Höhere Testosteronwerte in der Jugend werden mit einer stärkeren Beteiligung des anterioren präfrontalen Kortex (aPFC) im Gehirn an der Emotionskontrolle in Verbindung gebracht, während sich dieser Effekt im Erwachsenenalter umkehrt: Ein hoher Testosteronspiegel ist dann mit einer geringeren Aktivität des aPFC verbunden. In einer niederländischen Studie untersuchten Forschende diesen Wechsel im Zusammenspiel zwischen Testosteron und aPFC durch Verhaltensexperimente, Bildgebungsscans und Hormonspiegelmessungen.

Testosteron steuert sozial-emotionales Verhalten
Durch die Modulation von Annäherungs- und Vermeidungshandlungen spielt Testosteron eine zentrale Rolle im sozial-emotionalen Verhalten. Die kognitive Kontrolle über sozial-emotionale Handlungen wird in der Pubertät ausgebildet.
Studien an Nagetieren zeigten, dass sich während der Adoleszenz die Funktion von Testosteron grundlegend ändert: Es wandelt sich von einem Entwicklungsfaktor für die neuronale Organisation zu einem Hormon, das sozio-sexuelle Verhaltensreaktionen sowie neuronale Reaktionen aktiviert. Das adoleszente Testosteron spielt eine entscheidende Rolle für lang anhaltende Systemveränderungen und die Programmierung des Sozialverhaltens als Erwachsene, insbesondere für die kontextabhängigen sozialen Annäherungs-/Vermeidungsreaktionen während der Adoleszenz.
Forschende um Anna Tyborowska haben nun getestet, ob der menschliche Testosteronspiegel in der mittleren und späten Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter die Aktivität des aPFC während emotionaler Handlungskontrollen vorhersagt. Dafür verwendeten sie eine Annäherungs-Vermeidungs-Aufgabe bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14, 17 und 20 Jahren. Bei dieser Aufgabe mussten die Teilnehmenden Bilder von emotionalen Gesichtsausdrücken (glücklich oder wütend) bewerten und darauf reagieren, indem sie einen Joystick zu sich zogen (Annäherung) oder von sich wegschoben (Vermeidung). Die Kontrolle über Verhaltensaspekte einer Emotionsreaktion erfassten die Forschenden, indem sie affektkongruente (bei glücklichen Gesichtern Annäherung, bei wütenden Gesichtern Vermeidung) sowie affektinkongruenten (glückliche Gesichter – Vermeidung, wütende Gesichter – Annäherung) Versuche durchführten. Zudem wurden funktionelle Magnetresonanztomographien (fMRT) durchgeführt sowie die Hormonspiegel anhand von Speichelproben gemessen.
Gegensätzliche Wirkung von Testosteron bei Jugendlichen und Erwachsenen
Höhere Testosteronwerte waren bei den 14-Jährigen mit einer stärkeren Aktivität des aPFC assoziiert. Dieser Effekt nahm bei den 17-Jährigen wieder ab und zeigte bei den 20-Jährigen eine Verschiebung zum gegenteiligen Effekt: Höhere Testosteronwerte waren bei den jungen Erwachsenen mit einer geringeren Aktivität des aPFC während der Kontrolle emotionaler Handlungen verbunden. Stattdessen war ein erhöhter Testosteronspiegel in dieser Altersgruppe mit einer höheren Amygdala-Reaktivität verbunden.
Hinsichtlich der Reaktionszeiten in der Annährungs-Vermeidungs-Aufgabe ergaben sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie Altersgruppen: Höhere Testosteronspiegel bei 17-jährigen Frauen waren mit schnelleren Reaktionszeiten bei glücklichen Gesichtern verbunden, während Männer derselben Altersgruppe schneller Reaktionszeiten bei wütenden Gesichtern aufwiesen. Im Alter von 20 Jahren war ein umgekehrter Zusammenhang festzustellen: Hier reagierten die Frauen schneller bei wütenden Gesichtern und die Männer bei glücklichen.
Fazit
In Übereinstimmung mit vorangegangenen Studien und Tiermodellen nahm der positive Effekt von Testosteron auf die aPFC-Aktivität vom 14. bis zum 17. Lebensjahr ab und verschob sich bis zum Alter von 20 Jahren in einen gegenteiligen Effekt des Hormonspiegels. Somit beeinträchtigt Testosteron im jungen Erwachsenenalter die präfrontale Kontrolle und geht mit einer erhöhten testosteronmodulierten Amygdala-Reaktivität während der Emotionskontrolle einher. Insgesamt deuten diese Ergebnisse auf einen Wandel der Rolle von Testosteron als pubertäres Neuroentwicklungshormon hin und zeigen die Reifung des präfrontalen Amygdala-Schaltkreises von der mittleren Adoleszenz zum jungen Erwachsenenalter. Diese Ergebnisse sind für neuroendokrine Modelle der pubertären Entwicklung relevant, da sie die Mechanismen erklären, die an der Reifung der Testosteron-modulierten emotionalen Handlungskontrolle beteiligt sind. Chronische Versäumnisse bei der Kontrolle emotionaler Handlungstendenzen sind bei verschiedenen affektiven Störungen üblich. Diese Studie eröffnet die Möglichkeit zu prüfen, ob veränderte neuroendokrine Bahnen mechanistisch mit der Entwicklung von Psychopathologie, wie z. B. sozialer Angst und Aggression, verbunden sind.
Theresa Hübner
Originalpublikation: Tyborowska A et al. Developmental shift in testosterone influence on prefrontal emotion control. Developmental Science 2023; e13415
Quelle: EurekAlert! (>> zur Pressemitteilung)



