einen signifikanten OS-Vorteil zeigen kann. Unter Axitinib + Pembrolizumab gibt es in der guten Prognosegruppe keinen Vorteil gegenüber Sunitinib, weder im OS (HR 1,10; 95%-KI: 0,79–1,54) noch im PFS (HR 0,76; 95%-KI: 0,57–1,02). Auch für Lenvatinib + Pembrolizumab konnte in der guten Prognosegruppe kein OS-Vorteil gegenüber Sunitinib demonstriert werden (HR 0,94, 95%-KI 0,58–1,52). Für Cabozantinib + Nivolumab besteht nach 3 Jahren Nachbeobachtung noch ein Vorteil gegenüber Sunitinib im PFS (HR 0,75; 95%-KI: 0,5–1,13), jedoch nicht für das OS (HR 1,07; 95%-KI: 0,63–1,79).

Zweitlinientherapie des mNZK

Die Ergebnisse der CONTACT-03-Studie, einer randomisierten Phase-III-Studie zum Vergleich von Atezolizumab plus Cabozantinib (n = 263) versus Cabozantinib allein (n = 259) nach Progress unter CPI wurden von Toni Choueiri vorgestellt [7]. Knapp über 50 % der Patienten befanden sich in der Zweitlinie nach Nivolumab plus Ipilimimab oder einer TKI + CPI-Kombination, der Rest in der Drittliniensituation. Diese Patienten hatten also primär eine TKI-Monotherapie und dann einen CPI erhalten. Die primären Co-Endpunkte waren das OS und PFS. Nach einem medianen Follow-up von 15,2 Monaten konnte weder ein Vorteil für das PFS (10,6 vs. 10,8 Monate; HR 1,03; 95%-KI: 0,83–1,28), noch für das OS für die Kombination von Atezolizumab plus Cabozantinib gezeigt werden (25,7 vs. NE Monate; HR 0,94; 95%-KI: 0,70–1,27). Auch in der Subgruppenanalyse ergab sich kein Vorteil für die Kombination gegenüber der Cabozantinib-Monotherapie. Somit war diese Studie negativ.

Fazit für die Praxis

Der überragende Stellenwert der TKI-CPI-Kombinationen in der Erstlinientherapie des mNZK wurde für Patienten in der intermediären und schlechten Prognosegruppe hinsichtlich aller klinischen Parameter bestätigt. Besonders bei Vorliegen einer rasch progredienten oder symptomatischen Metastasierung sowie bei sarkomatoider Komponente stellt die TKI-CPI-Kombination oder die Immun-Immun-Kombination die Therapie der Wahl dar.
Kritik darf hingegen an der nur noch selten hinterfragten generellen Indikation einer TKI-CPI-Kombination in der Erstlinie für Patienten in der guten Prognosegruppe geäußert werden [8, 9]. Die deutsche S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom, in der für die TKI-CPI-Kombination in der Erstlinie für Patienten in der guten Prognosegruppe eine „soll“-Empfehlung formuliert wurde, ist vor der Verfügbarkeit der aktuellen Studiendaten aktualisiert worden [10]. Auch in der Gesamtpopulation macht der mit langer Nachbeobachtungszeit immer kleiner werdende Überlebensvorteil der TKI-CPI-Kombinationen in der Erstlinie gegenüber der Sunitinib-Monotherapie nachdenklich. Hier mag sich am Ende vielleicht doch der Einfluss der Subgruppe von Patienten mit guter oder intermediärer Prognose, die unter einer TKI-Erstlinientherapie und nachfolgender CPI-Zweitlinientherapie sehr lange und mit vergleichsweise sehr guter Lebensqualität behandelt werden, in den Ergebnissen niederschlagen.

In der molekularen Begleitanalyse der IMmotion151-Studie, in der Atezolizumab + Bevacizumab mit Sunitinib in der Erstlinientherapie verglichen wurde und die hinsichtlich ihrer klinischen Endpunkte negativ war, konnte gezeigt werden, dass Subtypen des mNZK durch unterschiedliche Gensignaturen charakterisiert sind [11]. So zeigten Patienten aus der guten Prognosegruppe häufiger Angiogenese-hohe Gensignaturen, jene in der intermediären und schlechten Prognosegruppe hingegen häufiger T-Effektor-hohe Signaturen und eine hohe PD-L1-Expression. Solange diese individuellen Gensignaturen nicht klinisch verfügbar werden, bleibt unklar, welche Patienten aus der guten Prognosegruppe vermutlich gut mit einer TKI-Monotherapie behandelt werden könnten und für welche Patienten die TKI-CPI-Kombination einen – allerdings schwer quantifizierbaren – zusätzlichen therapeutischen Effekt bieten würde. Die höhere Wahrscheinlichkeit einer Komplettremission wäre auch weiterhin ein Argument für die TKI-CPI-Kombination in der Erstlinientherapie bei Patienten mit guter Prognose. Die Wahl der Erstlinientherapie bei Patienten mit guten prognostischen Kriterien bleibt somit in jedem Falle eine individuelle Entscheidung.

Für die Zweitlinientherapie konnten sich indes neue Therapiekombinationen nicht bewähren und es bleibt einstweilen bei den bisherigen Empfehlungen [10].

Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. Manfred Johannsen
Facharztpraxis für Urologie Johannsen & Laux, Berlin
Stellvertretender Vorsitzender, d-uo (Deutsche Uro-Onkologen)
Telefon: 030–3334030
Fax: 030–3331783

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