Auf der letzten DDG-Herbsttagung beschäftigten sich mehrere Fachleute mit den Chancen und Herausforderungen von Digitalisierung und Diabetestechnologie. Entscheidend für den Erfolg neuer Technologien ist es, wie gut die Betroffenen in ihrer individuellen Situation abgeholt werden.
Perfektionismus, Ängste oder traumatische Erfahrungen können maßgeblich beeinflussen, wie Menschen mit Diabetes Technologie erleben und nutzen. Susanne Baulig, Psychologische Psychotherapeutin und Psychodiabetologin aus Mainz, machte in ihrem Vortrag deutlich, dass Sensoren, Pumpen und automatisierte Insulindosierungssysteme nicht nur Vorteile bieten würden, sondern bei manchen Patienten auch das Gefühl von Überwachung und Kontrolle verstärken können. Besonders betroffen seien Menschen mit einem hohen Bedürfnis nach Autonomie oder solche, die negative Erfahrungen mit Kontrollverlust gemacht haben. Hier können psychodiabetologische Ansätze Betroffene dabei unterstützen, ihre Einstellungen zur Technologie zu reflektieren und sie in ihren Alltag zu integrieren, ohne dass diese den Alltag dominieren.
Lebensqualität und Selbstmanagementfähigkeiten verbessern
Diese Form der spezialisierten Therapie könne entscheidend dazu beitragen, die Lebensqualität und die Selbstmanagementfähigkeiten der Betroffenen zu verbessern. „Die Beziehung zwischen ärztlichem Fachpersonal und Betroffenen spielt hierbei eine zentrale Rolle“, betonte Baulig. „Diabetologinnen und Diabetologen können durch gezielte Gespräche nicht nur hilfreiche Aspekte der Technologie, sondern auch belastende Faktoren identifizieren. Dies ermöglicht es, individuelle Lösungen zu entwickeln, die sowohl die medizinischen als auch die psychischen Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigen.“ Entscheidend sei, nicht nur die positiven Effekte der Technik zu würdigen, sondern auch Raum für die Belastungen zu schaffen, die sie mit sich bringen kann. So könne eine vertrauensvolle und empathische Kommunikation wesentlich dazu beitragen, den Nutzen der Diabetes-Technologie für die Menschen mit Diabetes zu maximieren.
Die digitale Praxis
Dr. Ulrike Becker aus Bonn nahm die Zuhörerenden im übertragenden Sinn mit in ihre diabetologische Schwerpunktpraxis und stellte ihnen die digitale Praxis vor. Ein digitaler Telefonassistent transkribiert und kategorisiert alle Anrufe, Blutzuckerwerte werden über eine Cloud oder per Messenger integriert, und die Anamnesebögen sind papierlos. Ebenso gehören in Bonn Videosprechstunden zum Tagesgeschäft, und ein modernes Praxisverwaltungssystem erstellt und verwaltet E-Rezepte, Arztbriefe und Dokumentationen. „Die menschliche Komponente bleibt natürlich dennoch unverzichtbar, um ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen, das Betroffene in ihrer individuellen Situation unterstützt“, betonte Becker und empfahl ihren Kolleginnen und Kollegen, ihre Systeme regelmäßig zu überprüfen und digitale Tools gezielt einzusetzen.
Positives Gesprächsklima schaffen
Die Diabetesberaterin Claudia Sahm betonte, wie wichtig es sei, moderne Technologien nicht nur zur Datenanalyse, sondern auch zur Optimierung der Kommunikation zwischen Behandelnden und Betroffenen einzusetzen. „Digitale Anwendungen müssen intuitiv nutzbar sein, und sowohl Menschen mit Diabetes als auch Praxispersonal entlasten. Der Austausch mit Patientinnen und Patienten über ihre Erfahrungen mit der Technik sollte ebenso systematisch erfolgen wie die Analyse der Glukosedaten“, so Sahm. Gleichzeitig regte sie dazu an, ein positiveres Gesprächsklima durch Anerkennung und Lob zu schaffen, um das Vertrauen in die technische Unterstützung und die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken.
Retinopathie mit KI erkennen
Dr. Jörg Simon konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Retinopathie als zentrale Komplikation bei Diabetes, und stellte innovative Ansätze zur Diagnostik vor. Der Facharzt für Diabetologie hob besonders die Nutzung KI-gestützter Augenhintergrundkameras als vielversprechenden Fortschritt hervor. Mit diesen Kameras lassen sich Veränderungen des Augenhintergrunds präzise und schnell erkennen, was eine frühzeitige Diagnose und Intervention ermöglicht. Solche Systeme böten die Möglichkeit, Routineuntersuchungen in der Praxis durchzuführen, und die lange Wartezeit auf fachärztliche Termine zu umgehen. Sie könnten eine entscheidende Rolle spielen, um die Erkennungsrate für diabetische Retinopathie zu erhöhen und Betroffene mit Risiken frühzeitig gezielt zu behandeln. Simon wies jedoch auch darauf hin, dass rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssten. „Die Implementierung solcher Systeme erfordert Investitionen, bietet aber auch eine attraktive Option, um die medizi- nische Versorgung zu verbessern und die Praxis zukunftsorientiert aufzustellen“, so der Diabetologe. Die Einbeziehung der Augenärztinnen und Augenärzte in die Thematik hält er dabei für essenziell.
Autorin: Sonja Buske
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