Harnblasenkrebs, der in die Muskelschicht der Harnblase eingedrungen ist, wird üblicherweise mit der Entfernung der gesamten Harnblase und angrenzender Strukturen behandelt, obwohl laut den aktuellen Leitlinien eine alternative multimodale Therapie, beginnend mit einer transurethralen Resektion (TUR) gefolgt von Radiochemotherapie, existiert. Jedoch wird vielen Patientinnen und Patienten diese Option nicht vorgeschlagen. Dabei zeigte eine Studie, dass die blasenerhaltende Therapie vergleichbare Behandlungsergebnisse erzielen kann.
In Deutschland ist das Harnblasenkarzinom bei Männern die vierthäufigste Krebserkrankung (5 %). 2018 gab es 18.270 Neuerkrankungen (65 % Männer, 35 % Frauen); 5.702 Menschen verstarben an der Erkrankung [1].
Behandlungsoptionen bei einem fortgeschrittenen Blasenkarzinom
Für das lokal fortgeschrittene Blasenkarzinom, das in die Muskelschicht der Harnblase vorgedrungen ist, aber noch ohne Lymphknoten- und Fernmetastasen (T2-4 N0 M0) gibt es zwei Behandlungsmethoden, die radikale Operation mit Entfernung der gesamten Blase (radikale Zystektomie) oder eine blasenerhaltende trimodale Therapie. Die radikale OP umfasst die Entfernung der gesamten Harnblase und der Umgebungsstrukturen wie Lymphknoten und bei Männern die Prostata. Meistens wird eine Ersatzblase aus einem Stück Darm gebildet. Diese sog. Neoblase wird an die Harnröhre angeschlossen (wobei in Folge häufig Kontinenzprobleme auftreten können) oder durch die Bauchdecke nach außen in einen Beutel abgeleitet. Je nach lokaler Tumorausdehnung kann eine zusätzliche, (neo-)adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden.
Die Alternative, die blasenerhaltende Therapie, basiert auf drei Säulen, daher auch trimodale Therapie genannt: Zunächst wird der Tumor möglichst komplett mittels transurethraler Resektion (TUR) örtlich entfernt (Säule 1), anschließend erfolgt eine simultane Radiochemotherapie (Säulen 2 und 3). Sollte der Tumor sich nicht vollständig zurückbilden oder tritt er wieder auf, kann dann immer noch die radikale OP erfolgen.
Veraltete Evidenzlage in der Leitlinie
Die blasenerhaltende Therapie wird zwar in der S3-Leitlinie als Alternative zur radikalen Zystektomie erwähnt, allerdings suggeriert ein zweites Statement eine Unterlegenheit, da das blasenerhaltende Vorgehen insbesondere Betroffenen mit einem schlechten Allgemeinzustand oder jenen, die eine Zystektomie ablehnen, angeboten werden sollte [2]. Doch das spiegelt eine veraltete Evidenzlage wider: frühere randomisierte kontrollierte Studien, die bei muskelinvasivem Blasenkrebs die radikale Zystektomie mit der (blasenerhaltenden) trimodalen Therapie vergleichen sollten, mussten wegen zu geringer Patientenaufnahme frühzeitig beendet werden.
Studiendesign
Im Mai dieses Jahres wurden in einer großen retrospektiven Analyse aus USA und Kanada beide Therapieoptionen verglichen und die Ergebnisse in „Lancet Oncology“ publiziert [3]. Um den Nachteil der retrospektiven Analyse auszugleichen, wurde ein komplexes statistisches Verfahren angewendet: Das „inverse probability treatment weighting“ (IPTW) kombiniert mit einem 3:1 „Propensity Score Matching“ (PSM). Ausgewertet wurden 722 Betroffene (T2-T4 N0 M0; alle Tumoren <7 cm), für die prinzipiell beide Therapien geeignet waren. 440 von ihnen wurden zystektomiert und 282 erhielten eine trimodale Therapie. Primärer Endpunkt war das metastasenfreie Überleben. Sekundäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben, das krankheitsfreie und das krebsspezifische Überleben. Nach PSM waren die Gruppen vergleichbar in Bezug auf Alter (im Mittel 71 Jahre), Geschlecht (25 % weiblich), Allgemeinzustand (ECOG 0 76 %) sowie Tumorstadien, Stauungsniere, Raucheranamnese, BMI und Einsatz von (neo-)adjuvanten Chemotherapien. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 4,38 Jahre bzw. 4,88 Jahre.
Ergebnisse
Im Ergebnis gab es mit beiden Statistik-Methoden keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Therapieoptionen im primären Endpunkt, dem metastasenfreien Überleben. Es betrug 74 % bzw. 74–75 % in beiden Gruppen nach radikaler Zystektomie versus blasenerhaltender Therapie. Das 5-Jahres-Gesamtüberleben dagegen war nach blasenerhaltender Therapie signifikant länger als nach radikaler Zystektomie (IPTW: 73 % vs. 66 %, Hazard Ratio HR 0,7, p=0,01 und PSM 77 % vs. 72 % HR 0,75; p=0,0078). Auch beim krebsspezifischen Überleben zeigte sich ein Vorteil zugunsten der blasenerhaltenden Therapie, der das Signifikanzniveau nur knapp verfehlte (PSM: HR 0,73, p=0,057).
Diese, laut Autorinnen und Autoren, größte multizentrische Studie zum Vergleich zwischen radikaler Zystektomie und trimodaler Therapie unterstützt bereits vorliegende vergleichende Untersuchungen sowie zahlreiche Phase 2-Studien zur trimodalen Therapie, die sehr gute Ergebnisse des blasenerhaltenden Vorgehens zeigten. Konsequenterweise fordert daher das Autorenteam, dass die blasenerhaltende Therapie allen Erkrankten mit muskelinvasivem Blasenkrebs als Therapieoption angeboten werden müsse.
Literatur:
- Zlotta AR et al. Radical cystectomy versus trimodality therapy for muscle-invasive bladder cancer: a multi-institutional propensity score matched and weighted analysis. Lancet Oncol 2023; S1470-2045 (23) 00170-5
- https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2021/kid_2021_c67_harnblase.pdf?__blob=publicationFile
- Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms, Langversion 2.0, 2020, AWMF-Registrierungsnummer 032/038OL
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie e. V.
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